laut.de-Kritik
Der Kerl ist ein verdammtes Orchester!
Review von Dani FrommGäbe es einen Preis für das größenwahnsinnigste Projekt: Sufjan Stevens wäre ein aussichtsreicher Anwärter: Zu jedem der 50 US-Bundesstaaten ein Konzeptalbum veröffentlichen zu wollen, das hat es in sich. Schwierig wird allerdings, den Qualitätsstandard zu halten; nach den Grüßen aus Michigan legt jetzt "Come On Feel The Illinoise" die Messlatte ganz nach oben.
Abgesehen davon, dass es sich auch ganz schön knifflig gestalten könnte, bei einem Output von einem Album alle zwei Jahre lange genug durchzuhalten, schließlich hat Mr. Stevens die 30 auch bereits überschritten. Aber egal. Wie auch immer es kommt: Illinois ist abgehakt, hat nach etlichen juristischen Rangeleien mit DC-Comics um die Verwendung von Superman im Cover-Artwork den Weg in die Läden gefunden, und sollte es bis zur Fortsetzung des 50-States-Projekts weitere zwei Jahre dauern: Wen stört das? "Illinoise" hat wahrlich genug zu bieten, um auch längere Wartezeiten zu überbrücken.
Sufjan Stevens - was ist das eigentlich für einer? Singer/Songwriter wäre das erste Schlagwort, das mir einfällt. Nicht unpassend, schreibt er doch Songs, die er zuvor geschrieben hat. Wer aber, frage ich euch, denkt bei "Singer/Songwriter" nicht an den einsamen Jungen mit Gitarre? Denkt jemand an ein Banjo? An Klavier, Glockenspiel, Trompete, Streicher und was nicht noch alles? Über 20 Instrumente kommen auf "Illinoise" zum Einsatz. Abgesehen von einem Streichquartett und Background-Chor-Gesang braucht Sufjan Stevens keinerlei Unterstützung. Er macht alles selbst. Ganz alleine. Überflüssig zu sagen, dass er auch gleich noch die Produktion in die eigenen Hände nimmt. Sufjan Stevens ist kein Multi-Instrumentalist, der Kerl ist ein verdammtes Orchester.
Üppig instrumentalisierte Songs wechseln mit minimalistischen Arrangements, das Augenmerk liegt mal auf dem "großen Ganzen", mal auf sehr persönlichen Details. Kurze Instrumental-Einschübe folgen auf in epischer Breite angelegte Kompositionen. Storytelling, Tempo, Superman, Melancholie, ein Serienkiller ... Stevens wirft alles mit leichter Hand in einen Topf, ohne jemals beliebig zu wirken. Komplexeste Melodiestrukturen kommen wie die natürlichste Sache der Welt daher, selbst bombastisch angelegte Szenarien, wie "The Black Hawk War ..." (das im Übrigen wohl auch die Auszeichnung für den längsten Songtitel der Musikgeschichte abräumen dürfte
Sufjan Stevens eröffnet die Reise durch seinen Nachbarstaat mit verträumten Pianoklängen. In "Concerning The UFO Sighting ..." erinnert Stevens' Gesang (wie auch in "Casimir Pulaski Day", das dezent mit akustischer Gitarre, Banjo und einer wunderbar eingängigen Trompetenmelodie ausgestattet ist) ein wenig an Simon & Garfunkel - der Vergleich hinkt allerdings stark. Genau genommen hat der Vergleich nur ein Bein, denn jeder einzelne Sufjan-Stevens-Track ist um Welten komplizierter angelegt, als die einfachst gestrickten Mitträllerstücke des "Bridge Over Troubled Waters"-Duos. Lassen wir das also mit den Vergleichen.
"John Wayne Gacy Jr." packt die sattsam bekannte Geschichte des Serienkillers mit der Clowns-Schminke in einen melancholischen, von Piano und Akustikgitarre getragenen Song, der einem drei Minuten Gänsehaut beschert. Gleich im Anschluss wird man jedoch nach "Jacksonville" (Jacksonville, Illinois, versteht sich) entführt, das mit Streichern, Klavier, dem Banjo und nahezu funky zu nennenden Bläsersätzen aus den menschlichen Abgründen heraus hilft. Zuweilen warten die gegensätzlichen Stimmungen nicht einmal den nächsten Song ab: "The Man Of Metropolis ..." hebt mit einem (Ja! Tatsächlich! Ich dachte, mich trifft der Schlag!) Rockgitarrenriff an, wandelt sich dann zum flotten Folksong mit ausufernden Background-Chören im Refrain, bloß um dann die E-Gitarre noch einmal zurückkehren zu lassen. Sufjan Stevens scheint ein vollkommen von Hemmungen befreiter Zeitgenosse zu sein. Zum Glück.
Einen Titel möchte ich ungekürzt nennen, ist er doch schon ohne das grandiose dazugehörige Stück Musik Anlass zu Vergnügen: "They Are Night Zombies!! They Are Neighbors!! They Have Come Back From The Dead!! Ahhhh!" Was man sich darunter vorzustellen hat? Einen wahrhaft wunderbaren Song mit flockigem Bass und Streichern, die in jeder Disconummer gut aufgehoben wären. Mit diesem Anspieltipp entlasse ich die geschätzte Leserschaft in die Landschaften Illinois'. Ich buche inzwischen schon mal einen Trip nach Oregon und Rhode Island. Man munkelt, das seien die nächsten Reiseziele im Programm von Sufjan-Tours.
28 Kommentare
Sufjan Stevens ist einfach der Beste lebende Musiker! Warum das Album nicht die volle Punktzahl bekommen hat ist für mich fragwürdig, aber vier sind ja auch ganz ok =)
ja, 5 Punkte wären für Illinoise nicht unverdient gewesen.
vier gehen schon klar ...
Kann man schon einen modernen Klassiker nennen.
Für mich eine starke 9/10.
Auf jeden Fall sein bestes Album, auch wenn die Anderen(vorallem Seven Swans) auch sehr gut sind.
Alles gesagt!
verfickte drecks internetverbindung. jetzt muss ich alle snochmal schreiben
ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, ich finde die michigan noch ein bisschen stärker. sicher, die illinoise hat die klassiker. chicago, casimir pulaski, come on! feel the illinoise, concerning the UFO sighting near highland, illinois (da gibts ein ganz grosses fanmade-video bei youtube..... http://www.youtube.com/watch?v=4b0fdETmRng ).
trotzdem ist michigan für mich ein prozentpünktchen homogener, ausgereifter. evtl. die etwas "dunklere" grundstimmung. subjektiver kram.
vito's ordination song, ey!