laut.de-Kritik

Für perfekten Pop braucht es einfach keinen Gesang.

Review von

Ein Summen, das sich zu einer nebelhornähnlichen Sirene ausdehnt. Scheppern, Knattern und Klirren. Dazu ein gutturales Brummen, wie von einem kaputten oder durch Holzwürmer verstimmten Didgeridoo. In der Ferne legt sich ein filigranes Cello über dieses undurchsichtige Klanggebilde und geht auf halber Strecke eine willfährige Romanze mit aufblühend winselnden Gitarren ein.

Klingt ungefähr wie der zunächst fehlgeschlagene Versuch, ein futuristisches Elektro-Gefährt zu starten, bevor es doch noch singend davonschwirrt. Macht auf den zweiten Blick auch Sinn, denn "Bilar" bedeutet auf schwedisch "Autos".

Die Multiinsturmentalisten Stroud & Mast geben sich eben auch gerne als Multilingualisten. Und als absolute Filmnerds, denn sie mischen Monologe des Bruno S. unter ihre Musik, dem Hauptakteur in Werner Herzogs Meisterwerk "Stroszek". Anfang der 80er Jahre bildete dieses schon einmal das tragische Bindeglied zwischen Kino und Pop. Der Film lief in Ian Curtis' Videorecorder an dem Tag, als er 1980 Selbstmord beging.

Und so leitet die Stimme des Bruno S. folgerichtig über in "Drugs", das leise wie ein Kammerspiel zwischen Piano und dem Streichquartett beginnt. Dem steht ein mächtig grummelnder Sequenzer gegenüber, dem wiehernde Gitarren auf der Nase herumtänzeln bzw. -wahwahen. Im Hintergrund spukt eine nervöse Percussion auf und ab, die nach menschlicher Beatbox klingt. Am Ende generiert sich daraus ein funkiger Groover, der eine Tanzfläche mit einem Handstreich in totale Verzückung verwandeln kann - aber auch in vollkommene Verwirrung.

Ratatat sind ja bekanntlich keine Freunde des gesungenen Wortes. Gut so. Wohl aber Fans von gesampleten Sprachschnipseln. Auf der Suche nach einer markanten Frauenstimme hatten die Filmgeeks die Undergroundikone Linda Manz für sich entdeckt. Diese junge Dame mit dem elegischen Gesicht hatte in den späten 70er Jahren als Teenager einen vielbeachteten Auftritt in Terence Malicks "In der Glut des Südens" ("Days Of Heaven") als aufsässige Magd und Erzählstimme.

Evan Mast extrahierte kurze Sprechpassagen aus dem Film und integrierte sie in die erste Single "Party With Children". Er war so fasziniert von ihrer Stimme, dass er sie noch persönlich aufsuchte, um sie zu interviewen und weitere Schnipsel für eine Hommage an die Schauspielerin in "LP4" zu streuen ("Neckbrace", "Bare Feast").

Trotz ihrer Gesangsphobie sind Stroud & Mast dafür bekannt, mit anderen Mitteln eine unvergleichliche Atmosphäre in ihren Stücken zu schaffen. Unter anderem mit auf Vintage getuntem Schallplattenrauschen mit entsprechendem Loophänger. Dazu die verträumten Steelguitars und schon steht mit "Mahalo" (Hawaiianisch für "Dankbarkeit") das richtige Südsee-Feeling parat. Ein kurzes Intermezzo, das klingt wie aus einem Charlie Chan-Krimi der 30er Jahre.

Oder die zirpenden Grillen bei "Sunblocks", die sich wie ein Rauschen im Dschungel entfalten. Dazu erwacht in dem Dickicht ein Kinderklavier mit anschmiegsamer Gute-Nacht-Melodie, die dort jauchzend erhabene Gitarren im Refrain anschwillen lässt. Hier zeigt sich, dass Ratatat zum perfekten Pop einfach gar keinen Gesang in ihre Stücke integrieren müssen.

Denn dort übernehmen Gitarrensoli die Harmoniearbeit und bewirken den gleichen Mitsummeffekt. Das ist gleichzeitig erstaunlich experimentell, tüftlerisch, manchmal überladen, aber auch wohlklingend, so dass es mich nicht wundert, dass diese Band trotz allem frickeligen Nerdtum inzwischen im Mainstream angekommen ist.

Trackliste

  1. 1. Bilar
  2. 2. Drugs
  3. 3. Neckbrace
  4. 4. We Can't Be Stopped
  5. 5. Bob Gandhi
  6. 6. Mandy
  7. 7. Mahalo
  8. 8. Party With Children
  9. 9. Sunblocks
  10. 10. Bare Feast
  11. 11. Grape Juice City
  12. 12. Alps

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