laut.de-Kritik
Nach erfolgter Verwesung hilft keine Einbalsamierung mehr.
Review von Artur SchulzNein, man kann Paul Potts persönlich nichts ernsthaft Böses nachsagen. Warum auch? Denn immerhin für ihn erfüllte sich unser aller insgeheimer Traum vom unverhofften Aschenputtel-Glück. Doch wie und auf welche Weise diese Erfolgsstory nun sülzfleischmäßig zerlegt, eingekocht und eingemacht in die Pop-Supermärkte geschüttet wird, hat schon etwas Anrüchiges. Handelt es sich gar um schnöden Kommerz statt hehrer Kunst?
Mit "Passione" ist Potts Zweitling betitelt, also dem italienischen Begriff für Leidenschaft. Es handelt sich bei den elf Songs allerdings eher um die Suche danach. Kurz gefasst: Man wird nicht fündig. Kein Wunder bei all diesen abgehalfterten Songs aus wurmzerfressenen Truhen der Musik-Historie. Nach erfolgter Verwesung hilft auch keine Einbalsamierung mehr. Und warum eigentlich bekommen all diese Leichen einen italienischen Namen verpasst? Na gut, schnöder Muckefuck verkauft sich als Macciato getarnt schließlich ebenfalls besser.
Die Gitarre zupft, die Harfe perlt, eine Heerschar Streicher döst in der Abendsonne, bevor mächtige Paukenschläge sie plötzlich wecken: Nach diesem schlichten Muster ist der Großteil der Songs auf Pauls neuem Album gestrickt. Das beginnt mit dem Opener "La Prima Volta" und setzt sich mit "Sei Con Me", der Adaption einer Sarah Brightman-Schnulze, weiter fort. Hier noch mit einem Schuss mehr Pauken-Heftigkeit am Ende, die das ebenfalls einsetzende, godzillaträge Schlagzeug rasch in die Flucht treibt. Als Duettpartnerin fungiert eine gewisse Hayley Westenra, deren Nachnamen Assoziationen an die bedauernswerte Lucy Westenra aus Bram Stokers "Dracula" weckt. Blutleer ists allemal.
Die Kunstvortäuscherin Sarah Brightman fungierte einst als Gattin des Musical-Produzenten Andrew Lloyd Webber. Kein Wunder also, dass das seit Jahrzehnten totgenudelte "Memory" aus "Cats" hier als "Piano" einen erneuten Wiedergänger-Auftritt hat. Staub von scheinbar Jahrhunderten des Vergessens wirbelt auf, als sich Potts über den Schmachtfetzen "A Whiter Shade Of Pale" von Procol Harum hermacht. Einst ein Vorzeigestück psychedelischer Lebenskultur der sechziger Jahre, hat die Nummer in seinen Händen nicht nur alle echten Zähne, sondern auch das Zweitgebiss verloren. Das Schlagzeug steht unter Morphium, und was die trägen Streicher bekommen haben, möchte ich lieber nicht wissen.
Ganz zum Schluss lockt eine Reise ins Zauberreich der Operette - tatsächlich, Franz Lehárs "Dein Ist Mein Ganzes Herz" aus dem Werk "Das Land Des Lächelns" verspricht ein wenig Stil und Klasse. Doch diese Fassung dümpelt irgendwo zwischen Liberace und Mantovani, keine Spur von etwa einem knackigen James Last-Arrangement. Das wäre aber wohl auch zuviel des Tempos und dem Anspruch, aus schnödem Pop Klassik zu schneidern. Oder handelt es sich bei den elf Songs um die Transformation von Klassik in Pop? Keine Ahnung, eine Antwort wüsste vielleicht Crossover-Altmeister Luciano Pavarotti, aber der ist seit einiger Zeit auch nicht mehr so recht greifbar.
Auf dem Alben-Cover schaut Paul Potts nachdenklich ins unter ihm schlafende Venedig herab, es scheint eine bleierne Zeit. Ebenso wie die Lagunenstadt kämpfen seine Interpretationen gegen das Versinken ins große Nichts. Doch der einzige Rettungsring, den die Produzenten für ihren Star in "Passione" vorrätig haben, trägt unglücklicherweise die Aufschrift "Titanic".
26 Kommentare
Zitat (« Doch der einzige Rettungsring, den die Produzenten für ihren Star in "Passione" vorrätig haben, trägt unglücklicherweise die Aufschrift "Titanic". »):
Coverversion von "My Heart Will Go On"?
großes Kino!
Danke, Artur.
muharr, ja.
mehr grütze, weniger blondchen zu artur!
@dein_boeser_Anwalt (« da würde mich ja wirklich mal deine meinung interessieren zu leuten, die in siolcher hinsicht auch kompositorisch arbeiten bzw als arrangeure interessante sachen abliefern.
man denke nur an "haggard" »):
Deine Frage zu "Haggard" zu beantworten, fällt mir recht schwer. Ich habe mir inzwischen mal ein paar Videos der Band angeschaut. Vielleicht soviel: es ist auf jeden Fall interessant und eigenwillig, was die Band macht. Schon für die Idee, klassisch inspirierte Klänge mit eher ungewöhnlichen Instrumenten mit aktuellem Sound zu koppeln, verdienen sie Respekt und es ist ganz sicher künstlerisch ok, was die machen.
Allerdings ist das nun so gar nicht meine Musik. Ich kann mit Metal und Punkrock nun einmal recht wenig anfangen, was aber einfach eine Frage des persönlichen Geschmacks und nicht der Leistung der Künstler ist. Es gibt aber in jedem Genre gute und weniger gute Leute und meiner Meinung nach gehört "Haggard", soweit ich das nach ein paar Hörproben beurteilen kann, eher zu den guten und wirklich innovativen Künstlern.
Mir gefällt aber die an den klassischen Stil angepasste Popmusik - ohne größere "Stilbrüche" - besser. Und eben deshalb halte ich Celine Dion und auch Sarah Brightman für wirkliche Könnerinnen ihres Fachs. An der Paul-Potts-CD stört mich auch weniger der Sänger selbst, sondern die völlig konzeptlose Aneinanderreihung von Songs auf dem Album. Da haben die Macher einfach in die "Kiste" gegriffen und Paul Potts das einsingen lassen, was gerade obendrauf lag. Gut gemacht klingt anders.
Zitat (« Da haben die Macher einfach in die "Kiste" gegriffen und Paul Potts das einsingen lassen, was gerade obendrauf lag. »):
das war wohl in der tat ziemlich genau der produktionsablauf.
und für jeden brav eigesungen kram ohne murren gab es dann ein würstchen o.ä.
@hela2902 (« An der Paul-Potts-CD stört mich auch weniger der Sänger selbst, sondern die völlig konzeptlose Aneinanderreihung von Songs auf dem Album. Da haben die Macher einfach in die "Kiste" gegriffen und Paul Potts das einsingen lassen, was gerade obendrauf lag. Gut gemacht klingt anders. »):
Irgendwie dachte ich vor ein paar Tagen gerade das Gegenteil: da haben die Macher die Kiste umgedreht und sich dann das gegriffen, das obenauf lag. Solche Sachen, die man in der Mottenkiste ganz zuunterst gelagert hat. Kram, der zwar irgendwie gut ist, aber eben keine gefühlte 7.923.123. Interpretation mehr braucht. Und schon mal gar keine auf Italienisch.
Gilt für die verklassischten Pop-Titel auf "Passione". Dafür, daß Puccini seine Opern auf Italienisch schrieb, kann er ja nix.
Schlimmer finde ich allerdings, daß die Arrangements so unglaublich belanglos ausgefallen sind, das Orchester das gute Paulchen balancetechnisch glatt an die Wand spielt und das ausgesprochen dünne Stimmchen. Ich habe auch leider keine Ahnung, wer oder was ihn geritten hat, "Dein ist mein ganzes Herz" als Bonus für das deutschsprachige Publikum dranzuklatschen - Gott, ist diese Interpretation peinlich ...
Gruß
Skywise