laut.de-Kritik
Trap-Metal für das besonders edgy getragene Supreme-Shirt.
Review von Yannik GölzEs war zufällig so um die Zeit herum, als XXXTentacion, 6ix9ine und Lil Peep zu größerem Erfolg gekommen sind, als eine britische YouTube-Winkekatze feststellt, dass es auch negative Emotionen auf der Welt gibt. Also horcht er tief in sich (er hörte nicht besonders viel) und bemerkt, dass es damit eine schnelle Mark zu machen gibt. Darauf schafft er sich einen edgy Namen und einen Schlag voll schwarzer Hot Topic-Klamotten an, kramt die Linkin Park- und Bring Me The Horizon-CDs aus der Kiste für Mittelstufen-Erinnerungen und mietet ein Studio an. So oder so ähnlich muss man sich wohl die Geschichte des Scarlxrd (nur echt mit dem x) vorstellen, der seitdem seinen Lebensunterhalt damit bestreitet, pubertäre Wutausbrüche mit Trapbeats zu unterlegen. Auf "Infinity" präsentiert er sich als das gimmickhafte Sprachrohr jener wohlstandsverwahrlosten Fashionista-Kids, für die Depression der Modetrend der Wintersaison war.
Man halte zunächst fest: Der Mann ist sehr wütend. Warum ist er wütend? Man kann nur mutmaßen. Hat er bei Mario Kart verloren? Kauft seine Mutter ihm diesen einen Off-White-Pulli nicht? Schreibt ihm Jessy aus der Parallelklasse nicht zurück und macht dann im Schullandheim mit Jake rum? Es bleibt eine Sache der Spekulation. Die meiste Zeit gibt sein völlig zielloses Geschrei aber statt Kontext eher das Gefühl, man habe in einem Counterstrike-Voicechat aus Versehen den Autoplay auf "$uicideboy$-Type-Beats" mitlaufen lassen. Gruppen wie die $uicideboy$ sind dabei offensichtliche Vorbilder, versucht er deren Rapstil eigentlich in jeder Dimension zu imitieren. Scarlxrds "viel hilft viel"-Ansatz gibt seiner Musik dann zwar auch durchaus eine aneckende Kante, kanalisiert aber in keinster Weise deren emotionale Komplexität oder deren teils sehr intrigantes Storytelling. Elemente, die bitter nötig wären, um zumindest auf einem unterschwelligen Level zu verstehen, was in diesem Kerl vor sich geht.
Dass der Junge zwischen all dem Geschrei ziemlich ordentlich rappen kann, macht die Dinge gewissermaßen nur schlimmer. Er wechselt von aufgesetztem, ohrenbetäubendem Emocore-Geschrei in "guck mal, ich kann auch schnell rappen"-Flowpattern. Erst ist er ganz bestialisch verzweifelt von der Welt, aber drei Sekunden später sollst du bitte einmal so begeistert sein wie er, weil er für diesen Flow-Trick sicher zwei Wochen geübt hat. Die musikalischen Elemente finden bei Scarlxrd so wahllos und inkohärent zusammen, dass man fast glauben möchte, er sei ein aus Trendanalyse-Statistiken hervorgegangener Homunculus der schlechten Ideen, dessen Schöpfer noch nicht bemerkt hat, was für ein Monster er da erschaffen hat.
Seine Formel kommt dabei so eindimensional, dass es über weite Strecken von "Infinite" schwerfällt, die Songs auseinander zu halten. Die fast comichaft pubertären Songtitel tun ihr Übriges. "HXW THEY JUDGE", "YXU MAKE ME SICK", "I CAN DX WHAT I WANT" klingen wie die Songnamen der Demo deiner Mittelstufen-Post-Hardcore-Band, die du an deinem siebzehnten Geburtstag etwas beschämt von MySpace gelöscht hast. Die Produktion ist solide, wenn man es mal schafft, sich für ein paar Momente von dem Gebrüll zu lösen und darauf zu hören, worauf er rappt. Der Take A Daytrip-Beat auf "Berzerk" ist mit das eingängigste auf der Platte und die druckvollen Bässe auf "STFU" haben zumindest etwas mehr Drive als die sonstigen Ghostemane und Bones-Retorten-Beats, die hier bespielt werden.
Klarere Momente finden sich lediglich, wenn in "I CAN DX WHAT I WANT" ein fast Asking Alexandria-eskes Gitarrenriff gesamplet wird oder "HXW THEY JUDGE" ähnlich passable Klampfentöne den Song tragen. Bevor die überladenen Trapbeats einschlagen, mag man für ein paar Momente glauben, man höre hier gerade zumindest eine mittelmäßige Emocore-Band. Wirklich funktionieren will die Anwendung dieser Idee aber lediglich auf den Closern "HEAD GXNE" und "DEMXNS & ANGELS", die tatsächlich so etwas wie eine ansprechende, melancholische Atmosphäre aufbauen.
Vielleicht liegt da ja der Hund begraben. Für einen Rapper, der so viel Betonung darauf legt, depressiv und missverstanden zu sein, kommt "Infinite" unglaublich gefühlstaub daher. Dem ganzen Tape fehlt es an Atmosphäre, die seiner Wut zumindest einen ästhetischen Rahmen geben würde. Sein Geschrei klingt nicht wie Rebellion oder Befreiung, es klingt wahllos, laut und nervtötend. Die Umstände, die Screamen in anderen musikalischen Kontext (oder bisweilen auch im HipHop) zu einem so interessanten Stil der Performance machen, werden hier komplett ausgeblendet. Dass die Produktion dazu fast komplett auf Trap-Banger ausgelegt ist, hilft den Umständen kaum. Gäbe es nämlich mehr Melodie oder eine Soundkulisse, die tatsächliche Gefühle aufkommen lässt, hätte man vielleicht auch vor den letzten beiden Tracks den Impuls verspürt, mehr über Scarlxrd und sein Leben erfahren zu wollen. So war auf "Infinite" zumeist der einzig spürbare Impuls der, die Kopfhörer leiser zu drehen.
1 Kommentar
"...gimmickhafte Sprachrohr jener wohlstandsverwahrlosten Fashionista-Kids, für die Depression der Modetrend der Wintersaison war."
"...ein aus Trendanalyse-Statistiken hervorgegangener Homunculus der schlechten Ideen ..."
also hat er einfach das konzept der bento kopiert?