laut.de-Kritik
Den Originalen gewachsen wie einst die Titanic dem Eisberg.
Review von Ulf KubankeErinnert sich noch jemand an den Levis 501-Commercial mit Stiltskins "Inside"? Oder vielleicht an das Grauen erregende letzte Genesis-Missverständnis "Calling All Stations"? Beides nicht gerade Sternstunden des Showbiz. Der schottische Sänger Ray Wilson hat seinerzeit in den nicht ganz so seligen 90ern beide Bands sauber versenkt.
Als sei das noch nicht genug: Nun setzt er den Weg der künstlerischen Trittbrettfahrerei fort und haut der arglosen Rockwelt gleich zwei untote Zombieprojekte um die Ohren. Mit den Berliner Sinfonikern servieren uns Rumpel-Stiltskin eine Art 'Bunter Abend' mit keimfreien Genesis-Hits in effekthaschender Klassiksauce ohne jede lästige Substanz. Als Nachschlag dann noch das neue Album dieser gesichtslosesten aller Grunge-Acts, das man der Einfachheit halber gleich komplett unter dem Solonamen des Frontmanns verramscht.
Durchaus die Ausgangsposition für ein einschneidendes Hörerlebnis. Nur eben kein schönes. Abgesehen von ein paar Disney-brainwashed Collins-Anhänger muss man jeden Artrockfan im Allgemeinen und jeden Gabriel-Freund im Besonderen nur davor warnen, diesen verschmockten Pseudomurks länger als fünf bange Minuten aufzulegen. Wilson ist den Kompositionen der 'Schöpfer' ungefähr so gewachsen wie einst die Titanic für den Eisberg. Das vordergründige Element seiner Vortragskunst weist ihn dabei als einen Musik-Hochstapler Felix Krull'schen Ausmaßes aus.
Wer das nicht glauben mag oder besonders tollkühn ist, darf gern den Ohrentest machen. Schon der Opener ist schlimm. Das eigentlich unruhig sirrende "Turn It On Again" als lahmes Strangulationsopfer samt müdem Gesang und porentiefer Reinigung von allen Krusten. Vor allem das demonstrative Cleaning der komplexeren Lieder kommt auf Scheibenlänge einem Todesstoß gleich. Wer "Carpet Crawlers" oder "The Lamb" am Stück und ohne Tränen schafft, darf sich getrost als ganz harten Knochen feiern lassen. Da geht das Lamm nicht zum Broadway sondern freiwillig zum Schächter.
Verstümmelung und Mutation wo man nur schaut. Dem grandiosen 'Gated Reverb'-Urschleim "In The Air Tonight' amputiert er alle Urgewalt der Trommeln und singt sich chargierend durch ein paar belanglose Trallala-Phrasierungen. Nebenbei gelingt ihm ganz zwanglos die Entweihung des herausragenden, emotional zerquälten Collins-Textes.
Das ehemals zwischen Pop und brithumorigem Spitting Image-Sarkasmus pendelnde "Land Of Confusion" verkommt zu beliebigem Schweinerock. Wenig überraschend, dass Onkel Phil den schottischen Nivellierer unter keinen Umständen auf der Reunuin 2007 dabei haben wollte; nicht einmal als Support. Zu groß seien "die qualitativen Klassenunterschiede".
Schade, besonders das renommierte Klassikensemble böte die Chance, ein paar ungewohnte Strukturen und Elemente songdienlich einzubringen. Leider scheitern alle Beteiligten daran, dass Mastermind Wilson die interpretierte Musik anscheinend nicht im Ansatz versteht. Auch nicht nach 20 Jahren. Das hat er mit den seinerzeit veralberten Amish-People aus dem "Inside"-Jeans-Spot gemein.
Mit dem neuen Stiltskin-Opus sieht es nicht besser aus. Schon damals waren sie für Grunge ein weng spät dran. Damals wie heute taugt das Songwriting höchstens zur Mogelpackung. Selten habe ich vorhersehbareren, langweiligeren und prätentiöseren Allerweltskram gehört, der zur großen Kunst gepusht wird.
Nicht mit uns. Es gilt damals wie heute: Wenn Nirvana Michael Jackson wären, dann wäre Ray Wilson höchstens Menderes. Es gibt auf dem dreckigen Dutzend Tracks nicht einen einzigen Songwritermoment, der nicht nach Kalkül und Patchwork klänge. 40 Minuten bar jeder eigenen Inspiration.
Es muss viel passieren, damit das Machwerk nicht die überflüssigste Platte des Jahrzehnts wird. So langsam wird es für den Mann aus Dumfries höchste Zeit, von beiden toten Gäulen zu steigen und sich endlich so etwas wie eine eigene musikalische Identität - ein eigenes Antlitz - zu suchen.
20 Kommentare
warum geht das Lamm zum Schächter? is das nich der Intendant vom ZDF?
http://de.wikipedia.org/wiki/Sch%C3%A4chten
Und was ist mit der Rezension zum dem anderen Herrn Wilson?
ZITAT:"Wilson ist den Kompositionen der 'Schöpfer' ungefähr so gewachsen wie einst die Titanic für den Eisberg".
Mit Verlaub, Herr Kubanke - Sie sind ein Dummkopf.
Schlechtes Deutsch, unsachlich und Thema verfehlt - setzen!
Natürlich fühlte sich Ray Wilson, als man ihn zu Genesis einlud, extrem geschmeichelt und geehrt. Dieser Kontrakt war sicherlich finanziell rentabler als alles in seiner bisherigen Musikerlaufbahn: also hat der gute Mann vergessen, zu bedenken, dass er zu Genesis' Oeuvre und (Rest-)Musikern ungefähr so gut passen würde, wie eine Dohle auf die Ziervogelschau... .
Doch weder hatte er für sich und seine Band jemals das Grunge-"Etikett" reklamiert, noch ist er für den Niedergang von Genesis verantwortlich - dass "seine" Fans am liebsten Genesis-Lieder zum Mitgrölen (unfassbar eigentlich) von ihm hören wollen, ist auch nur sehr bedingt Ray Wilsons Verdienst.
Man muss ihn vielleicht nicht in den musikalischen Olymp heben, doch diese Kritik wird seinen Fähigkeiten in keiner Weise gerecht.
Ich habe vor einiger Zeit Ray Wilson (mit einem weiteren Interpreten) live gesehen in fast schon intimer Runde (kleiner Saal, wenige Zuschauer). Ja ich bin seit Jahrzehnten PG-Fan und mochte die Collins-Genesis' (mir heute eher peinlich) auch einmal.
Aber: es war ein richtig guter Abend! Weder haben sich meine Fußnägel aufgerollt noch sind mir die Hörgänge verschmalzt. Ihr Verriss liest sich zwar recht lustig ist aber Ihre Meinung, die man ja glücklicherweise auch nicht teilen muss.
Ich finde Ray Wilson klasse, er kann singen, er ist super sexy (heute) - was natürlich von den "alten" Jungs nicht mehr behauptet kann, er hält ihre Songs hoch und im Gedächtnis - nö, ist schon sehens- und hörenswert. Keine Frage!