laut.de-Kritik
Noch irgendwelche Fragen, wer der "Boss" ist?
Review von Dani Fromm"Me again." Über staubigen Drums und knarzigem Bass bat Little Simz im vergangenen September erneut um Aufmerksamkeit, ganz höflich zunächst: "Allow me to pick up where I left off." Das wars dann aber auch schon mit britischer Zurückhaltung. "I don't care who I offend", stellt die Londonerin klar und unterstreicht ihren Anspruch, in dem sie sich im Vorübergehen mal eben mit Jay-Z, Picasso und Shakespeare vergleicht.
Kann man machen. Immer vorausgesetzt, man hat von Technik über Inhalt bis zur Attitüde schlicht alles drauf, sich zudem den perfekten Produzenten und die richtigen Vorbilder ausgesucht: "Learnt from Ye, then I went and touched the sky." Ja, kann man machen. Vorausgesetzt, man ist Little Simz und "Boss".
"All I do is kill shit even when I'm chillin'", besser lässt sich ihre Leistung tatsächlich schlecht zusammenfassen. Mit "Grey Area" macht diese Frau so vieles richtig, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Dabei strömt innere Zerrissenheit aus jeder Zeile. Little Simz hadert mit sich und der Welt, mit enttäuschten Erwartungen, Unsicherheit, Zukunftsangst und Diskriminierung.
"Life sucks", so etwa die wenig erfreuliche Feststellung zu Beginn von "Venom". "Pressure", "Therapy" und vor allem das wirklich schmerzhafte "Sherbert Sunset" leuchten tief in eine verletzte Seele. In "Wounds" gibt Little Simz dann eher den Beobachter von außen. Sie muss die Geschichten, die sie da anreißt, gar nicht ausformulieren, um sie zu erzählen. Schlaglichter genügen, weil sie genau die richtigen setzt.
Little Simz' technische Stärke lässt die Qualität ihrer Lyrik doppelt hell strahlen. "I mastered my flow like Dizzee and Busta": Auch hier wirken die hoch gegriffenen Vergleiche nicht übertrieben, sondern drängen sich geradezu auf. Conscious-Rap mit Hip Hops Hybris, dabei grantig wie Grime und sensibel wie Soul: eine in jeder Hinsicht umwerfende Kombination.
Dafür die passenden Beats zu finden, dürfte sich einigermaßen schwierig gestalten. Es sei denn, man ist Little Simz und "Boss" und hat genau den richtigen Menschen dafür bei der Hand: Seit Kindertagen ist sie mit Inflo befreundet. Der britische Produzent setzte unter anderem bereits Michael Kiwanuka oder The Kooks ins richtige Licht.
Er kreiert für "Grey Area" eine ganz eigene Soundästhetik. Es dominieren knorrige, schräge Basslinien und geradezu klassische Drums, die den Tracks einen minimalistischen Anstrich geben. Verrückterweise lässt sich dieser Eindruck auch dann nicht vertreiben, wenn man sich die Fülle der musikalischen Details vor Augen führt.
Streicher und Chöre in "Offence", Synthies und elektronisches Gefiepe in "Boss", Klavier und Soulgesang in "Selfish": In jedem einzelnen Track steckt so viel, dass ich einfach nicht verstehe, wie diese Beats so schlank, aufgeräumt und reduziert wirken können.
Die Akustikgitarre zu Beginn von "Wounds" klingt einen Moment lang, wie im Unplugged-Set von Alice in Chains aufgeschnappt, ehe Streicher und Bass die Atmosphäre ins Gespenstische kippen lassen. Parallel dazu nimmt Little Simz Fahrt auf. Ihr vordergründig ungerührter Vortrag lässt hier wie an vielen anderen Stellen durchblicken, dass sie sich die äußerliche Ruhe jedoch hart, sehr hart erarbeitet hat.
Es laufen halt immer noch viel zu viele Unbelehrbare herum. Männer, die unbeirrt glauben, der Welt erzählen zu müssen, was jemand "als Frau" kann oder eben nicht, statt einfach zuzuhören: "Fuck those who don't believe", bekämen sie dann ihren Sexismus um die eigenen Ohren geschlagen. "They would never wanna admit I'm the best here from the mere fact that I've got ovaries."
Hilfestellung wäre eigentlich nicht nötig, Little Simz könnte "Grey Area" locker auch ganz alleine tragen. Doch warum sollte sie? Cleo Sols süß gehauchter Soulgesang bildet in "Selfish" maximalen Kontrast zu Simz' eigener, dunklerer, kantigerer Stimme. Genauso fügt Chronixx "Wounds" eine bereichernde Facette hinzu. Wieso allerdings ein schäbiges Fade-Out seinen Gesang abwürgen muss ... muss ich nicht verstehen.
Michael Kiwanuka veredelt den zehnten und letzten Track. "You always won", heißt es da. "You got the power, flowers all for you." Einer ganzen Reihe zu früh verstorbener Kollegen sind diese Blumen gewidmet, für Little Simz' sollte allerdings auch mindestens ein dicker Strauß abfallen. "Teach my daughter about the wonders of the world, I'm convinced if she's anything like me I'm raisin' a king."
10 Kommentare mit 6 Antworten
Endlich mal wieder ein Rap-Album, das sich frei von irgendwelchen Effekten und Autotune-Geplärre irgendwo eine eigene Nische schafft, gespickt mit tollen Samples aus verschiedenen Bereichen und geschmackvoll ausgewählten Features. Vom Flow klingt das auch um Einiges flüssiger und lockerer als auf dem Debüt, das mir noch eine Nummer zu anstrengend war. Muss gerade mal schauen, was die Einzeltracks separat so taugen. Ansonsten eine angenehme Überraschung.
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https://www.laut.de/Yugen-Blakrok/Alben/An…
Schon gehört. Schön abstrakter Sound mit mystischen Raps. Gefällt mir echt gut.
Danke für den Hinweis. Hatte ich ganz vergessen mal genauer anzuhören, und es ist sehr, sehr gut.
sehr schön durchzuhören. Bis jetzt keine offensichtlichen highlights, eher aus einem guss. asiatische samples haben überrascht.
5/5 passt. Nahezu perfektes Album, an dem es nichts auszusetzen gibt. Technisch und inhaltlich so gut, dass das enorme Selbstbewusstsein im opener einfach nur passend erscheint.
Die Produktionen klingen in den besten Momenten so, als wenn Jay Dee einige Zeit in London verbracht hätte. Ich glaube, dass ist auch der Grund dafür, dass sie so minimalistisch klingen, diese Trockenheit die Dani eigentlich ja so auch beschreibt.
Und Fade out bei Wounds soll mMn Teil der Botschaft sein, da Chronixx ja am Ende nach der Herkunft der Waffen fragt.
Die Review bringt aber alles in allem das Album perfekt auf den Punkt
jay dee in london, alter! ärgere mich, dass mir das nicht eingefallen ist - genau, was es ist!
Danke dir
Geiles Teil, wenn auch recht kurz, aber von vorne bis hinten top! In "Selfish" flowt sie wie ein weiblicher Q-Tip, finde ich. Und abgesehen vom 'typischen' UK-Sound erinnert mich der Vibe teilweise auch an das alte Outkast.
So gut!
Mordsalbum. Nach "Boss" spätestens aber bei "Venom" wollte ich eine Frau werden. Menstruationsversuche mündeten aber lediglich in Urinverlust.