laut.de-Kritik

Neu-Aufnahmen alter Songs, die im Original nur 'fast richtig' waren.

Review von

Er wolle einen neuen Anstrich für sein altbekanntes Zuhause, erklärt der New Yorker Singer/Songwriter das Motiv für sein vierzehntes Soloalbum. In der Tat handelt es sich um die Neuinterpretation von zehn Stücken aus seinem umfangreichen Repertoire.

Angesichts zahlloser Best Ofs und Liveaufnahmen ein scheinbar sinnloses Unterfangen, doch schnell belehrt uns Simon (mal wieder) eines Besseren. Denn wer die eher unbekannten Originale kennt, ist schnell fasziniert von diesen Versionen. Eine neue Vorgehensweise ist das selbstverständlich nicht, schließlich hat Simon sein Werk im Laufe der Jahrzehnte immer wieder neu interpretiert, ohne den Kern der Stücke zu verleugnen. Manche Lieder haben so eine erstaunliche Entwicklung erfahren, etwa sein Signature Track "The Sound Of Silence", das akustisch im Duett mit Art Garfunkel begann, mit E-Gitarre zum Monsterhit wurde, zwischendrin ein Solo erhielt und zum Schluss wieder in akustischem Gewand daherkam. Ergreifend, wie Simon es am 11. September 2011 am Ground Zero in New York interpretierte. Ein Mann, eine Gitarre und ein Text, der sich eingeprägt hat.

Experimentiert hat Simon immer gerne, mit Rhythmen, Stilen und Musikern aus unterschiedlichen Teilen der Welt. Halbwegs schief ging es eigentlich nur einmal, mit dem halbgaren "Surprise", das er 2006 mit Brian Eno aufnahm. Interessant, dass er von diesem Album keinen einzigen Song neu interpretiert. Dafür gleich drei vom Vorgänger "You're The One" (2000), ein wunderbares Album, das jedoch einigermaßen unterging.

Den Anfang macht das älteste Stück dieser Auswahl, "One Man's Ceiling Is Another Man's Floor" aus seinem dritten Soloalbum "There Goes Rhymin’ Simon" (1973). Der Übergang von langsamen zu schnellen Teilen klingt 35 Jahre später nun etwas verspielter und geschmeidiger. Was nicht weiter verwundert, mit den Hochkarätern, die Simon unterstützen, unter ihnen Trompeter Wynton Marsalis, die Gitarristen Bill Frisell und Bryce Dessen, Bassist John Patitucci, die Schlagzeuger Jack DeJohnette und Steve Gadd sowie das unkonventionelle Klassik-Ensemble yMusic.

Selbst Simons langjähriger Gitarrist Vincent Nguini, 2017 verstorben, ist hier auf "Darling Lorraine" noch mal zu hören, Ehefrau Edie Brickell schnippt im Opener die Finger. Die Produktion übernahmen Simon und Roy Halee, der bereits 1970 für Simon & Garfunkels letztes Studioalbum "Bridge Over Troubled Water" verantwortlich zeichnete.

Geschmeidiger klingt auch "Love". In der Originalversion aus dem Jahr 2000 blieb es mit Simons zarter Stimme zur dissonanten Begleitung widerspenstig. Nun klingt es etwas tröstlicher, auch wenn sich die zentrale Aussage nicht geändert hat: "I need it so much / Makes you want to get down and crawl like a beggar / For its touch / And all the while, it's free as air / Like plants, the medicine is everywhere / Love" - sie ist überall, die Liebe, aber schwer zu fassen. "We think it's easy / Sometimes it's easy / But it's not easy / You're going to break down and cry / We're not important / We should be grateful / And if you're wondering why, why / Love", sang er damals. Nun mildert er die Aussage etwas ab, die letzten Zeilen lauten we're only here for a season of sunlight / And if you're wondering why / Love". Statt "du bist einer unter vielen" eher "nutz deine Chancen".

Simon hat die Lieder also nicht nur behutsam umarrangiert, sondern auch umgetextet. "Dieses Album besteht aus Songs, von denen ich dachte, dass sie nahezu richtig waren oder die seltsam genug waren, um beim ersten Mal übersehen zu werden", erklärt Simon selbst dazu. Was nicht bedeutet, dass alle Versionen tatsächlich besser sind. So ersetzt er die strengen, südamerikanischen Rhythmen in "Can't Run But" aus "The Rhythm of The Saints" (1990) mit Stakkato-Streichern und Bläsern. Funktioniert, aber nicht so gut wie im Original. Ähnlich ergeht es "How The Heart Approaches What It Yearns". 1980 ein romantisches Stück aus Simons missglücktem Versuch, mit "One Trick Pony" als Schauspieler Fuß zu fassen, erinnert es hier in einer jazzigen Fassung an Elvis Costellos "Shipbuilding". Nur, dass Marsalis hier nicht an den unvergleichlichen Chet Baker heran kommt, den Costello resolut von der Bühne ins Studio gezerrt hatte, um ein Solo zu improvisieren.

Das Ausnahmestück dieser Zusammenstellung ist und bleibt "René And Georgette Magritte With Their Dog After The War", aus dem wenig beachteten, aber lohnenswerten "Hearts and Bones" (1983). Inspiriert von einem Bildband, den Simon durchblätterte, als er auf Joan Baez wartete, dichtete Simon ein surreales Bild des belgischen Malers, der mit seiner Frau in New York Doo-Wop tanzt, "the deep forbidden music they've been longing for". Damals schon ein kammermusikalisches Stück mit Akustikgitarrenbegleitung und Doo-Wop-Chören im Hintergrund, klingt es hier - erneut - etwas verspielter.

Der direkte Vergleich zwischen den Originalen und den Neuinterpretationen bringt zwei Erkenntnisse: Wie gut die Stücke sind, damals wie heute, und wie gut Simons Stimme auch weit jenseits der 70 noch klingt. Manchmal erkennt man kaum einen Unterschied. Die Stimme sei auch nicht der Grund gewesen, weshalb er in Zukunft nur noch vereinzelt auftreten werde. So Simon im Februar 2018, als er seine letzte Tour ankündigte, die zwei Wochen nach Veröffentlichung dieses Albums in New York endet. Die Reisestrapazen seien ihm einfach zu viel geworden, er wolle außerdem mehr Zeit für seine Familie haben.

Hoffentlich auch noch fürs Studio, denn Simon macht nicht den Eindruck, alsbald verstummen zu wollen. Erst wird es jedoch mindestens ein weiteres Album im Stil von "In The Blue Light" geben, hat er doch einige Stücke mehr aufgenommen als diese zehn.

Trackliste

  1. 1. One Man's Ceiling Is Another Man's Floor
  2. 2. Love
  3. 3. Can't Run But
  4. 4. How The Heart Approaches What It Yearns
  5. 5. Pigs, Sheep and Wolves
  6. 6. Rene And Georgette Magritte With Their Dog After The War
  7. 7. The Teacher
  8. 8. Darling Lorraine
  9. 9. Some Folks' Lives Roll Easy
  10. 10. Questions For The Angels

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2 Kommentare

  • Vor 6 Jahren

    Ich hätte fast nicht reingehört, aber der Beginn des Albums ist derart stark, dass man die eher ruhigen auch langweiligeren Songs gegen Ende nicht übel nimmt. 3/5

  • Vor 6 Jahren

    Sehr schade, dass "Surprise" etwas als das schwarze Schaaf angesehen wird: "Halbwegs schief ging es eigentlich nur einmal, mit dem halbgaren "Surprise", das er 2006 mit Brian Eno aufnahm."
    Im Gegenteil, ist es wirklich eine "Überraschung" und erstmal harter Tobak wenn Folk und Electro so aufeinander prallen.
    Wenn man dies aber einfach akzeptiert und sich die Zeit nimmt, ist es ein hervorragendes und mutiges Album. Kompositorisch grosse Klasse und ich hole es gerne immer mal wieder hervor.
    Das nun vorliegende Album erscheint mir im Vergleich fast etwas langweilig, wenn auch handwerklich klasse gemacht. Der Ansatz, Songs neu zu interpretieren, ist zwar nicht neu, aber gefällt.
    Ich muss mich hier noch mehr reinhören. Bis jetzt ist es ein 3/5.
    Tendenziell mag ich den "originellen" Paul Simon eben lieber.