laut.de-Kritik
Ganz genau dafür wurde das Genre geboren.
Review von Yannik GölzMan würde es angesichts der aktuellen Dominanz von Kendrick, SZA und Doechii nicht vermuten, aber: Für eine ganze Weile wirkte es so, als würde sich das Westküsten-Legendenlabel TDE auf dem absteigenden Ast befinden. Kendrick war im Begriff zu gehen, Doechii als neues Zugpferd noch nicht etabliert. Stattdessen gab es eine ganze Reihe an Acts, die Top Dawg persönlich auf irgendwelchen schattigen Pfaden aufgegriffen haben muss: Lance Skiiwalker, SiR, Reason. Alle drei wirkten erst mal wie neosoulige, vielversprechende Storyteller - bis die Fans nach dem ersten Hype tatsächlich mal in deren überschaubar interessante Alben reinhörten.
Es stellte sich raus: Es ist schwerer, ein Kendrick-Klon als ein Future-Klon zu sein. Kein Urteil, nur eine Beobachtung. Und nicht nur bei Top Dawg desensibilisierte sich die Hörerschaft schnell für großspurige Langweiler, die auch gerne epische Alben machen würden, dafür aber schlicht entweder nicht genug zu erzählen oder nicht genug erzählerisches Talent haben.
Allein das kann ich mir als Grund zusammenreimen, dass dieses ganz neue TDE-Signing von der Szene nicht mit Pauken und Fanfaren empfangen wurde: Ray Vaughns Debütalbum "The Good The Bad The Dollar Menu" ist schweinegut. Klar, es steht vielleicht noch ein wenig in Kendricks Schatten - und man merkt, dass da jemand sein "Good Kid, M.a.a.D City" machen möchte. Aber dieses Album ist nicht derivativ, nur weil es klare Einflüsse mitbringt. Ray Vaughn entpuppt sich als eine der hungrigsten Stimmen, die der Conscious-Rap in den vergangenen Jahren gesehen hat.
Es ist gleichwohl taktisch unklug platziert, wenn das Album auf "FLOCKER's Remorse" direkt mit einem Skit eröffnet, in dem Verwandte des Protagonisten über ein Fast Food-Restaruant fachsimpeln. Klar, Rays Onkel fragt hier immerhin nicht, wo sein Domino's bleibt, aber die Assoziation ist so klar wie unmissverständlich. 'Achtung Leute, jetzt wirds persönlich!' Das Ding ist: Es wird sofort darauf hella persönlich, Ray reißt schon auf dem Opener zwei absolute Monsterverses runter.
Sein großes Motiv wird direkt deutlich: Es geht um Hunger. Wortwörtlich. Verse eins auf dem Album könnte so etwas wie ein Business-Bericht des Scheiterns sein. Als wolle Ray allen potenziellen Investoren erst mal klar machen, dass er ein absolutes Wrack ist. Das fängt prosaisch an ("I got bills pilin' up, fridge еmpty too / For a week straight, chicken noodle soup / Call from my side bitch, she said the baby due / Bucket catchin' all the rain holes in my roof"), wird zwischendurch galgenhumorig-lyrisch ("That n*gga that invented flockin', I bet he was broke / If I leave the house and come back wit' nothin', it's a long way home") und endet mit einem Fazit am absoluten Nullpunkt: "I'm scared that if I go to sleep, then I might die a bum / I'm scared my people can't count on me, ain't scared of dyin' young / I made four-fifty, the first thing I did was buy a gun / I had eight jobs this year and I got fired from every one".
Was für ein Scenesetter! Nach fünfzig Jahren Hip Hop-Aufstiegsgeschichtenkitsch verkommt das 'davor' gerne zum marottigen 'Bruder du weißt, wir hatten nichts'. Aber Ray Vaughn zeichnet auf diesem Album ein schonungsloses Bild des liebenswerten Losers, den er mit diesem Album überwinden möchte. Dies vertieft er wenig später beim nächsten Highlight: Auf "FLAT Shasta" stellt er sich Verhältnis zu seiner Mutter. Glaubt mir, das hier ist kein 'Ich kaufe Mama ein Haus'-Track. Das hier schneidet wahnsinnig tief. Er adressiert Schizophrenie und Suizid. Lässt aufblitzen, was zwischen Mutter und Sohn passiert ist. Dabei bleibt sein Ton schnörkellos und einfühlsam.
Aber natürlich wird nicht nur mit beiden Händen in der Seele gewühlt, es gibt neben den neosouligen Rucksackrappertracks auch ein paar härtere TTunes. Nummern wie "XXXL Tee", "Klown Dance" oder "Look @ God" zeigen, dass Ray auch offensiv kann. Dass er Trap-Beats kann, vielleicht auch ein Stück weit, dass seine musikalisch größte Referenz vermutlich weniger Kendrick, sondern vielmehr ein junger Jay Rock sein dürfte. Trotzdem klingen Flow und Adlibs auf dem zweiten Part von "Dollar Menu" vielleicht doch ein bisschen nach den Kendrick-Parts auf "Family Ties".
Nein, dieses Tape hat wirklich alles, was man auf einem Debütalbum gerne hören würde. Nicht nur formell. Hier macht es sowieso alles richtig. Im Gegensatz zu einem J.I.D. oder einem IDK emuliert Ray Vaughn nicht nur die Sounds, die wir von in Klassiker-Alben her kennen. Dieses Album hat einen Protagonisten, der ehrlich, ehrlich, ehrlich viel zu erzählen hat - und es wird keine Sekunde langweilig, ihm zuzuhören. Das ist kein Rucksack-Gewichse, hierfür wurde dieses Genre geboren.
Klar, es gibt vielleicht ein paar kleine Kinderkrankheiten. Mir persönlich sind es ein paar R'n'B-Sängerinnen zu viel, die zwischen den heftigen Parts diese typischen emotionalen Refrains säuseln. Und Ray könnte sicher auch noch ein bisschen wagemutiger dabei werden, welchem Beat er welche Stimmung zugesteht. Gerade ist doch reduzierter Boom Bap noch eher traurig und selbstreflektiert, Trap dagegen turnup und selbstbewusst. Ein bisschen mehr Stilbruch, bitte! Aber das sind Kleinigkeiten, die man einem so vielversprechenden Debüt gerne verzeiht. Wenn das der Einstand ist, dann bin ich absolut hype auf das nächste Projekt.
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