laut.de-Kritik
Der krönende Abschluss einer Karriere.
Review von Giuliano BenassiAls sich Produzent Tom Wilson erneut eines Liedes annahm, das wie Blei untergegangen war, ahnte er wohl nicht, dass er eine riesige Erfolgslawine lostreten würde. Simon & Garfunkels "The Sounds Of Silence" hatte 1964 wie das dazugehörige Album "Wednesday Morning, 3 AM" nicht mal einen Achtungserfolg erzielt. Was sicherlich weder an der Qualität lag, noch an dem Label Columbia, das mit Bob Dylan einen der hippsten Künstler jener Zeit unter Vertrag hatte.
Wilson, der das Album produziert hatte, schnappte sich den akustischen Song, legte mit Hilfe von Mitgliedern von Dylans Studioband Schlagzeug, E-Bass und E-Gitarre drüber und sorgte dafür, dass das Stück mit dem Titel "The Sound Of Silence" 1965 noch einmal auf den Markt kam.
Paul Simon, der das Projekt mit seinem Schulfreund Art Garfunkel bereits begraben hatte, von New York nach London gezogen war und sich dort als Singer/Songwriter versuchte, erhielt eines Tages eine erstaunliche Nachricht: Der überarbeitete Song, der ohne sein Zutun veröffentlicht worden war, stand Anfang 1966 an der Spitze der US-Charts. Eilig kehrte er nach New York und zu Garfunkel zurück und ging mit Wilson ins Studio, um ein Album folgen zu lassen.
"Sounds Of Silence" (nun wieder im Plural) und das schnell nachgeschobene "Parsley, Sage, Rosemary And Thyme" (beide 1966) beschreiben das vorher / nachher bestens: einerseits das sehnsüchtige, melancholische "Kathy's Song", andererseits das fröhliche "59th Street Bridge Song (Feelin' Groovy)", das Simon schrieb, nachdem er früh morgens von einer Party über die erwähnte Brücke von Brooklyn nach Manhattan fuhr. In seinem nagelneuen Aston Martin.
Der akustische, intellektuell angehauchte Folk-Pop des Duos wurde weltweit zum Erfolg. S & G konnten es sich leisten, ein maues Konzeptalbum wie "Bookends" (1968) aufzunehmen, in dem es ums Altern geht, und lieferten noch im selben Jahr mit schon veröffentlichten Liedern einen erfolgreichen Soundtrack ab, nämlich für "Die Reifeprüfung" mit Dustin Hoffmann und Anne Bancroft (Mrs. Robinson) in den Hauptrollen.
Beim hier vorliegenden fünften Studioalbum "Bridge Over Troubled Water" spielte Geld also keine Rolle. Zur Verfügung stand neben Produzent Roy Halee auch eine Heerschar an namhaften Studiomusikern. Doch die Partnerschaft hatte Risse bekommen. Zwar war es offiziell ein Album der Band, letztendlich zog aber Simon die Fäden. Wenige Monate nachdem das Album nach mehreren Verschiebungen im Januar 1970 erschien, kündigten S & G das Ende der gemeinsamen Karriere an.
Fast schon ironisch ist da der Umstand, dass Simon im Opener kaum zu hören ist. Lediglich in der letzten Strophe singt er im Hintergrund. Im Scheinwerferlicht stehen ein mit Pathos geladener Flügel, bombastische Streicheinlagen und vor allem Garfunkel samtenes, hohes Organ, die sich zu einem der bekanntesten Hits aller Zeiten zusammenfügen.
Abkehr vom Folk und Zuwendung zum Schnulzenpop? Schon der zweite Track zeigt, dass es hier vielfältiger zugeht als zuvor. Bei einem Soloauftritt in Paris 1965 hatte Simon die Gruppe Los Incas getroffen. Eine ihrer Melodien hatte sich in seinem Kopf festgesetzt, nun legte er Worte drüber, heraus kam mit "El Condor Pasa (If I Could)" eines seiner populärsten und gleichzeitig schlimmsten Stücke. Ob er für die Panflöte dudelnden, unsäglichen Indianer-Attrappen in europäischen Fußgängerzonen mit verantwortlich ist oder ob es sie waren, die ihn inspirierten, bleibt ähnlich unergründlich wie die Frage von der Henne und dem Ei.
"Cecilia" entstand in bierseligem Zustand in LA, wo Simon eine Zeit lang lebte. Simon und Garfunkel klatschen mit den Händen auf ihre Schenkel und improvisierten einen fröhlichen, leicht anrüchigen Text, Simons Bruder schrammelte auf einer stark ungestimmten Gitarre. Es kostete Produzent Halee viel Mühe, den Track für das Album aufzuarbeiten.
Trotz wilder Bläsereinsätze klingt "Keep The Customer Satisfied" eher wie ein Lückenfüller, ebenso wie das Bossa Nova-angehauchte "So Long, Frank Lloyd Wright", ein Stück zu Ehren des berühmten Architekten. Gleichzeitig ein Seitenhieb gegen Garfunkel, der eine Zeit lang Architektur studiert hatte.
Wie aufwändig die Aufnahmen zum Album waren, zeigt sich ausgerechnet am Lagerfeuer-Klassiker "The Boxer", das eigentlich nicht mehr benötigt als eine Gitarre und ein paar Leute zum Mitgrölen, um Stimmung aufkommen zu lassen. Die Perkussionen entstanden in einem New Yorker Aufzug, die zweite Strophe in Nashville, die dritte und die Bläser in einer Kappelle der Columbia University. Hinter dem fünfminütigen Ergebnis stecken 100 Stunden Aufnahmen.
Dass die erste Single neun Monate vor dem Rest des Albums erschien, zeugt auch davon, dass es nicht bestens lief. Dabei ist das zärtliche "The Only Living Boy In New York" schon fast eine Liebeserklärung Simons an Garfunkel, der während der Sessions nach Mexiko gereist war, um dort "Catch-22" zu drehen. "Tom, get your plane right on time / I know, your part will go fine / Fly down to Mexico / And here I am, the only living boy in New York", singt Simon sehnsüchtig, begleitet von seiner Gitarre.
Nur um sich gleich danach im halbfröhlichen, reggae-esken "Why Don't You Write Me" um mangelnde Kommunikation zu beschweren. Etwas aus der Reihe tanzt das rockige "Baby Driver", das ebenso mitreißend ausfällt wie die Liveaufnahme "Bye Bye Love" der Everly Brothers, das große Vorbild von S & G, hier unterlegt von arg übertriebenem Publikumsgejubel. Wie es Simon wirklich ging, zeigt das abschließende "Song For The Asking", das wie ein Wiegenlied klingt. Doch noch ein versöhnlicher Abschluss für ein Album, das gleich nach der Veröffentlichung weltweit die Spitzen der Charts stürmte.
"Bridge Over Troubled Water" erhielt mit sechs Grammys so viele wie keine Platte zuvor (vier davon für den Titeltrack), verkaufte sich weltweit 25 Millionen Mal und gehört zu den erfolgreichsten aller Zeiten. Gleichzeitig war es auch die letzte des Duos. Die Presse vermutete einen Riesenkrach, letztlich waren es einfach unterschiedliche Vorstellungen. Simon, der Vollblutmusiker, erforschte in den folgenden Jahrzehnten Rhythmen, Worte und Klänge und blieb auch solo sehr erfolgreich. Garfunkel studierte zu Ende, versuchte sich als Schauspieler, wanderte durch Amerika und nahm mehrere seichte Balladen-Alben auf, die ab den 80er Jahren kaum noch auf Interesse stießen.
Der Kontakt brach aber nie ab. Bereits 1972 gab es Reunion-Versuche, 1976 nahmen sie den Song "My Little Town" auf, den beide auf Soloalben packten. 1981 feierten sie im New Yorker Central Park eine triumphale Reunion und ließen eine Welttour folgen. 2003/2004 und 2009 kamen sie erneut für Tourneen zusammen und bewiesen, dass sie ihren Zauber nicht verloren hatten.
Ein neues Album haben sie dagegen nicht mehr aufgenommen. Es sei unmöglich, "Bridge Over Troubled Water" zu toppen, meinte Paul Simon dazu. Recht hat er.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
10 Kommentare mit 19 Antworten
So ziemlich jeder Song, den man hier im Original hört, wird zur ultraspießigen Langweilernummer, wenn man ein sicher erhältliches Cover kennt. Dennoch ein verdienter Klassiker, war mir nur immer schon zu zahnlos.
Das ist Musik gewordene Schönheit - kenne keine einzige Cover-Version irgendeines Songs auf der Platte, die auch nur annähernd an das Original herankäme.
Wenn ich "Bridge Over Troubled Water" oder " El Condor Pasa" höre, kräuseln sich meine Fußnägel. Ich habe nicht einmal etwas gegen Simon & Garfunkel, aber definitiv gegen diese Platte. Dann lieber "Bookends".
"Kenne keine einzige Cover-Version irgendeines Songs auf der Platte, die auch nur annähernd an das Original herankäme."
Ich schon:
https://www.youtube.com/watch?v=itRGERzdOLk
Es gab ja auch mal englischsprachigen Folk aus Deutschland: Sibylle Baier kennt sicher kaum jemand. Warum bringt man das nicht mal jemandem nahe? Notfalls dann halt eine andere Rubrik fuer unbekanntes, uebersehenes, vergessenes. Macht das doch mal bitte.
Und mit Tom Liwa lasse ich euch auch nicht in Ruhe, ihr OPFAZ, Alter.
tom liwa sitzt doch auf einem pferd, auf dem sonst nur frauen reiten
Dieser Kommentar wurde vor 10 Jahren durch den Autor entfernt.
Liegt es daran dass vieler meiner Favos schon dran waren, oder wird die Meilenstein-Rubrik immer egaler ?
Was ist das denn für eine Meilenstein-Review? Nahezu jeder Song wird als mittelmäßig oder gar schlecht bezeichnet. Natürlich ist das Album teils schnulzig, aber man muss es im Kontext des Erscheinungsjahrs sehen. Und es ist kein Zufall, dass die meisten Songs bis heute gehört werden.
Natürlich werden sie nur gehört, um Erbrechen auszulösen.
Das ist doch Quatsch die Lieder von Simon & Garfunkel sind einfach Evergreens.
Wessen Lieder sind Evergreens?