laut.de-Kritik

Hier ist bei weitem noch nicht "Alles Gsait"!

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Viel zu lange war niemandem klar, ob "Nur So Am Rand" noch einen Nachfolger bekommen wird. Sektion Kuchikäschtli befinden sich in quasi im Endstadium. Rennie steht im Begriff, einen geplanten Auslandsaufenthalt anzutreten. DJ Stimpee Kutz lässt gegenüber 20min.ch die düstere Prognose fallen, dies sei realistisch betrachtet das letzte Album aus dem Graubündener Küchenkasten. Bevor wir jetzt gemeinsam den Kopf hängen lassen, freuen wir uns erst einmal: Das Trio bittet zum Affentanz - und von Auflösungserscheinungen kann keine Rede sein.

Befreiend tönt die Ansage durchs Intro: Oh, ja! Nicht nur beim Gampel Open-Air ist man bereit für eine Rap-Party vom Feinsten. Überhaupt, "Intro": Für eine fast fünfminütige astreine Soulnummer, in die sich Rennies Reime einfügen, als seien Soul und Hip Hop stets Hand in Hand gegangen (was sich im Grunde ja genau so verhält), stellt der schnöde Titel schier eine Beleidigung dar. Dieses "Intro" eröffnet eine bunte Tracksammlung, die allesamt eins verbindet: Hochgradige Musikalität.

Produzent Claud schöpft aus den Vollen und lässt dabei gängige Standards meilenweit hinter sich. Billige Plastik-Beats kommen nicht in die Tüte, statt auf Synthesizer setzt Claud auf Handarbeit: Aufwändige, teilweise ans Pompöse heranreichende Arrangements lassen mich staunend zurück. Scheiße nochmal, haben wir in Deutschland überhaupt jemanden, der Vergleichbares an den Start bringt?

Jede einzelne Nummer strotzt vor Einfällen und unerwarteten Wendungen. Den zahlreichen beteiligten Musikern wird reichlich Raum zur Entfaltung eingeräumt. Gitarren, Piano, clever eingesetzte Percussion, gesungene Refrains, zudem eine Cowbell für Kollegen Schuh ... "Affatanz" stellt ein einziges kompositorisches Meisterwerk dar. "Ist das noch Hip Hop?" werden die Möchtegern-Gangster der Vorstädte fragen. Gegenfrage: "Checksch Dia Ironie?"

Jawohl, das ist Hip Hop. Mehr noch: Wir haben es unzweifelhaft mit guter Musik zu tun, nicht nur in "Guati Musik". Die Melancholie, die "Nur So Am Rand" in dicken Schwaden durchzog, scheint endgültig verflogen. Fröhlich, schwungvoll, schlicht arschcool kommt das Instrumental daher. Rennie krönt finstere Rap-Attitüden mit einem gepflegten Haufen, dreht auf und lässt sich den Spaß an der Sache überdeutlich anhören. Martin Luther, im Umfeld der Roots ausgegraben, steuert Gesang bei. Ausufernde Percussion-, Klavier- und Bläsereinlagen treiben den Song gegen Ende in eine neue Richtung.

Die überaus R'n'B-taugliche Stimme Martin Luthers erschallt darüber hinaus in "Meh Verdiant", das auf einer üppigen Kombination aus Streichern und Piano basiert. Mächtige Drums verleihen dem Ganzen Struktur: Lediglich in Rennies Strophen gestaltet sich der Hintergrund ein wenig verhaltener, um einem grandiosen Texter eine Bühne zu schaffen.

Rennie rappt sich mit "Affatanz" zwar immer noch nicht in meine persönlichen Techniker-Charts: An Zungenfertigkeit krankt es zwar keineswegs, mir fehlt lediglich ein wenig die Abwechslung in Reimkonstruktion und Flow. Völlig schnuppe, allerdings: Dieses Manko macht Rennie mit Erzählkunst mehr als wett.

Er berichtet von Kommunikationsschwierigkeiten, fordert "Solidarität", widmet gemeinsam mit Baze und Gimma der schönsten Minderjährigen der Stadt eine Hymne und gesteht seine unglückliche Liebe (ausgerechnet zu Condoleezza Rice). Druckvoll verkündet er seine Meinung ("Mini Meinig"), nachdenklich sucht er gemeinsam mit Blumentopf Holunder zu Akustikgitarren "Passendi Wort". Das Thema "Wann ist ein Mann ein Mann" beschäftigt offenbar nicht nur Herbert Grönemeyer: Was ist denn nun "Männlich"?

"Bad Situation" durchzieht ein leichter Reggae-Groove. Kein Wunder, steht doch tatsächlich Minor7Flat5-Labelboss Brotherman am Bass. "The world today is in a fucked up situation." Ach, was! Solange es so tönt, kann es nicht zu spät sein, und solange Rennie vor Wortwitz und Themenideen sprüht, hat die Fangemeinde noch lange nicht "Gnuag".

Blüemli-Rap? Vielleicht. Augenzwinkernd gestattet Rennie zum Abschluss Einblicke in sein altes Hippie-Hirn und breitet seine Vorstellungen von einer besseren Welt aus. Vergleichbares kredenzte einst Curse mit "Warum Nicht?", meiner Meinung nach dem Übertrack auf "Von Innen Nach Außen". Stimpee Kutz scheint diese Analogie ebenfalls aufgefallen zu sein.

Oh, nein! Hier ist bei weitem noch nicht "Alles Gsait"!

Trackliste

  1. 1. Intro feat. Samir
  2. 2. Wichtig
  3. 3. Meh Verdiant feat. Martin Luther
  4. 4. Guati Musik feat. Martin Luther
  5. 5. Minderjährig feat. Baze und Gimma
  6. 6. Solidarität
  7. 7. Gnuag
  8. 8. Bad Situation feat. Smoovefella & Ras Charmer
  9. 9. Männlich
  10. 10. Miini Meinig
  11. 11. Checksch Dia Ironie?
  12. 12. Crazy In Love feat. Vali
  13. 13. Boia De!
  14. 14. Trichter
  15. 15. Alles Gsait feat. Luut & Tüütli
  16. 16. Passendi Wort feat. Holunder
  17. 17. Honig Und Milch

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