laut.de-Kritik
Vielseitiges Werk zu einem fiktiven Tarkowski-Film.
Review von Toni HennigMit den Erfolgen seiner preisgekrönten Soundtracks zu "Merry Christmas Mr. Lawrence" (1983), "The Last Emperor" (1987) und "The Revenant" (2015) wurde der Japaner Ryuichi Sakamoto zu einem der bekanntesten Komponisten der Moderne. Nach überstandener Luftröhrenkrebserkrankung schrieb der 65-jährige den Score zu Yoji Yamadas "Nagasaki: Memories Of My Son". Dieser Soundtrack und sein erstes richtiges Soloalbum nach acht Jahren, "async", prägen zugleich die Themen Schönheit und Vergänglichkeit.
Mit typisch melodramatischem Klavierspiel und sakralen Orgelsounds beschwört Sakamoto in "andata" zunächst ein erdrückend-melancholisches Klangbild herauf, die Nummer bildet einen erhabenen Einstieg. In "disintegration" steht das präparierte Piano anfänglich einsam im Fokus, bis ambiente Flächen nach und nach die surreale Charakteristik dieses Stückes hervorheben.
Anschließend führen die orchestralen Keyboardsounds von "solari", einer der Höhepunkte auf dieser Platte, in die fernen Weiten der Galaxie. Eine ähnlich besänftigende Atmosphäre kennt man von Vangelis auf "L'Acopalypse Des Animaux". Als Hörer nimmt man hier mehr eine Beobachterperspektive ein, als vor dem inneren Auge an dem bildlichen Geschehen direkt teilzuhaben. Der Track widmet sich dem 1972 erschienenen Film "Solaris" von Andrei Tarkowski nach der Romanvorlage von Stanisław Lem. In den 70ern sollte der Regisseur dem sowjetischen Science-Fiction-Kino zu internationaler Bekanntheit verhelfen.
Dadurch stellt "async" eine Hommage an sein stilprägendes Werk dar. Während des Produktionsprozesses des Albums, das er in New York und Seattle mit unterschiedlichen Ensembles und Musikern aufgenommen hat, kam Sakamoto auf die Idee, einen fiktiven Soundtrack zu einem noch nicht gedrehten Tarkowski-Streifen zu kreieren. Manche Arbeiten des 1986 in Paris verstorbenen Filmemachers greifen außerdem auf das lyrische Schaffen seines Vaters, des Poeten Arseny zurück. So auch das zentrale Schlüsselstück "Life, Life".
David Sylvian, mit dem der Japaner seit den achtziger Jahren regelmäßig zusammenarbeitet, gibt sich auf dieser Nummer die Ehre. Die Worte, die er rezitiert, entstammen dem gleichnamigen Gedicht. Durch die japanischen Klänge der Shō, die sphärisch imitierten Streichersequenzen und die wehmütigen Pianoarrangements Sakamotos gewinnt der wohlig-warme Vortrag des Art-Pop-Romantikers weiter an Eindringlichkeit.
Von der Akzeptanz des Todes als elementarem Bestandteil der menschlichen Existenz handeln die Zeilen "Dreams, reality, death - on wave after wave." Nach der Krebsdiagnose vor drei Jahren musste sich Ryuichi Sakamoto mit der eigenen Sterblichkeit auseinandersetzen. Anders als bei den letzten Werken David Bowies und Leonard Cohens misst er religiösen Erlösungsmotiven auf "async" aber kaum eine Bedeutung bei. Vielmehr untersteht der Homo Sapiens dem Kreislauf der Natur. In den Mittelpunkt rückt die Botschaft "Life is a wonder of wonders." Sie erinnert uns an die Werthaftigkeit eines jedes Einzelnen.
Der Track "fullmoon" zitiert wiederum Paul Bowles, dessen Stimme man hier zum Schluss hört. Auszüge seiner Novelle "The Sheltering Sky" von 1949 tragen mehrere Sprecher in zehn unterschiedlichen Sprachen vor. Ein dräuendes Dronefundament und die akzentuierten sparsamen Pianoklänge des Japaners zeugen dennoch von einer ungleich düstereren Herangehensweise. Ungeachtet dieser schwermütigen Begleitung bleibt die Simplizität und Klarheit von Sakamotos Motivik seit jeher universell und grenzüberschreitend.
Die restlichen Songs beweisen noch einmal die vielfältigen Qualitäten des Komponisten. Von Field-Recordings-Aufnahmen ("walker"), dissonanten kammermusikalischen Ausflügen ("async") und den repetitiven Soundmalereien im Geiste eines Brian Eno ("ff") besitzt dieses Album eine stilistisch weit gefächerte Bandbreite.
Am Ende lassen orgelähnliche Drones in "garden" die Platte langsam und bedächtig ausklingen. Der Hörer befindet sich mittlerweile in einem Schwebezustand, der die Schwelle in die ewige Dunkelheit markiert. Eindrücklicher kann man die ständige Anwesenheit des Gevatters nicht mehr verdeutlichen.
Trotzdem, so scheint es, hat Ryuichi Sakamoto mit "async" endlich die musikalische und textliche Balance gefunden, auf die der 65-jährige über 40 Jahre lang hingearbeitet hat. Neben all der tiefgründigen Schwere setzt dieses Album den schwierigen Zeiten ein lebensbejahendes Statement entgegen, das Dasein auf diesem Planeten als ein naturgegebenes und wundervolles Geschenk zu betrachten. Mit sich und der Welt dürfte der Komponist und Pianist jedenfalls im harmonischen Einklang stehen. Seiner umfangreichen Diskographie fügt er damit ein spätes Meisterwerk hinzu.
1 Kommentar
Wieder einmal unglaublich hypnotische Stücke dabei. Großartig.