laut.de-Kritik
Keine Ideen, keine Vision, kein Hunger: kreative Schockstarre
Review von Yannik GölzIch erinnere mich an eine Zeit, in der Nicki Minaj eine revolutionärere Musikerin war. Eine Über-MC, Feature-Mörderin, die nach belieben in den Popstar-Modus schaltet, die Fleischköpfen wie Wayne und Drake die Meinung geigen konnte. Sie hat sich nach "Pink Friday" mit absolutem Recht zur Queen gekrönt. Und dann? Hatte die Operation Nicki Minaj zehn Jahre kein anderes Programm als "these bitches is my sons"; zehn Jahre mittelmäßige Musik und Streit mit jeder anderen Frau im Hip Hop-Kosmos haben nicht gerade kreatives Wachstum beflügelt. Dass nun das Sequel "Pink Friday 2" nicht weniger als das "beste Album ihres Lebens" sein sollte, weckte Grund zur Skepsis. Trotzdem hätte wohl niemand ein so exorbitant verwirrtes und verunsichertes Machwerk erwartet.
Dieses Album ist ein Gang vor die Hunde. Und standesgemäß fängt es immerhin mit dem Tiefpunkt an. "Are You Gone Already" ist einer der schlechtesten Intros, vielleicht jemals. Das angekündigte Billie Eilish-Feature entpuppt sich als einmalig faules Sample von "When The Party's Over". Es klingt wie der YouTube-Rip eines Videos namens "Billie Eilish 'I like it like that' tiktok sad edit :(" - und als wäre das nicht absurd genug, findet Nicki nicht den Hauch einer Pocket auf dem Beat. Sie klingt nicht nur unstrukturiert, sie klingt, als hätte sie keinen Fokus, vor allem, wenn sie darin markiert, sie habe diese Lachnummer von einem Track fünf Tage vor Release des Albums fertiggeschrieben. Was für ein Album folgt da, wenn man denkt, dass ein halbgarer Freestyle mit Formtief-Flow über ein Drittel von einem historisch beschissenen Sample-Flip das ist, worauf man eröffnen sollte?!
Besserung stellt sich nicht wirklich ein. Die erste Hälfte wirft dieses Album alles mögliche an die Wand und hofft, dass etwas kleben bleibt. Es gibt Houston-Trap auf einem sehr minimalen "Fuck the club up"-Sample, das Travis Scott Dutzende Male besser auf "Astroworld" verbaut hat, ein bisschen später samplet sie Travis' "Pornography" einfach selbst. "Barbie Dangerous" interpoliert "Notorious Thugs" in Nickis bislang mit Abstand schlechtestem Fall von Biggie-Worship.
Man merkt schon: An der Stelle, wo eine kreative Vision sein sollte, hat dieses Album Samples. Keine kreativen, transformativen Samples, sondern einfach nur Hits, die langweilig neu aufgebügelt werden. Nichts mit Sample-Spotting, das Whosampled-Archiv zu diesem Album war 15 Nanosekunden nach Release komplett eingetragen. Für die Oldies-Rotation gibt es nämlich Gassenhauer wie "Heart Of Glass" von Blondie, "Super Freak" von Rick James (dass noch niemand darauf gekommen ist, das zu samplen!) und motherfucking "Girls Just Wanna Have Fun". Und nein: Keines dieser Samples macht irgendetwas Kreatives mit dem Ausgangsmaterial.
Das ist die angesprochene Unsicherheit: Als eine Veteranin mit objektivem Anspruch auf die handwerkliche G.O.A.T.-Konversation sollte sie nach fünf Jahren zwischen Alben zurückkommen, um Maßstäbe zu setzen. Nicki reiht sich stattdessen zaghaft in die zweite Reihe Wannabe-TikTok-Raps ein, direkt hinter Artists wie Latto oder Coi Leray, also Rapperinnen, die wirklich ihre "Sons" sein sollten. Aber statt denen vorzuleben, wie man geil rappt, stochert sie lustlos in deren eh schon nicht so guter Formel. Diese kreative Bankrotterklärung hält sie natürlich trotzdem nicht davon ab, schwache Disses an die Konkurrenz zu schicken. Latto wird generisch attackiert, Megan Thee Stallion kriegt eine Tory Lanez-Line ab. Was haben wir schon bei Drakes "Circo Loco" darüber gelacht. Urgs.
Ansonsten soll einer verstehen, warum diese Frau glaubt, ein Album von über einer Stunde veröffentlichen zu müssen, wenn sie offensichtlich nicht genug Ideen für eine Doppel-Single hat. Der beste Song auf diesem Tape wäre wohl "Red Ruby Da Sleeze", eine etwas schwächere Iteration von "Chun-Li", dem einen Song auf "Queen", der einen an bessere Nicki-Tage hat glauben lassen. Das ist auch der eine Song, in dem ihr eigentliches Talent ein bisschen durchschimmern darf: Das Rappen.
Wo ist die Spitterin Nicki bitte auf diesem Tape verloren gegangen? Wenn sie schon bitter und unsicher sein muss, kann sie das nicht wenigstens in harte Rundumschläge ummünzen? Nein, ihr scheint wichtiger zu sein, wenn nicht in Samples, dann in Features musikalisches Obdach zu finden. Jeder Gastbeitrag darf gleich auch den eigenen Sound ins Haus tragen. Es ist ja nicht so, als ob es irgendetwas zu verdrängen gäbe. Drake kommt mit einem 2016-Dancehall-Track vorbei, der solide funktioniert, aber Nicki kein bisschen gebraucht hätte. Lil Uzi soll für einen Jersey Club-Hit bitte "Just Wanna Rock" replizieren. Nicki passt darauf nicht. "Nicki Hendrix" imaginiert, wie Nicki auf einem Future-Song klänge. Wir wissen es, weil es diese Songs schon ein paar Mal gab.
"Super Freaky Girl" wird wohl das einzige auf diesem Tape bleiben, das man wirklich einen Hit nennen dürfte. Im Grunde war der schon damals das Hissen der weißen Fahne. Nachdem Nicki nämlich bestimmt schon vier oder fünf Singles hat untergehen sehen, hat sie einfach aufgegeben, die TikTok-Formel gespielt und davon profitiert. Es hat funktioniert, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Song, gegen den "Anaconda" in Sachen Kreativität wie ein verdammter Picasso aussieht, ihrem Erbe etwas hinzuzufügen hat. Sie hat noch nie mit so wenig Farbe und Charakter gerappt. Es ist Leichtverdauliches für das ADHS-Zeitalter. Und es ist ihr größter Wurf dieser Ära.
Wenn sie das Ruder nicht noch fundamental herumreißt, dann beendet "Pink Friday 2" Nickis Karriere. "Queen" war langweilig und formelhaft, aber nochmal fünf Jahre hypen und so tun, als würde man jetzt das ganz große Album droppen, um mit diesem verängstigten, überlangen, nutzlosen Scheißprojekt aus dem Tran zu kommen, das kann sie nicht wieder ausbügeln. Ich würde gerne herausfinden, wie sehr ich mich irre, aber Stand jetzt scheint Nicki selbst kaum noch zu wissen, wo ihre Stärken eigentlich liegen. "Pink Friday 2" ist nicht nur schlecht, weil die Songs zu großen Teilen nicht funktionieren. Es ist schlecht, weil sie als eine der Steuermänner des Genres endgültig offenbart hat, dass da kein Tropfen Benzin mehr im Tank hat. Sie hat keine Ideen, sie hat keine Vision, sie hat keinen Hunger. Dieses Album ist eine kreative Schockstarre.
7 Kommentare mit 3 Antworten
Am Freitag beim Einkauf im Penny tatsächlich 'Last Time I Saw You' aus den Lautsprechern dort gehört, mehr muss man zu dem Album nicht sagen. Der erste song direkt hat mich ziemlich schockiert tatsächlich, einfach einen Billie Eilish song zu nehmen und diesen auf doppelter Geschwindigkeit unverändert für die erste hälfte des songs laufen zu lassen mit allen Strophen und refrain ist schon echt erbärmlich. Hab danach ausgemacht wieder, die Vorabsingles waren durch die Bank weg Müll, 1/5.
Alles absolut richtig, fand beim einmaligen halben Durchhören auch v.a. die Beats so unfassbar langweilig und unkreativ, dass ich gar keine Lust hatte es mir nochmal zu geben. Geht mir aber mit vielen "großen" Releases die letzten Jahre so.
Krass, wie schlecht Shirin David auf englisch klingt.
Ohne die Review zu lesen stimme ich zu. Habs heute gehört und nach 10 tracks ausgeschaltet. Beamgloses elektronisches geklöppel. Keine Ideen mehr.
Pink friday 1 und Queen waren top.
Das enttäuscht hier auf voller Länge.
Nach dem Hören einiger Songs sehe ich nicht das Problem in einer fehlenden Motivation der Künstlerin. Die Texte und Performances lassen immer noch auf einen gewissen Hunger schließen. Viel mehr funktionieren die meisten Songs einfach nicht, weil man immer das Gefühl bekommt, keine wirklichen Songkonzepte von ihr zu bekommen, sondern immer nur diese 10-15 Sekunden anstrebt, die für den nächsten viralen Tiktok-Trend notwendig sind.
Man fährt damit dann eine sicher erscheinende Schiene: Die Hits von damals werden mit zeitgenössischen Drums und modernen Flows und Gesängen unterlegt. Was damals schon zweimal geklappt hat, fruchtet dann vielleicht auch ein drittes Mal (s. "Super Freaky Girl"), aber ein eigenes, individuelles künstlerisches Statement bleibt damit aus, und das hat "Can't touch this" von MC Hammer im Übrigen ihrer Version voraus.
Hätte sie einen anderen Albumtitel ("Pink Nostalgia" oder sowas) gewählt, wäre es zwar nicht minder schlecht gewesen, aber nicht so enttäuschend, wie es jetzt. Denn Pink Friday 1 war seinerzeit schon richtungsweisend, retrospektiv betrachtet. Hier steht Retro im Vordergrund, aber eine Richtung nach vorne sucht man vergeblich.
Hatte eh nie was für die Frau übrig. Googled mal „Nicki Minaj before surgery“ - da sind die Kardashians mix dagegen. Höre mir von so seiner nicht an was sie für eine Göttin ist und wie Hässlich und scheisse alle anderen.