laut.de-Kritik
"Zu den Waffen" - Sabaton schauen neidisch.
Review von Emil DröllWenn man es nicht besser wüsste, könnte der Albumtitel "Heimat" ebenso gut aus der ideologischen Werkstatt von Frei.Wild oder den Böhsen Onkelz stammen – riecht er doch nach erdigem Pathos, triefend vor Sentimentalität, bereit zum Missbrauch. Doch Heaven Shall Burn sind nicht bekannt dafür, sich naiv an schwammige Begriffe zu klammern. "Heimat ist eines der schönsten und gleichzeitig hässlichsten Wörter der deutschen Sprache", sagen sie selbst. Und so machen sie sich auf, diesen schwer beladenen Begriff zu demontieren, zu dekonstruieren, vielleicht sogar zu retten – auf ihre Weise.
Wichtig ist: Wenn Heaven Shall Burn von "Heimat" sprechen, meinen sie weder das beschauliche Saalfeld noch irgendeinen anderen Punkt auf der Landkarte. Es geht um ein ideelles, ein ideologisches Zuhause. Heimat als Haltung. Als Widerstand.
Das Album beginnt mit einem leisen Paukenschlag: "Ad Arma" – lateinisch für "zu den Waffen". Kein martialischer Aufruf zur Selbstverteidigung, sondern ein orchestrales Intro aus der Feder von Sven Helbig, der schon auf früheren Alben für atmosphärische Spannungsbögen sorgte. Wer hier blutigen Sabaton-Kitsch oder Onkelz-Romantik befürchtet, wird enttäuscht – oder erleichtert. Denn bei HSB geht es nie um Kriegsverherrlichung, sondern um Reflexion, Provokation, Haltung.
Der erste wirkliche Einschlag folgt mit "War Is The Father Of All". Bombast, Chöre, Riffs – ein Einstieg wie ein Donnerschlag. Der Titel zitiert Heraklit, das Thema ist der Ukraine-Krieg. Für die Umsetzung hat Dirigent Wilhelm Keitel ukrainische Musiker ins Boot geholt – ein künstlerischer Schulterschluss. Gitarrist Maik Weichert kommentiert seine Jugend hinter dem Eisernen Vorhang bitter: "Wenn du mich angreifst, gibt's auf die Fresse – das scheint der menschlichen Natur mehr zu entsprechen als der Wunsch nach Frieden".
Das Album ist in zwei Hälften gegliedert, getrennt durch drei orchestrale Zwischenspiele. "Imminence" markiert die Zäsur – ein düster-melancholischer Schnitt mit Kriegsgeräuschen und leidenden Stimmen im Hintergrund. "Inter Arma" schließlich beendet das Album wie der Abspann eines Films ohne Happy End – kalt, resigniert, würdevoll.
Natürlich bleiben Heaven Shall Burn auch auf "Heimat" politisch am Puls der Zeit. In gewohnt direkter Manier heißt es: "Vereinfacht gesagt: dass milliardenschwere Rüstungskonzerne sich jetzt wieder die Taschen vollhauen, nur weil Aufrüstung gerade als einziger Weg erscheint, Frieden zu sichern". Zynisch? Nein – realistisch. Musikalisch bleibt man der Linie treu: "War Is The Father Of All" bietet kernige Hardcore-Riffs, garniert mit Pinch Harmonics und Chören. "My Revocation Of Compliance", "Confounder" und "Empowerment" dreschen sich mit typischem Metalcore-Sound durchs Set – solide, aber nicht überraschend.
Ein Lichtblick ist "A Whisper From Above" – thematisch eine Hommage an Irene Gut, eine Krankenschwester, die im besetzten Polen zahlreiche Jüdinnen und Juden rettete. Doch musikalisch bleibt's beim klassischen HSB-Ansatz: Alles schreit, alles drischt, alles dröhnt – wo neue Töne vielleicht mehr gesagt hätten.
Die zweite Hälfte bleibt hinter den Erwartungen zurück. "Those Left Behind" schleppt sich durch bekanntes Terrain, "Ten Days In May" zieht das Tempo zwar wieder an, aber Überraschung klingt anders. Die Killswitch Engage-Coverversion "Numbered Days" mit Jesse Leach bringt dann endlich die ersehnte Abwechslung – aber die Lorbeeren gehen an die Vorlage. "Dora" und "A Silent Guard" knüpfen eher ans Gewohnte an, Letzteres immerhin mit einem Hauch nostalgischer Früh-HSB-Vibes.
Unterm Strich ist "Heimat" ein solides Werk mit klarem politischem Profil – ein musikalisches Manifest gegen Gleichgültigkeit. Inhaltlich stark, musikalisch eher Dienst nach Vorschrift. Zu generisch, zu vorhersehbar. Dem gewaltigen "Of Truth And Sacrifice" muss sich "Heimat" deutlich unterordnen – ohne die Diskografie zu beschmutzen, aber auch ohne neue Maßstäbe zu setzen. Ein wichtiges Album, ja. Ein großes? Leider nicht ganz.
4 Kommentare mit 17 Antworten
Hallo Emil, die Onkelz würden sicher niemals eines ihrer Alben "Heimat" nennen. Denken aber sicher viele, die nicht auf sie klar kommen, weil...gähn. Mit Freiwild kenne ich mich nicht aus.
Ist das der gleiche Grund, weswegen die Onkelz sicher auch niemals eines ihrer Alben "Auto fahren", "Cocaine is a hell of a drug" oder "gute Musik" nennen würden?
"Denken aber sicher viele, die nicht auf sie klar kommen, weil...gähn."
Du kannst dein Geheule gerne als Gleichgültigkeit tarnen, aber ich kann die Schnappatmung bis hierhin hören. Richtig so, Onkelz- bzw. Deutschrockfans sollen auf ewig leiden
Heimat bedeutet, eine Rezension auf Laut.de zu bekommen
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Das sind noch richtige Menners. Geistbefreite Freigeister. Harte Rebellen. Lassen sich von niemandem was sagen.
Aber gottseidank gibts Typen im Internet, die heulen, wenn jemand was schreibt, was auch nur nach nem Hauch von Bemängelung aussieht.
Stimmt, die nennen ihre Lieder lieber "Deutschland", "Deutschland den Deutschen", "Fussball und Gewalt", "SS-Staat", oder "Türken raus".
Das ist was anderes, nicht wahr?
Richtig, bis 1984 war das noch so.
Also quasi gestern.
Jaja, die Diskussion kenne ich, ich halte die auch nicht für Nazis. Olli Schulz hat dazu seinerzeit alles gesagt. Aber die Aussage, sie würden sich "niemals" in dieses Fahrwasser begeben, die ist dann doch nicht haltbar.
@Schwingster - Sorry für die späte Reaktion, hab bis eben gepennt. Also Schnappatmung hab ich wirklich nicht, und ich hoffe ganz doll, dass Du mir das glaubst und alle anderen auch.
@Funky_Bob
Passt schon.
Finde es halt generell ein wenig schwierig 40 Jahre alte Geschichten immer wieder aufzuwärmen.
Würde ja auch niemals behaupten dass eine Rockband aus Thüringen SELBSTVERSTÄNDLICH ein Album namens „Heimat“ veröffentlichen muss.
Wäre wirklich unfair.
Lost7 - ein wichtiger Muppet, ja. Ein großer? Leider nicht ganz.
Eines Tages wird aus dem kleinen Wiesel bestimmt ein großer Marder.
"Vereinfacht gesagt: dass milliardenschwere Rüstungskonzerne sich jetzt wieder die Taschen vollhauen, nur weil Aufrüstung gerade als einziger Weg erscheint, Frieden zu sichern". Zynisch? Nein – realistisch. Das würde ich nochmal anders formulieren. Ganze Sätze helfen bei der Einordnung. Warum sollte Kritik an der Aufrüstung und einem neuen kalten Krieg zynisch sein?
Also ich habe damals meine Pflicht beim Wehrdienst erfüllt, und jetzt freut sich mein Depot, wenn ordentlich aufgerüstet wird.
Das ist zynisch. Ich dachte die Rheinmetallaktie läuft gerade nicht sehr gut?
Joa, kommt halt drauf an, welchen Zeitraum man betrachtet. Unterm Strich kann ich aber echt nicht meckern. Wegen des 5-Prozent-Ziels der NATO kann man aber hoffen, dass es noch abgeht.
Zynisch ist das wohl schon, das gebe ich unumwunden zu. Die Kritikpunkte verstehe ich alle und kann sie nachvollziehen, aber ehrlich gesagt ist mir das alles äußerst egal, solange ich am Rüstungsboom einen schmalen Euro mitverdiene. Ich bin halt kein stinkreicher Rockstar wie die Dudes von HSB und muss schauen, wo ich abbleibe.
Damit die Bevölkerung die exorbitanten Rüstungsausgaben ohne Murren hinnimmt, muss ihr Angst vor einem Angriff der Russen eingejagt werden. Der Kriegseintritt der NATO dürfte daher für 2029 oder 2030 terminiert sein, so meine Vermutung. Bis dahin gibt es vielleicht auch wieder einen neuen, kriegstreiberischen US-Präsidenten. Was sind denn unsere Sicherheitsinteressen? Krieg mit Russland und das eigene Land für ukrainische Rechtsextremisten ruinieren? Sieht man jetzt ja in der Ukraine, wo Männer eingezogen werden (warum eigentlich nur Männer?)
Nomanhasgonebefore: 50%+ seit März. Läuft nicht gut ist sehr relativ.
We don't need no education
We don't need no thought control
No dark sarcasm in the classroom
Teacher, leave them kids alone
Heaven Shall Burn habe ich damals 2003 auf Wacken im Newcomer-Zelt gesehen. War instantly Fan. Inzwischen bin ich es aber nicht mehr — da ist der weltanschauliche Graben dann doch zu tief und breit. Wenn es nur die Instrumentals ohne diese dämlich verstellte Stimme wäre, wäre es was anderes. Aber das sieht man mit 19, 20 vielleicht noch anders.