laut.de-Kritik

Nächster Halt: Nollendorfplatz.

Review von

Ich hasse die Pet Shop Boys! Mindestens so sehr, wie ich sie liebe. Egal wie ich mich anstrenge, egal wie sehr mich ein Album am Anfang vielleicht auch erst einmal enttäuscht, am Ende bekommen sie mich doch immer wieder. Mit. Jedem. Verfickten. Neuen. Release. Könnt ihr nicht ein einziges Mal einen Longplayer veröffentlichen, den ich wirklich nicht leiden kann? Seid einmal menschlich und vergeigt etwas so richtig! Bitte!?

Mit ihrem 14. Werk "Hotspot", dem Abschluss ihrer Stuart Price-Trilogie, waren sie anfangs auf einem guten Weg dahin. Die bisher bekannten Singles fand ich zunächst reichlich mau. Als ich vor knapp zwei Wochen den Stream zugeschickt bekam, hielt sich die Begeisterung noch arg in Grenzen. Doch dann wuchs und wuchs und wuchs es weiter und weiter. Und nun? Tja. Auf den letzten Drücker ist wieder alles wie immer.

Es könnte sogar noch viel schlimmer kommen. Die besten Werke der Pet Shop Boys sind nämlich nicht die, die dich wie "Super" sofort umschlingen und mit dir durch die Nacht feiern wollen. Es sind gerade die von der Melancholie geküssten, die ein paar Durchläufe länger brauchen.

Das in Berlin aufgenommene "Hotspot" liefert den so wichtigen Gegenentwurf zu den beiden energischen Vorgängern nach. Die andere Seite der Pet Shop Boys, die ihnen in ihrer nun bereits 35 Jahre über andauernden Karriere erst ihre Tiefe verlieh. Auf den beiden Midlife Crisis-Alben "Electric" und "Super" wollten Tennant und Lowe nach dem altersweisen "Elysium" beweisen, dass sie das mit der Party immer noch drauf haben. Was nicht bedeutet, dass die Feten nicht weiterhin gefeiert werden, wie sie fallen. "Bring me margaritas / Champagne and red wine / We're gonna have a party / Where we all cross the line" ("Monkey Business"). Doch diesmal halten sich Uptempo-Tracks und Ballade eben die Waage.

Es ist schlichtweg nicht möglich, "Hotspot" von der Stadt zu trennen, in der es entstand. Zu sehr prägt Berlin, der zweite Wohnsitz der beiden Musiker, das Album. Das fängt bei der Wahl der Hansa Studios an, in denen einst Teile von Bowies Berlin-Trilogie ("Low", "Heroes", "Lodger"), U2s "Achtung Baby" oder Depeche Modes "Black Celebration" aufgenommen wurden. Doch Berlin durchzieht auch die Texte, die Samples bis hin zum Titel, der sich auf die Stadt als Brennpunkt im kalten Krieg bezieht.

Ebenso wie die Bowie-Trilogie und viele andere, funktioniert die der Pet Shop Boys nur auf dem Papier. Wo den beiden Vorgängern eine ähnliche Seele inne wohnte, spaltet sich "Hotspot" (wie "Lodger") deutlich ab. Dabei bleibt die Band immer sie selbst. Sie verändert sich immer nur so weit, dass das Ergebnis zwar wieder eine neue Nuance und Spannung in ihre Diskographie bringt, die Urheber aber immer erkennbar bleiben. Berlin oder nicht: Du bekommst die Pet Shop Boys vielleicht aus London, aber niemals London aus den Pet Shop Boys heraus. Nur wenige Acts klingen so sehr nach England, so sehr nach Tee und Eton Mess wie Tennant und Lowe.

Nicht nur die Melancholie findet wieder ihren Weg in die Songs, auch die alten analogen Keyboards und Synthesizer kommen einmal mehr zum Einsatz. Nicht der einzige Grund, warum das Album am ehesten an "Behaviour" erinnert. Auch wenn Lieder der Größe von "Being Boring" fehlen, könnten Tracks wie "You Are The One" oder "Hoping For A Miracle" dort jederzeit ihren Platz finden.

Wie ein Irrlicht lockt der Opener "Will-O-The-Wisp" mit all seiner Hi-NRG erst einmal auf die falsche Fährte. Diese führt im "party train" U1 "from Uhland to Warschauerstraße" mit quietschenden Rädern und Originaldurchsage durch Berlin. "Emerging from below past Nollendorfplatz / In search of love and laughter." Tennant sitzt als Beobachter zwischen dem feiernden Volk, erkennt schließlich ein altbekanntes, einst geliebtes Gesicht wieder. "I see you after many years / On an elevated train / Rattling above the streets of a city / Where men don't wait in vain." Ganz im Hier und Jetzt, beziehen sie sich zeitgleich aber auch auf Christopher Isherwoods "Berlin Stories". Leider quetschen sie den Songtitel doch reichlich holprig in die mitreißende Melodie.

Das beschwipste "Monkey Business" tanzt mit funkender Chic-Bassline und Bläsern, wuseligen Streichern, Vocodern und Doppelklatschern unter der Discokugel des Studio 54. So 1970s waren die Pet Shop Boys nur selten und liefern quasi ihr "Get Lucky". Das im klassischen Oktavbass hüpfende "I Don't Wanna" verfügt über ein herziges Snap!-Zitat. Mag der einsame Junge anfangs auch noch so ungern ausgehen, "in a song, he hears that rhythm's a dancer / And it won't take no for an answer."

Im Duett "Dreamland" übernimmt Olly Alexander von Years & Years die Rolle, die einst Dusty Springfield in "What Have I Done To Deserve This?" zukam. Doch seine und Tennants Stimmen klingen einander zu ähnlich. Eine Spannung zwischen beiden will nicht aufkommen. Auch sonst bleibt das Lied zu gleichförmig, zu vorhersehbar.

Die in trostlosem Grau gemalte Ballade "Hoping For A Miracle" rechnet mit den Versprechungen der Jugend ab. Ein enttäuschtes Leben, das sich nach den einst versprochenen schillernden Wundern, Anerkennung und Liebe sehnt. Das Duo fügt Text und Musik brillant zu einer ernüchternden Bitterkeit zusammen, die man förmlich schmecken kann. Schließlich beendet Tennant "Hoping For A Miracle" mit dem für ihn einst so typischen Sprechgesang, der frühe Songs wie "West End Girls" ausmachte. Fast schon vergessen, feiert er auf "Hotspot" mehrfach ein unerwartetes Comeback.

Das sich voran schleppende "Burning The Heather" greift diesen Faden auf, spinnt ihn weiter. Der mit Bernhard Butler – so lange nicht mehr bei Suede, dass die Erinnerung daran wie ein verblassender Traum wirkt – in London eingespielte Song zeigt seine Größe sehr zögerlich und erschließt sich nicht sofort. Doch dann stellt der oft ungewollt als eine Methapher auf den Brexit interpretierte Song sich als ein Prunkstück der Melancholie mit einer unheimlichen Dichte heraus. "I've just dropped in for a drink before I disappear."

Ganz am Ende erfüllen mir die Pet Shop Boys doch noch meinen Wunsch und vergeigen es mit "Wedding In Berlin" endlich so richtig. Für die Hochzeit eines befreundeten Paars geschrieben, schafft es der Song nun auf "Hotspot". Die Aussage, dass Partner, die sich lieben und es möchten, jederzeit ungeachtet ihres Geschlechts heiraten dürfen sollten, ist so schön wie richtig. "We're getting married because we love each other / We're doing it without delay", wiederholt Tennant immer und immer wieder. Dazu verbinden die Pet Shop Boys Felix Mendelssohn Bartholdys Hochzeitsmarsch mit Techno. Das Ergebnis gerät schlicht schauerlich: ein Zeichen, dass Tennant und Lowe eben doch Schwachstellen haben. Danke!

Trackliste

  1. 1. Will-O-The-Wisp
  2. 2. You Are The One
  3. 3. Happy People
  4. 4. Dreamland
  5. 5. Hoping For A Miracle
  6. 6. I Don't Wanna
  7. 7. Monkey Business
  8. 8. Only The Dark
  9. 9. Burning The Heather
  10. 10. Wedding In Berlin

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13 Kommentare mit 15 Antworten

  • Vor 4 Jahren

    Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.

  • Vor 4 Jahren

    Langweilig sind nur „You Are The One“ und „Wedding“ - scheinen keine besonders guten Freunde zu sein, denen Tennant und Lowe dieses Stück zur Hochzeit geschrieben haben... Der Rest ist unglaublich vielfältig und zeigt die ganze musikalische Bandbreite der Pet Shop Boys. Besser als das meiste, was sie seit den 90ern produziert haben.

  • Vor einem Jahr

    Je älter die Boys werden, desto besch*ssener das Tracklisting. Nachdem Track 1 gut losgeht (except for the peinliche S-Bahnschüttelreime), folgt mit Track 2 die absolute Vollbremsung ins Gleisbett. Eine der peinlichsten Gurken ihrer Karriere. Chittering und Chattering am A*sch. Zum Fensterschließen. Dann endlich mal was schönes mit Happy People. Ollie Dingsbums jault und wimmert sich danach jedoch gleich wieder durchs Dreamland und suckt wie die Hölle. Was wollten die von dem.. seine kleine, dünne Nudel? Track 5 ist so schön wie depressiv. I Don't Wanna hätte auch gut auf Disco 3 gepaßt, was nicht schlecht ist, nur 20 Jahre zu spät. Den lahmen, staubigen, Pseudo-70s-Travolta-Love-Boat-Sound von Track 7 braucht kein Mensch. Ebenso wenig den La-Boum-Die-Sch*iß-Fete-Pseudo-80s-Sound von Track 8. Und dazu diese peinlichen Lyrics. Argh! Was ist los mit Neil? Dann tatsächlich, wer hätte das gedacht: Die Vorab-Single Burning The Heather ist tatsächlich der Track des Albums! (Nur die sch*iß Billo-Preset-Trompete in Strophe 2 dieser Album Version ist mal wieder ein typisches PSB-Rätsel.) Als Abschluß dann mit Track 10 noch ein schöner Mittelfinger ins Gesicht jedes Fans, der zum Scheidenlassen einlädt.

    Alles in Allem eine seltsame Mischung. Neben echten Bonbons auch so manches herrliche Hundehäufchen dazwischen. Ergänzt durch die typische PSB-Krankheit, die besten Songs mit An Open Mind (einer der bester ever) und Decide extra NICHT aufs Album zu packen. Könnte ja noch jemandem gefallen dann..