laut.de-Kritik
Gratwanderung zwischen Kunst und Kitsch in lange nicht gehörter Hochform.
Review von Michael SchuhPet Shop Boys. Release. Pop. Music. Vice. Versa.
Gut, ich weiß noch, dass Pop vor den Pet Shop Boys da war, aber niemand hat wohl je so vehement für sich in Anspruch genommen, eine Pop-Band zu sein wie Neil Tennant und Chris Lowe. Auf enormem Wissen um Stilästhetik und unschlagbaren Melodien basiert seit nunmehr 17 Jahren die Karriere der Boys.
Weiß man, dass die ergrauten Helden den Pop-Begriff nie über die Mittel, sondern das Ergebnis definieren, verwundert es nicht, dass auf "Release" verstärkt Gitarren zum Einsatz kommen. Mit Johnny Marr wurde sogar ein Pop-Veteran als Gastgitarrist verpflichtet. Die Gratwanderung zwischen Kunst und Kitsch ist Teil des Konzepts, das auf "Release" in lange nicht gehörter Hochform zu Tage tritt. Gleichzeitig ist das neue Werk das homogenste Album seit "Behaviour".
Ausfallschritte zu frivoler 70s Disco ("New York City Boy") und Hooligan-Sottisen ("Go West"), die man ihnen noch immer übelnimmt, wurden vermieden. Mit "I Get Along" ist ihnen dennoch eine neue Hymne gelungen, die fürs Stadionrund einfach zu smart ist. Zusammen mit der tragisch-zarten Ballade "Birthday Boy" kommen die Glanzpunkte des Albums schon recht früh.
Johnny Marr kitzelte keine ungekannten Rock-Vorlieben aus Tennant und Lowe heraus. Vielmehr bereichert er den oft etwas glatt wirkenden PSB-Sound um Tiefe. Wenn Tennant zu Marrs Gitarrenlicks übertrieben gedehnt die Worte "Love Is A Catastrophe" säuselt, wird der Grat zwar wieder verdammt schmal. Aber genau das ist das Großartige an dieser Band. "E-Mail" ist entgegen sämtlicher Befürchtungen ein amüsanter Song über moderne Kommunikation geworden ("Now time and distance melt away, no digital delay").
Freunde Pet Shop Boys'scher Dancefloor-Versuche (die sich einfach deren Maxis zulegen sollten) werden an "The Samurai In Autumn" Gefallen finden, das beinahe rein instrumental ausfällt und sich in einen sphärischen Techno-Feger hinein steigert. Was Lovesongs angeht, haben Tennant und Lowe mit "You Choose" einen ihrer schönsten für "Release" geschrieben.
Introspective Behaviour? Disco Nightlife Actually?
Simply Pet Shop Boys. Vice Versa.
1 Kommentar mit 6 Antworten
Das meist unterschätzte Album der Boys. Michael Schuh zeigt hier in der Rezi dass er diesem Irrtum nicht aufgesessen ist. Eines meiner Lieblingsalben von Neil und Chris.
Mich würde ja mal interessieren, wie du reagieren würdest, wenn Neil Tennant mal Händchen haltend mit seinem Lebensgefährten an dir vorbei liefe. Fändest du das auch ekelhaft, oder wäre das wiederum okay, weil du ja seine Musik magst?
#teamwallraff
Morpho, sehr gut
Danke Swingmaster, die Vergangenheit kann ja tatsächlich milde mit einem umgehen. Hab aber auch nie verstanden, wieso die Platte oft als Durchhänger abgetan wurde. Ich habs ja nicht so mit den Killers aber "Home And Dry" ist Brandons PSB-Lieblingslied, von daher ist der Mann über jeden Zweifel erhaben.
Ich finde, dass die Durchhänger vor "Release" stattfanden. Ab hier ging es wieder aufwärts.
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.