laut.de-Kritik
GarageBand wäre für den rastlosen Geist wie geschaffen gewesen.
Review von Giuliano BenassiEs gab Zeiten, in denen einem auf WG-Klos ein missmutig dreinblickender, spindeldürrer und wirr bemähnter Mann von der Wand entgegen starrte. Das Poster "Zappa On The Crapper" gehörte zum Inventar wie ein Che Guevara in der Küche.
Während sich der Revolutionär aus Argentinien nach wie vor einer gewissen Beliebtheit erfreut, ist es um den 1993 an Krebs gestorbenen US-Musiker in dieser Hinsicht ruhiger geworden. Alex Winter hat im neuen Jahrtausend den ehrenwerten Versuch unternommen, daran etwas zu ändern. Bekannt als Bill an der Seite von Keanu Reeves alias Ted, hat er sich auch als Dokumentarfilmer einen Namen gemacht. Ihm war aufgefallen, dass es über Frank Zappa noch keinen brauchbaren Streifen gab, und kontaktierte einen der Söhne, Dweezil. Der meinte, dass es schon viele Anfragen gegeben habe. Seine Mutter Gail, die das Erbe verwalte, sei jedoch nur schwer zu überzeugen. Er könne ja mal sein Glück versuchen.
Winter sprach vor, im sagenumworbenen Anwesen im Laurel Canyon, das Familie Zappa Jahrzehnte lang als Zuhause und Arbeitsstätte diente. Zunächst noch ein ruhiges Gebiet unweit des Hügels, der Hollywood beherbergt, wurde der Canyon zu Beginn der 1970er zum Treffpunkt der Singer/Songwriterszene um Joni Mitchell, Mama Cass Elliot oder David Crosby, die sich ebenfalls dort niederließen. Nach Zappas Krebstod 1993 war die Witwe dort geblieben, umgeben von Memorabilia und den endlosen Regalmetern, in denen Zappa sein Schaffen dokumentiert hatte.
Winter traf offensichtlich den richtigen Ton. Er sei weniger am Gitarrengott als am Komponisten und Künstler interessiert, erklärte er. Und erhielt Zugang zu Zappas legendärem Archiv. Seine Begeisterung wich schnell der Ernüchterung, denn das Material war dabei, unrettbar zu vergammeln. So ließ er es mit einem Teil der Beiträge, die er zur Erstellung des Filmes über Kickstarter eingesammelt hatte, erst mal digitalisieren.
Als der Film mit dem schlichten Titel "Zappa" Ende 2020 erschien, war die Corona-Epidemie in vollem Gang, sodass er leider nicht die Aufmerksamkeit bekam, die er verdient hätte. Winter beginnt mit Zappas Auftritt in Prag 1990, kurz nachdem die Tschechoslowakei zu einer Demokratie geworden war. Der Empfang am Flughafen, wo er von Tausenden jubelnden Menschen fast erdrückt wurde, war Zappas Beatles-Moment. So viel Begeisterung hatte ihm bis dahin nie entgegen geschlagen, wie der Film strikt chronologisch erzählt, beginnend von seinen ersten Tagen bis hin zu seinem Tod.
Chronologisch geht es auch im Soundtrack zu, der einige bekannte Stücke aufgreift, aber auch Funde aus dem Archiv und Interviewschnipsel einstreut. Der R'n'B der allerersten Platten mit den Mothers Of Invention wich bald einem überbordenden Improvisationsdrang, der jedes Konzert zu einem Unikat machte. Was nicht bedeutet, dass Zappa damit Begeisterungsstürme entfachte, im Gegenteil. "Die Leute klatschen wegen dem größten Scheiß", erklärte er in einem Interview. Zwar schrieb er auch den einen oder anderen Hit, doch die schier ausufernde Diskographie mit 62 Alben zu Lebzeiten und 50 danach (Stand Anfang 2021) zeugt von einem rastlosen Geist, der jede seiner Ideen für die Ewigkeit festhalten wollte.
Sein größtes Vorbild waren weder Chuck Berry oder Elvis, sondern der französisch-amerikanische Avantgarde-Komponist Edgar Varése. Zappas größtes Problem war, die Gedanken, die pausenlos aus seinem Hirn sprudelten, musikalisch umzusetzen. Die Mitglieder seiner Begleitband kamen und gingen, überfordert und enttäuscht von schlechter Bezahlung und dem Mangel an Lob. Und doch voller Bewunderung für Zappas Ideen. Er trieb seine Musiker immer über ihre Grenzen hinaus, erklärt im Film stellvertretend Steve Vai, der zu Beginn seiner Karriere Anfang der 1980er Jahre bei den Mothers spielte, bevor er sich als Heavy Metal-Gott einen Namen machte. Lieber Spandex als verknotete Finger und tägliche Anschisse, also.
Zappa starb noch vor GarageBand und Pro Tools, Werkzeuge, die für ihn wie geschaffen gewesen wären. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre waren Computer und Programme endlich soweit, dass sich auf ihnen Musik machen ließ. Zappa war begeistert und verbrachte kettenrauchend seine Tage und Nächte vor dem Bildschirm. Wenn er sich nicht gerade vehement für künstlerische Freiheit einsetzte und dafür sogar vor dem US-Kongress sprach.
Das Establishment war ihm ansonsten ein Gräuel, und Zappa ließ keine Gelegenheit aus, Spießertum und Sittenwächter auf die Schippe zu nehmen. Bezeichnenderweise ist sein hierzulande wohl bekannteste Stück, "Bobby Brown Goes Down", auf dem Soundtrack gar nicht vertreten und im Film auch nur kurz zu hören. Die Geschichte des selbsterkorenen "American Dream", der sich in der ersten Strophe überlegt, einen Cheerleader zu vergewaltigen und in der letzten zu einem schwulen "Sexual Spastic" wird, war dem amerikanischen Publikum too much. Wie so viele seiner oft anzüglichen Texte.
Dem Geschäft schadete es nicht. Mit seiner Frau Gail als Managerin machte sich Zappa Ende der 1970er Jahre selbstständig und gründete sein eigenes Label. Stolz erzählt er im Film, dass er all seine Projekte selbst finanziere, ohne auf Stipendien oder öffentliche Zuwendungen angewiesen zu sein. Sein letztes war das orchestrale "Yellow Shark", erschienen einen Monat vor seinem Tod und aufgenommen in Frankfurt, Berlin und Wien.
Zwei Auszüge daraus sind am Ende des Soundtracks zu hören, der auf drei CDs oder gar fünf LPs üppig ausfällt. Neben 25 Aufnahmen aus den Alben sind auch zwölf Stücke aus dem geretteten Archiv zu hören. Zwischendrin ein bisschen Strawinski und Varése, dazu noch zwei Bands, die Zappa Ende der 1960er Jahre produzierte, Alice Cooper ("No Longer Umpire") und die Damen-Rockband GTO's ("The Captain's Fat Theresa Shoes").
Weniger interessant fallen lediglich die Beiträge des Komponisten John Frizzell aus, die im Streifen so gut wie nicht zu hören sind und auch nicht wirklich Sinn ergeben. Aber was solls. Frizzell, der sich mit "Beavis And Butt-Head Do America" seine Sporen verdiente, fungiert als Co-Produzent, ohne ihn wäre "Zappa" möglicherweise noch immer nicht fertiggestellt.
Auch wenn sie ihre Längen haben, lohnen sich Soundtrack und vor allem der Film. Zum Glück hatte Winter sehr viel Zeit und Herzblut investiert, denn mittlerweile wäre das Projekt kaum mehr realisierbar: Nach Gail Zappas Tod 2015 zerstritten sich die vier Kinder darüber, wie es mit dem Erbe weiter gehen sollte. Das Haus im Laurel Canyon verkauften sie ein Jahr später für knapp fünf Millionen Euro an Lady Gaga. Und als sie einzog, war der Raum mit dem Archiv leer. Ein kleiner Trost: Originaldrucke von "Zappa On The Crapper" gibt es bereits für wenige 100 Euro.
2 Kommentare mit 6 Antworten
Wo kann man den Film sehen?
Gäbe es nur eine schnelle und simple Möglichkeit, dies rauszufinden.
Ich hab online nichts gefunden, scheint irgendwie nur in Amerika zu funktionieren.
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
Itunes, google play und amazon prime haben den Film nicht (zumindest nicht in der Schweiz).
Möglichkeit 1: geolock mit vpn umgehen
Möglichkeit 2: den Jolly Roger hissen
Möglichkeit 3: warten
Zappa und Che, beides Marionetten mit Auftrag.