laut.de-Kritik
Ein Liebesbrief.
Review von Kay SchierDas Wort 'Girl' ist eigentlich nicht genau übersetzbar. Zumindest nicht ins Deutsche. Je nach Kontext kann es 'Mädchen' oder 'Frau' oder gar ein übergeordnetes Konzept meinen. Weitere Bedeutungen: Sanftheit. Härte. "Period Blood". "Matcha Cherry"'. Bullshit. Mythos. "Girlhood is a spectrum / pretty is destruction".
Ich käme mir bescheuert dabei vor, Konzept und Thema von Princess Nokias "Girls" weiter ausbuchstabieren zu wollen. Anders als der Promotext androht ("If Princess Nokia's last album was a love letter to herself, her new project 'Girls' is her college thesis"), erklärt sich das Album weitestgehend von selbst. Wer das Cover sieht und nicht versteht, dem kann ich sicher nicht helfen. Unabhängig davon rate ich aber allen, das Album zu hören. Es ist sehr gut.
Das Einzige, das an eine 'College thesis' erinnert, sind die etwas wahllos eingestreuten David Lynch-Referenzen auf "Blue Velvet". Hier geht es wütend und blutig zu. Princess Nokia ist merklich desinteressiert daran, irgendwelche Männer zu entgiften. "Practice witchcraft / kill your abuser" steht auf dem kantigen Holzhammer, den sie besonders auf "Blue Velvet" und "Medusa" schwingt: "I will undisguise you, bring you to the light / you're a fucking predator standing in plain sight".
Schon in diesen beiden knarzenden Gothic-Boom-Bap-Tracks passiert im Beat einiges an Detail. Vor puristischem Hintergrund fällt allerdings stärker auf als anderswo, dass der Flex bei Princess Nokia immer die Aussage ist, nicht die Reimkette. Auf "ArtStar" kommt das betont ignorant, auf den ersten beiden Tracks mitunter monoton, vor allem, wenn die Amerikanerin ihre Stimmlage minutenlang nicht variiert.
Danach kickt das Album in einen höheren Gang, als wäre sie froh, den Bullshit abgehakt zu haben und Genrekonventionen ablegen zu können. Der Spannungsbogen von Track vier bis neun klingt nach einem Strand im Laufe eines Abends und einer Nacht. "Period Blood" ist das letzte Herzausschütten vor der Katharsis, Princess Nokia flowt leichtfüßig Lines wie "I heard I'm a fucking cunt / I know I'm a fucking bitch / I'm judgmental / mean as shit" über ein melancholisches Piano, das in eine R'n'B-Hook mündet.
Danach gehen die Sonne unter und die Lichter an. Eine rauschhafte Experimentierfreudigkeit clubbiger Natur prägt "Drop Dead Gorgeous" und "Gossip Girl", die beide richtig ballern und den Arsch in Bewegung zwingen. "Matcha Cherry" ist wiederum ein purer, poppiger Liebesbrief an Frauen, Chappell Roan und Rappen, "boast type, mini skirt skirt skirt, ballet".
Vor allem auf "Drop Dead Gorgeous" und "Beach Babe" hört man, dass Princess Nokia wahrscheinlich mehr als nur ein bisschen Charli XCX intus hatte, als das Album entstand, was ihm selbstverständlich sehr gut tut, ohne dabei irgendwie als Abziehbild zu wirken. "Beach Babe" lässt sich voll in den Hyperpop fallen und verschwimmt in Euphorie. Die Tatsache, dass sie "Mango, seaweed / put on something sparkly" exakt so flowt wie Nura die unsterbliche Line "Fressflash, Çüs Lan / ich hab Bock auf Süßkram" ("Bongzimmer") ist wohl keine beabsichtigte Referenz. Aber ich kann nur schwer beschreiben, wie sehr mich das freut (Leck mich am Arsch, ich will SXTN zurück!).
Sicherlich beabsichtigt hingegen ist, dass "Pink Bronco" klingt und betitelt ist wie ein Lana Del Rey-Song. Während es bei Lana aber fast immer auch um die Beziehung zum Anderen geht, ob es sich dabei um Ruhm, Kokain, Jesus, Amerika oder irgendeinen toxischen Hillbilly handelt, arbeitet Princess Nokia diesen Swagger in "white picket fence with no man and no kid / love is romantic, I know that it is / love by myself is the love that I give" um.
Musikalisch der vielleicht stärkste Track, hat man es angesichts des präzise aufeinandergeschichteten "Lust For Life"-Pop/Trap nicht kommen hören, dass der Song mit einem schmelzenden Violinensolo von Lindsey Stirling enden wird. Die hatte ich bislang primär als 'die crazy Geigenfrau aus der ProSieben-Werbung' auf dem Schirm. Was dennoch sehr gut zum Album passt.
So ist "Girls" kreativ unerschrocken, klingt in Konzept und Umsetzung wie aus einem Guss, feiert die Frauen und ist wirklich selbsterklärend:
"God, boys are so out / Girls are in, girls are in / And I'm obsessed with them, I love everything about them / Their hair, their nails, their accessories, their poetry, their songs / The cherry girls, the latte girls, the lemon girls, the coconut girls, the tropical girls / The girls who get it, the girls who don't get it / The girls who rot in bed all day, the girls who get up and go to Pilates and yoga / Like, I'm somewhere in between both of them, and I just love it / I love being a girl, there's nothing else in this world I'd want to be / Do you know what I mean?" ("Matcha Cherry").


7 Kommentare mit 14 Antworten
"Girl" klingt auch etwas nach dem deutschen "Göre" - wie bei "Lütje" und "Little". "Göre" selbst wiederum klingt, als wäre es türkischen Ursprungs und hätte die Bedeutung "hoher Berg", was natürlich Unsinn ist.
Ich sach ma so: Eine braune Schleifspur in der Unterbuchse zu haben ist für viele Männer auch die natürlichste Sache auf der Welt.
Sollte man jetzt aber trotzdem nicht unbedingt als Ausdruck männlicher Solidarität auf ein Album-Cover drucken.
war bissle lustig aber des kannsch ned vergleichen bro
True.
Eigentlich suche ich auch nur nach einer Gelegenheit, um über Körperausscheidungen jeglicher Art zu reden. Ist bei mir einfach ein Dauerbrenner.
So wie das Chili von gestern
Mach da für mich ne Pizza mit ungewöhnlich scharfen Peperoni draus. Ich sehe wir sprechen die gleiche Sprache.
"Eigentlich suche ich auch nur nach einer Gelegenheit, um über Körperausscheidungen jeglicher Art zu reden."
Das erfreut mich dermaßen, ich könnte glatt auf den Boden reiern.
Leute, bei solchen Kommentaren... Da bricht mir der Schweiß aus
Wo steckt eigentlich Ohrenschmalz?
Nicht nur aufgrund Ohrenschmalz'scher Absenz eine insgesamt eher anämische Kommentarspalte, ma sagen.
Ein Trauerspiel - es ist zum heulen!
Ist es nicht! Ich hab' ihn gefunden
.
Dieser Kommentar wurde vor 5 Tagen durch den Autor entfernt.
Wird gehört. Ihre Alben sind eigentlich immer sehr gut.
Nicht gehört. Auch gut so.
ABER WO BLEIBT DIE DAVE REVIEW?
Irgendwo zwischen "richtig gut" und "zumindest interessant," alles wie immer bei ihr.
Was mir schleierhaft bleibt, ist, wie ein "Blue Velvet"-betitelter (!) Song Lynch-Verweise "wahllos" einstreuen soll?
Mir ist schon klar, dass sie auf dem Track David Lynch-Referenzen bringt, weil der heißt wie ein David Lynch-Film. Es erschließt sich mir auch durchaus, dass sie für den Track wahrscheinlich irgendwas dachte in die Richtung von gothic und düster und Brutalität auf eine surreale Weise, aber er klingt für mich halt mehr nach "Die Künstlerin wollte dass man diese und diese Assoziation hat, deswegen gibt es diese und diese Referenzen" als "das ist ein organisch düsterer und surreal brutaler Track". U know? Habe aber von Twin Peaks auch nur wenige Folgen geschaut und vielleicht würde die Laura Palmer-Line mit mehr Kenntnis der Materie nochmal anders kicken, wer weiß.
Fair. Hoffe Du kommst irgendwann nochmal zu Twin Peaks zurück (zumindest der ersten Staffel). Wunderbar schräges Früh-90er-Artefakt.