laut.de-Kritik

Tinnitus-Ambient mit Wurzeln im Post Punk.

Review von

Große Features in NME, Guardian und Bescheidwisser-Mags, A-Rotation bei BBC Radio 6: Musik-Großbritannien erwartete diese Noiserock-Veröffentlichung so sehnlich wie der Rest der Welt Herdenimmunität. Squid aus Brighton heißen die auserwählten Szene-Krawallmacher, die die Zusage von Warp Records erhielten, welche wiederum endlich wieder etwas Jüngeres als Autechre, Squarepusher und Aphex Twin in ihr Portfolio schreiben dürfen - ja, hier profitieren alle.

Um so erstaunlicher, weil Squid ein Spagat gelingt, der schwer fassbar ist. Eben noch hauen sie kaum zu fassende Math-Rock-Patterns raus, im nächsten Moment scheinen die Typen auf Quaaludes hängen geblieben zu sein, nur Johnny Rottens Enkel am Mikro wiederholt seinen Satz in Zeitlupe, damit er ihn auch ja nicht vergisst. As british as you can get.

Wer schon mal über den Namen des Quintetts stolperte, verdankt dies mit Sicherheit dem Track "Narrator", einem wild schnaubenden Post-Punk-Bullen, der erst nach achteinhalb Minuten erschöpft Ruhe gibt. Die hier vermittelte, komplexe Power beschreibt Squid recht gut: Wie sich aus diesem Rhythmusgewirr mit Synths, Bläsern und schiefem Gesang immer wieder Melodien herausschälen, macht die Platte besonders und entreißt sie dem im Noise-Sektor landläufigen Standard-Urteil für anstrengende Musik, das Beton Braut so schön formulierten: Top Lieferant von Also-meine-Musik-isses-nich.

Produzent Dan Carey, zuletzt an den Top-Alben von Goat Girl ("On All Fours") und Fontaines D.C. ("A Hero's Death") beteiligt, darf sich ans Revers heften, hier ein neues Rennpferd gestriegelt zu haben, das sich erfolgreich in der Tradition der Idles an einer intelligenten Post-Punk-Neudefinition versucht.

Die Sensibilität britischer Indie-Rock-Schule und die Lässigkeit des Krautrock scheint in ruhigeren Passagen durch, ansonsten vertrauen Squid ihrem Instinkt für Dekonstruktion, bellendem Riff-Stakkato und unerwartet jazziger After Hour-Entspannung - "Peel St" ist hier sicher ein besonders schnappatmendes Beispiel. Drummer Oliver Judge, der gleichzeitig als Sänger und Songwriter fungiert, verpackt in den Texten dystopische Themen aus Sci-Fi-Romanen, die 2020 von der Realität überholt wurden: "Als ich bei Douglas Coupland las, dass wir in der 'extremen Gegenwart' leben, da wurde mir klar, dass wir schon ganz schön lange in einer düster-dystopischen Zukunftswelt leben."

Die Wucht des Resultats verdankt dieser Tinnitus-Ambient auch der endlos ausgedehnten Studioarbeit im Lockdown - das 2019 begonnene Album sollte ursprünglich weitaus früher erscheinen. Genug Zeit, sich Field-Recordings von Kirchenglocken und Bienen (!) zu besorgen sowie einen 30-stimmigen Chor für Aufnahmen zu überreden. Highlights der Platte sind die herrliche PIL-Reminiszenz "G.S.K." mit unwiderstehlicher Groove-Schubkraft, und wenn Judge in "Boy Racers" sein Mantra "I always stayed at home" keift, bevor minutenlanges Drone-Rauschen das schabernde Wohlgefühl einer Parodontosebehandlung evoziert, wähnt man sich in einem nie endenden Corona-Alpraum.

Doch "Bright Green Field" ist alles andere: Ein Dance-Album für motorisch weniger Talentierte, ein Vakzin gegen endlose Langeweile, das dennoch keinen Corona-Bezug aufweist. Oliver Judge konstatierte jüngst in einem Interview, er präferiere Paul McCartneys Claim zu dessen jüngstem Album: "Made in rockdown".

Trackliste

  1. 1. Resolution Square
  2. 2. G.S.K.
  3. 3. Narrator (feat. Martha Skye Murphy)
  4. 4. Boy Racers
  5. 5. Paddling
  6. 6. Documentary Filmmaker
  7. 7. 2010
  8. 8. The Flyover
  9. 9. Peel St
  10. 10. Global Groove
  11. 11. Pamphlets

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