laut.de-Kritik

Der Finger in der offenen Wunde.

Review von

Auf ihrem rührenden Album "Childhood Home" redeten Ben & Helen Harper 2014 Klartext: "We can't plant and we can't grow / We can't reap and we can't sow / Don't own the seed can't plant our rows / It all belongs to Monsanto", dichtete die Mutter des vielseitigen Rockstars.

Der US-Agrarkonzern hat offenbar ein Image-Problem, widmet ihm hier doch ein noch gewichtigerer Rockstar ein gesamtes Album. Darin kommt der Name des Konzerns so oft vor, dass er sich einprägt. In Verbindung mit eher weniger schmeichelhaften Charakterisierungen wie "giftige Flut", "gierig" und gar "anti-biblisch", weil er sich seine Produkte patentieren lässt und sich so erdreistet, "Mutter Natur" und "Gott" zu enteignen.

Für Freunde von Wochenmärkten und Bio-Läden klingt das wie Balsam für die Seele. Monsanto kriegt zwar das meiste Fett ab, Starbucks ("Ich will eine Tasse Kaffee und keinen genetisch modifizierten Organismus"), die Handelsketten Walmart und Safeway oder der Energie-Konzern Chevron werden aber ebenfalls namentlich erwähnt.

Die zugrunde liegende These lautet: Großkonzerne haben uns unsere Entscheidungsfreiheit zugunsten monströser Gewinne genommen. Sie manipulieren uns, wir sind ihnen ausgeliefert. Der Landwirt, früher Symbol der Verbundenheit mit der Natur, ist nur mehr ein Rädchen in der Gelddruckmaschine. Wer versucht, sich zu widersetzen, wird platt gemacht.

Was natürlich nur für den kleinen Mann (und die kleine Frau) gilt. "Too big to fail, to rich for jail", stellt Young im besten Song des Albums fest, "Big Box". Doch nimmt er auch die Gesellschaft in die Pflicht. "It's a bad day to do nothing / While so many people need our help", singt er gleich im Opener. "Don't talk about hunger / Talk about global love", stellt er in "People Want To Hear About Love" fest. Diskussionen über die großen Probleme der Menschheit? Fehlanzeige. Stattdessen beschäftigt man sich lieber mit Schmonzetten.

Wobei man einwenden könnte, dass Young nach der Publikmachung der Trennung von seiner langjährigen Frau Pegi und den öffentlichen Auftritten mit seiner neuen Partnerin, der Schauspielerin Daryl Hannah, selbst Öl ins Klatschfeuer gegossen hat. Die Turteltäubchen sind sogar auf dem Cover des Albums abgebildet. Menschen sind eben nicht eindimensional, was für Young und sein Schaffen besonders gilt.

Als Begleitung nahm er diesmal zwei Söhne von Kumpel Willie Nelson mit ins Studio, Micah und Lukas, samt Lukas' Band Promise Of The Real. Eine konsequente Wahl, stammt deren Bandname aus einem alten Song Youngs. Gemeinsam standen sie schon bei Farm Aid auf der Bühne, ein Festival, das Nelson Sr. und John Mellencamp 1985 ins Leben gerufen haben und in dessen Organisation auch Young und Dave Matthews eingebunden sind. Der Zweck, damals wie heute: von Familien geführte Landwirtschaftbetriebe zu unterstützen, womit wir wieder beim Thema wären.

Die Aufnahmen fanden wie gewohnt informell statt, diesmal in einem umgebauten Kinosaal in Oxnard südlich von Los Angeles. Young lieferte die ungefähre Vorgabe, die anderen stöpselten ihre Instrumente ein und los ging es. Eine Vorgehensweise, die immer wieder grandiose Ergebnisse geliefert hat, wie 1995 mit Pearl Jam bei "Mirror Ball".

Genau an jenes Album fühlt man sich stellenweise erinnert, auch wenn die Gitarren nicht ganz so verzerrt sind und Youngs Stimme leider stets eine Spur zu dünn ausfällt. Rotzige Momente wie der Opener und "Big Box", in dem Micah Nelson seine Les Paul mit einem Geigenbogen bearbeitet wie einst Jimmy Page, wechseln sich mit eher schwachen ab, wie dem schunkelnden "A Rockstar Bucks A Coffee Shop" mit schwer erträglichem Gepfeife, das an die sieben Zwerge erinnert.

Schön fällt das Lagerfeuerstück "Wolf Moon" aus, das nicht nur des Titels wegen an "Harvest Moon" erinnert und in dem sich Young freut, dass die Welt trotz aller Zerstörung durch den Menschen doch noch existiert. In "I Don't Know" verspricht er, sich weiterhin des Themas anzunehmen, "solange die Melodien hübsch bleiben und die Lieder nicht zu lang". Letztlich liegt es doch an jedem Einzelnen, seine Einstellung zu verändern und so einen Wandel herbeizuführen. "Of all the people in the whole wide world / Nobody really matters but me and you / When it comes to protecting / Our precious gift", hatte er schon im Opener klar gestellt.

Ein schwieriges Thema, das Young mit der gewohnten Energie und Freude angeht. Die Beteiligten zeigen sich in der sehenswerten beiliegenden Dokumentation begeistert von der Stimmung, in der Tat scheint es ziemlich fröhlich zugegangen zu sein. Instrumente alle in selben Raum, Gesang zum Teil auf dem Männerklo aufgenommen, wenige Takes, wenige Overdubs, mit jenen Unfeinheiten, die eine Youngsche Platte erst zum Leben erwecken.

Die Reaktion von Monsanto ist übrigens außergewöhnlich und klingt eher verletzt als fachjuristich angepisst. "Viele von uns bei Monsanto waren und sind Fans von Neil Young. Leider scheint es einigen von uns so, dass sein aktuelles Album nicht unseren starken Überzeugungen entspricht, die Landwirtschaft darin zu unterstützen, nachhaltiger zu werden. Wir stellen fest, dass viele falsche Informationen über uns und unsere Arbeit im Umlauf sind. Leider scheinen sich einige dieser Legenden in den Texten wiederzufinden", ließ das Unternehmen verlauten.

Die großen Image-Berater werden sich die Hände reiben und auf einen fetten Auftrag hoffen. Keinen Bedarf daran hat Neil Young. Wieder legt er seinen Finger in eine offene Wunde und zeigt sich, wenn auch musikalisch nicht auf der Höhe seiner besten Werke, streitbar und kritisch wie eh und je.

Trackliste

  1. 1. A New Day For Love
  2. 2. Wolf Moon
  3. 3. People Want To Hear About Love
  4. 4. Big Box
  5. 5. A Rock Star Bucks A Coffee Shop
  6. 6. Workin' Man
  7. 7. Rules Of Change
  8. 8. Monsanto Years
  9. 9. If I Don't Know

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