laut.de-Kritik

Von gestern vielleicht - aber hellwach.

Review von

Erstaunlich, wie verblüfft Leute reagieren, kommt die Rede auf ein neues Album von Public Enemy. "Was, die gibts noch?" Ja, hallo! Ein flüchtiger Blick auf die aktuelle Nachrichtenlage zeigt doch: "Hood news, no good news." Warum sollten sich die brachialsten, kompromisslosesten, mitreißendsten Akteure politisch motivierten Sprechgesangs da zur Ruhe setzen? Wie könnten sie? "See the people, are they free and equal? Hell, no!" Die Welt braucht Rapper vom Schlag eines Chuck D möglicherweise dringender denn je.

"Here we come from another time." Das "we" mag dabei ein wenig in die Irre führen: "Man Plans God Laughs" erscheint - zumindest am Mikrofon - noch stärker als früher wie eine Einmann-Veranstaltung. Flavor Flav tritt hie und da in Erscheinung, kommt aber über den Sidekick-Kasper-Status nicht hinaus. Professor Griff liefert Parts ab, hinterlässt aber kaum Eindruck. Der Fokus liegt fast ausschließlich auf Chuck D.

Der wiederum präsentiert sich, wenn auch sein Vortrag inzwischen ein bisschen angestaubt erscheint, in glänzender Form, wie eine Personifizierung dessen, das El-P vor Jahren schon von sich behauptete: "We might have been born yesterday, Sir. But we stayed up all night."

Offene Augen und ein wacher Geist bewahren davor, in eingefahrenen Bahnen stecken zu bleiben, und zwingen dazu, die eigene Haltung wieder und wieder zu hinterfragen. Chuck D zeigt zwar keinerlei Symptome von Altersmilde. Seine Stimme drischt seine Worte ungebrochen mit der geballten Faust ins Hirn. Immer noch möchte man, wenn man ihm nur lange genug zugehört hat, eine zünftige Revolte vom Zaun brechen, am liebsten sofort.

Chuck D stachelt aber nicht nur an. Er buchstabiert sich in "Earthizen" rundum positiv einmal durchs Alphabet. Allüberall mahnt er, sich zu überlegen, was man da gerade zu tun im Begriff steht und findet sich zuweilen auch selbst in der Zwickmühle wieder: "Am I radical? Am I a pacifist?" Beides, am Ende? Lässt sich das vereinbaren?

"Maybe it's time for us to pick up the gun." Mehr denn je liegt Gewicht auf dem Wörtchen maybe. Dennoch darf die begrüßenswerte Friedfertigkeit nicht als Vorwand herhalten, um sich aus der Verantwortung zu stehlen. Ausreden lässt Chuck D nicht gelten. Er fordert gerade auch von der jüngeren Generation, für ihre Rechte auf- und einzustehen, sich nicht gehirnwaschen, instrumentalisieren, für dumm verkaufen zu lassen.

Seinen eigenen Altersgenossen rät er zu Aufgeschlossenheit, gerade auch in kulturellen Fragen: "Every generation got their music." Entsprechend zitiert Chuck D Kanye West, Kendrick Lamar und Run The Jewels als Einflüsse - was die Soundästhetik des Bomb Squad-gestählten Gary G-Wiz, der die komplette Produktion verantwortet, hin und wieder sogar durchblicken lässt.

So steckt im Klicker-Klacker von "No Sympathy From The Devil" überraschend viel Raum und noch mehr Industrial-Atmosphäre, ehe der Track mit indianisch anmutenden Gesängen ausklingt. Funky dazwischenquakende Orgeltöne lockern die schweren Bässe in "Me To We" etwas auf. Tief unter "Give Peace A Damn" liegt ein Reggae-Vibe, der in der zweiten Hälfte ins Dubbige kippt. Auch "Corplantationopoly" besitzt jede Menge basslastigen Groove.

Allenthalben greifen Chuck D und Gary G-Wiz auf den eigenen Plattenschrank zurück und zitieren Public Enemy-Geschichte: "Praise The Loud" entpuppt sich als roher Zusammenschnitt von Zeilen aus mindestens fünf verschiedenen Tracks, darunter "Rebell Without A Pause" und "Shut Em Down".

Das funktioniert meistens prächtig, wenngleich die Beats natürlich nie mehr die epochale Wucht und Sprengkraft erreichen, die The Bomb Squad zu Zeiten der Gebrüder Shocklee entfalteten. In die Hose geht Gary G-Wiz einzig das von Anfang bis Ende zerfahrene "Lost In Space Music", das einfach nicht in die Spur finden will. Ich schließ' mich hier Flavor Flav an: "Don't understand it."

Entschieden Geschmacksache bleibt zudem "Honky Tonk Rules": Chuck D singt an der Seite einer waschechten Bride of Funkenstein, Sheila Brody, eine Rolling Stones-Nummer, "toasting to the blues". Äh, ja. Rap-Puristen hüpfen vermutlich schon munter im Dreieck. Um zu entscheiden, ob ich das irgendwie großartig finde oder doch nur schräger als schräg, muss ich die Nummer wohl noch das eine oder andere Mal hören.

Zeit dazu bleibt genug: "Man Plans God Laughs" dauert von vorne bis hinten nur eine knappe halbe Stunde. Kaum ein Track entpuppt sich als viel länger als zwei Minuten, das fällt eigentlich schon beinahe unter Punkrock. Aufhören, wenn alles gesagt ist: eine hohe, weithin unterschätzte Kunst. Genau deshalb gibt es Public Enemy auch noch: Es ist noch lange nicht alles gesagt.

Trackliste

  1. 1. No Sympathy From The Devil
  2. 2. Me To We
  3. 3. Man Plans God Laughs
  4. 4. Give Peace A Damn
  5. 5. Those Who Know Know Who
  6. 6. Honky Talk Rules
  7. 7. Mine Again
  8. 8. Lost In Space Music
  9. 9. Corplantationopoly
  10. 10. Earthizen
  11. 11. Praise The Loud

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7 Kommentare mit 8 Antworten

  • Vor 9 Jahren

    Boah, ne. Ganz ehrlich, ich meine, Public Enemy können nichts dafür, aber muss jetzt echt jeder wieder Alben droppen? Ist ja im Deutschrap dasselbe. Dabei gab es (meines Empfindens nach) schon lange nicht mehr so viel guten Output von "neuen" bzw. unverbrauchten Künstlern wie 2015.

    • Vor 9 Jahren

      Warum denken eigentlich alle, dass die mal weg waren und jetzt "mal wieder ein Album droppen". Die haben in 30 Jahren 16 Alben herausgebracht und die längste Pause war von 2007 bis 2012, dafür kamen 2012 dann 2 Alben auf einmal raus.

      Ich finde das Album großartig. Eine der wenigen Ami-Combos mit ernst zu nehmenden, politischen Texten und kompromisslosen Beats. Deswegen ist das Album auch alles andere als unwichtig, weil es davon viel zu wenig gibt (gefallen muss es natürlich nicht jedem).

  • Vor 9 Jahren

    Durchaus ein schönes Album. Der Sound ist wie auch schon die letzten Alben durchaus zeitgemäß, vielleicht sollte man sichs trotz Skepsis einfach mal anhören, ich finde die neuen sachen weitaus angenehme zu Hören als die Platten aus den 90ern.