laut.de-Kritik
Regel Nummer drei: Erkläre weder dich noch deine Arbeit.
Review von Sven KabelitzMit einem leichten Lächeln verkündet Sophie Hunger im Film "The Rules Of Fire" ihre zehn Regeln des Feuers: ein Leitfaden zur Wahrung des Selbstwertgefühls und der Selbstbestimmung eines Künstlers.
"Rule Number 1: Accept that you will never be Jesus Christ or Leonardo Da Vinci."
"Rule Number 2: Never accept invitations from people who adore you."
Erstmals richtet sich der Blick der Emilie Jeanne-Sophie Welti in den Rückspiegel. 23 Liveaufnahmen und ein Dokumentarfilm versammeln sich in einem hochwertig und liebevoll gestalteten Boxset. Strahlende Fotografien sowie ein Interview mit Frau Hunger verteilen sich über 48 Seiten. So manche Frage versprüht dabei den schaurigsüßen Charme einer Schülerzeitung. "What are your three favorite animals?" "The cow, the camel and the elephant." Mich persönlich hätte noch interessiert, was die Tochter eines Diplomaten am liebsten isst.
"Rule Number 3: Never explain yourself or your work."
"Rule Number 4: Never go on stage with a drink in your hand or your hand in your pocket."
Scheinbar gegen die dritte Regel verstoßend, folgt Regisseur Jeremiah der schweizerischen Künsterlin in grobkörnigen, kontrastreichen und authentisch verwackelten Bildern auf der Tour zum "The Danger Of Light"-Album. Ein Film, der zwischen Roadmovie und arte-Doku schwankt. Eine einnehmende Stunde, vollgepackt mit Konzertfetzen, Interviews, Backstage-Momenten, Aftershow-Partys und manch wunderlichem Augenblick. Befinden wir uns eben noch in einem normalen Fotoshooting, fehlt bereits in der nächsten Sekunde nur noch ein tanzender Zwerg zum perfekten "Twin Peaks"-Remake.
"Rule Number 5: Never tell the audience what to do."
"Rule Number 6: Never stop a song."
Die Liveaufnahmen teilen sich in zwei CDs, "The Live" und "The Archives". Auf "The Live" stammen bis auf "Shape" sämtliche Songs von "1983" und "The Danger Of Light". "The Archives" fährt zwischen 2008 und 2013 aufgenommene Raritäten und Cover-Versionen auf. Sophie Hungers Stücke zwischen Singer/Songwritertum, Jazz, Pop, Blues und Rock ergänzen sie und ihre Band mit leichten Improvisationen und Spielereien. Selbst vor großem Publikum klingt Hunger intim und rau wie in einem verrauchten Jazzkeller. Sie ergibt sich ihren Tracks, die mit behutsam aufgefrischten Arrangements eine noch höhere Intensität als im Studio versprühen.
"Rule Number 7: Never announce that you are selling something."
"Rule Number 8: Know that Charlie Chaplin was a great businessman and that Bob Dylan tried to look like him."
Während "It's Alright Ma (I'm Only Bleeding)" bis auf leichte Hektik Bob Dylans Original keine weitere Erkenntnis hinzufügt, schwelgt "Avec Le Temps" im nachtfarbenen Zeitlupen-Jazz des französischen Musikers und Anarchisten Leo Ferre. Hält sich Hunger in "1983" noch zum großen Teil an die Studio-Aufnahme, gönnt sich Alexis Anérilles am Piano in "Das Neue" einen kurzfristigen Ausflug in Richtung Free Jazz.
"Likelikelike" übersteigt sich selbst in Sachen Fluffigkeit. In "Walzer Für Niemand" zeigt sich deutlich Sophie Hungers Entwicklung seit 2009. Damals bereits einnehmend, erfährt das Lied auf "The Rules Of Fire" nun mit abgeänderter Melodieführung und heiserer, endgültig den Kinderschuhen entwachsener Stimme seine endgültige Veredelung. Mit seinen neuen Schlenkern um sich aufrichtende Ecken und Kanten greift der Track, soweit dies überhaupt möglich war, nun noch mehr unter die Haut.
"Rule Number 9: Seek humiliation."
"Rule Number 10: Never try to please."
Der prägnante Druck der reduzierten akustischen Instrumentalisierung verfügt über deutlich mehr Dominanz als im Studio. Diesen auch für Studio-Aufnahmen zu konservieren, dürfte nicht die schlechteste Idee für die Zukunft sein. Doch ausgerechnet ein Brief, Hungers "Letter To Madonna", den sie ohne Begleitung ihrer Band vorträgt, stellt ein heimliches Highlight dar. "Dear Madonna, changing your clothes every day does not make you special. It just makes you change your clothes a lot. Looking strange does not make you strange, it just makes you look strange. Saying strong things doesn't make you strong, it just makes you say strong things. That's another thing that you and Jesus don't have in common. He was recognized and not advertised."
Am Ende des Boxsets, das sich zuerst so offen gibt, hält sich Sophie Hunger doch eisern an ihre dritte Regel des Feuers. Obwohl man sich ihr oft unsagbar nahe fühlt, erklärt sie niemals ihre Musik oder sich selbst. Sie umgibt sich mit einer ungekünstelten, aber ebenso unberührbaren Aura, bleibt wie nur noch wenige Künstler in Zeiten von Facebook und Twitter fremd und auf sicherer Entfernung. Oder ist dies alles nur ein großes Missverständnis? Ein Mummenschanz? Als die Sängerin ihre zehn Leitlinien verkündet hat und in ein kurzes Lachen ausbricht, antwortet ihr eine Stimme aus dem Off: "Complete nonsense!"
7 Kommentare mit 6 Antworten
Hui, jetzt habt ihr mich neugierig gemacht! Ab ins Plattenladen nach Feierabend. Wehe wenn Walzer für Niemand nicht so viel besser ist wie versprochen!!
"Rule Number 3: Never explain yourself or your work."
oder
"Rule Number 5: Never tell the audience what to do."
oder
"Rule Number 10: Never try to please."
Tja und dann kommt ganz am Schluss "Letter To Madonna". Dieter Nuhr, den man nun wirklich nicht mögen muss, hat in einer seiner Sternstunden etwas gesagt, was hierzu wunderbar passt: "Einfach mal Fresse halten!"
Madonna Fan-Boy, wa?
Oder hast du's schlicht nicht verstanden?
@ sochan
yes
Dieser Kommentar wurde vor 9 Jahren durch den Autor entfernt.
Dieser Kommentar wurde vor 9 Jahren durch den Autor entfernt.
muss frau, die kennen?
Frau mit Musikgeschmack -> Unbedingt !!!
okay
Nö. Ernsthaft nicht. Ist eine die sich selbst viel zu geil und wichtig findet.
Ich kenne Sophie Hunger nicht, aber ob sich jemand zu ernst nimmt, kann kein Kriterium dafür sein, ob man seine Musik kennen sollte. Die Gallaghers haben dieses Konzept auf die Spitze getrieben.
Also Letter to Madonna wäre noch besser als Letter to Lady Gaga. Irgendwie würde es mehr passen.