laut.de-Kritik
Die beste Rapperin bleibt meilenweit unter ihren Möglichkeiten.
Review von Dani FrommWir haben "Sometimes I Might Be Introvert" gehört und wissen: Little Simz kann es opulent. Wir hatten davor schon "Grey Area" gehört, und wussten längst: Karg kann sie es noch viel besser. Verschiedene "Drops" dazwischen zeigten: Diese Frau schafft von experimentell bis tanzbar obendrein alles Mögliche andere. Angesichts ihrer Diskografie mutet die schon mehrfach aufgestellte Behauptung, es handele sich bei Little Simz um die beste Rapperin, die derzeit auf diesem Planeten wandelt, gar nicht wie eine besonders steile These an, eher wie eine nüchterne Tatsachenfeststellung. Falls dennoch noch jemand Zweifel hegt: Der Eröffnungstrack dieses neuen Albums sollte eigentlich genügen, um sie restlos zu pulverisieren.
Der superpräsente, warme Bass des Openers weckt unmittelbar schon lange schlummernde Erinnerungen. MC 900 Ft. Jesus' Brandstifter-Hymne "The City Sleeps" flackert kurz in meinem Kopf auf, gefolgt von dem Gedankenblitz, ich müsse dringend mal wieder Melks "Sports" rauskramen (immer eine hervorragende Idee). Zusammen mit den Drums setzt dann aber der Rap ein, und es ist sofort klar: Diese MC hier, die ist ein ganz anderes Kaliber, und man möchte wirklich nicht derjenige sein, der ihr ins Visier gerät. Die Gefahr erscheint jedoch gering, der Platz im Fadenkreuz ist bereits besetzt.
Little Simz nennt in ihrer Abrechnung zwar keinen Namen. Um zu ahnen, wen sie da des Diebstahls bezichtigt und auch darüber hinaus in mannigfaltigen Vorwürfen ersäuft, braucht es allerdings keine ausgeprägte detektivische Ader. Dass sich Simz mit ihrem ehemaligen Produzenten Inflo nicht nur überworfen, sondern sie ihn obendrein verklagt hat, ist bekannt. Beim Geld hören offensichtlich selbst lange gehegte Kindheitsfreundschaften auf. Wenn es sich um siebenstellige geliehene und nie zurückgezahlte Summen handelt: mehr als verständlich.
"This person I've known my whole life coming like the devil in disguise." Die Enttäuschung darüber, emotional manipuliert und finanziell ausgenommen worden zu sein, sitzt tief, sie klingt aus jeder Zeile von "Thief" (und, wie sich noch zeigen soll, auch aus etlichen weiteren Tracks). Zorn, Rachegelüste, Selbstzerfleischung, Schadenfreude: Wie unmittelbar Simz ihre Emotionen in Flow verwandelt, ist schlicht nicht von dieser Welt. Kein Scheiß: "Thief" allein ist dieses ganze Album wert. Das Highlight haben wir damit dummerweise bereits hinter uns, besser wird es nicht mehr.
Inhaltlich ergibt "Lotus" auf voller Länge Sinn. Little Simz verhandelt, wie gesagt, ihr Zerwürfnis mit ihrem nun ehemaligen Weggefährten. Es dürfte endgültig sein, eine Versöhnung erscheint angesichts der harten Worte äußerst unwahrscheinlich. Die aus der Trennung resultierenden Selbstzweifel, Zukunftsängste, ihre Ratlosigkeit: All das bringt Little Simz zur Sprache. Schonungslos legt sie ihre labile mentale Verfassung offen und sucht Antworten auf die Frage, wie es nun weitergehen könnte, und ob überhaupt.
Ihr Königsweg zur Rettung: Selbstliebe. Allerdings muss man an den Punkt, die eigene Person mit allen Fehlern und Blessuren annehmen und umarmen zu können, erst einmal gelangen. Dass dorthin keine schnurgerade Straße führt, sollte klar sein. Dass ein Track so, der andere so, der dritte noch einmal ganz anders klingt: nachvollziehbar. Als Album funktioniert "Lotus" trotzdem nicht, es wirkt schlicht viel zu zerfahren. Dem mächtigen Opener "Thief" einen Track wie "Flood" nachzuschieben, passt noch irgendwie. Für Obongjayars etwas dünne Hook entschädigt die schnatternde Gesangseinlage auf Zulu. Der Klarstellung, sie sei "not the type to abuse all my power", lässt Simz im dritten Vers noch einen Schwung Regeln folgen, um im Business wie im Leben nicht abzusaufen: So weit, so sinnig.
Danach läuft Vieles aus dem Ruder. "Young" markiert den ersten von leider mehreren Totalausfällen. Zwar macht das zugehörige Video Spaß, doch ohne die Bilder bleibt dem Track nur der Bass. Der wiederum tröstet nicht ausreichend darüber hinweg, dass Simz da einen unerträglich ranzigen Rapstil auspackt, der vielleicht Ende der 90er noch irgendwie durchgegangen wäre (Wir hatten ja nix!). Einer MC von Simz' Qualitäten ist dieses Geholpere schlicht unwürdig, eine kolossale Talent-Verplemperung, die eigentlich unter Strafe gestellt gehörte.
Es geht aber noch schlimmer. Im darauffolgenden "Only" rappt Simz zwar wieder, diesmal jedoch über seichten Barpiano-Bossanova, gekrönt von einem Dudel-Chorus, der sich ohne großen Aufwand direkt zu Sülze weiterverarbeiten ließe: empörend belanglos. "Free" macht seinem Titel ebenfalls alle Ehre: Frei von jeglichen Ecken und Kanten referiert Simz zu Streichern, Akustikgitarren und Gesängen einen Vers lang über die Liebe, einen zweiten über Furcht. Was ein kraftvolles Plädoyer für Heilung durch Eigenliebe hätte werden können, versandet in betulichem Mumpf.
Wenn ich (wogegen gar nichts spricht) Spoken Word-artig geflowte Tracks hören will, geh' ich zum Poetry Slam oder hör' Kae Tempest. Little Simz wirkt in diesem Duktus, als bliebe sie so ärgerlich tief unter ihren Möglichkeiten, dass ich es kaum schaffe, drauf zu achten, was sie da überhaupt deklamiert. Ich kann auch schlecht entscheiden, was mir gewaltiger auf den Nerv geht: der ölige R'n'B-Gesang in "Peace" oder doch der wie direkt aus einem alten Revuefilm in Schwarzweiß gezwickte Streicher-Kitsch von "Hollow".
Zum Glück reißen danach etliche Grandiositäten das Ruder wieder herum. Das supercoole, so funky wie weirde "Enough" zählt dazu. "Lion" mit seinem Reggae-Touch und dem Curtis-Mayfield-Vibe, den Lieblings-Featuregast Obongjayar hier mitbringt. Besonders "Blood", in dem Wretch 32 und Simz Bruder und Schwester geben: Am Telefon setzen sie sich gegenseitig über ihre jeweiligen Struggles aufs Laufende und kommen sich darüber einander fast unmerklich wieder näher. Vom ersten "Hallo? Hallooo?" an: ganz großer Sport, sowohl thematisch als auch in der Art und Weise, wie wir es serviert bekommen.
Es folgt der Titeltrack, der erneut gar nicht funktioniert. Unentwegt nimmt Michael Kiwanuka mit seinen behäbigen Parts der unglaublichen Dringlichkeit in Simz' Performance den Wind aus den Segeln. Er singt makellos, wie immer halt, raubt dem Track jedoch jedwede Dynamik. Warum dieses Trauerspiel sechseinhalb Minuten dauern muss? Nun, wohl um zusätzlich zu den üppigen Streichern (von denen wir doch langsam wissen, dass sie Simz nicht besonders gut stehen) auch noch Gesänge und Glockengeläut unterzubringen und überhaupt vollkommenes musikalisches Chaos anzurühren.
Nee, so ganz scheint der Neue an den Reglern sein Rezept noch nicht gefunden zu haben. Soll dieser wirre Haufen unausgegorener, überfrachteter Produktionen am Ende ein Statement sein, um sich klar von seinem Vorgänger abzugrenzen? Oder weiß Miles Clinton James schlicht nicht, was er mit einem Jahrhunderttalent wie Little Simz anstellen soll? Hoffentlich kommt er schnell dahinter. Sie bräuchte ja gar nicht viel. Im Gegenteil: Sie bräuchte viel weniger.
3 Kommentare
Puh, das seh ich deutlich anders. Mittlerweile hab ich das gleich hoch wie "SIMBI". Das ist schon wieder brutal stark was sie gemacht hat. Lyrisch ein Wahnsinn!
War nach dem ersten Hören auch massiv enttäuscht, aber mit jedem weiteren Durchgang offenbarten sich neue Facetten. Inzwischen würde ich sogar sagen, es ist ihre bisher beste Platte.
Muss der Review zustimmen, da sind einige großartige Tracks drauf, aber der ganz große Wurf ist es wegen einigen Totalausfällen und Ideen, die bei mir nicht gezündet haben, nicht geworden. Und das in Kombi mit den großartigen Projekten davor hinterlässt halt einen ernüchternden Beigeschmack. Für sich genommen ja, da könnte man es noch als sehr gutes Album bezeichnen, aber leider war da eben diese Erwartungshaltung.