laut.de-Kritik

That's truly grausam.

Review von

Besonders großer Suicide Silence-Fan war ich noch nie. Aber Eddie Hermidas Einstand mit "You Can't Stop Me" nötigte mir 2014 trotzdem Respekt ab. Eigentlich gar nicht so schlecht, was die Herren da fabrizierten. Brutal, aber auch mit der nötigen Portion Struktur und Melodie. Und wenn alte Schreihälse ankündigen, zukünftig auch clean singen zu wollen, bin ich grundsätzlich erstmal voll dabei. Das bedeutet Weiterentwicklung – ist doch cool! Wer braucht denn schon das drölfte gleichklingende Deathcore-Album? Im Falle Suicide Silence scheint es allerdings so zu sein, dass sie zwar Clean-Gesang an Bord geholt, dafür aber ihre Ohren gepfändet haben. Und Produzent Ross Robinson seine ebenso.

Ehrlich gesagt: Mir ist es ein Rätsel, wie "Suicide Silence" in dieser Form Aufnahmen, Mix, Mastering und Promotion-Run überstehen konnte. Die plausibelste Erklärung lautet wie folgt: Zu keiner Zeit war mehr als ein Musiker im Studio, jeder hat eingeklöppelt, was er gerade cool fand, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, was die anderen vielleicht machen könnten. "Suicide Silence" ist Stückwerk, bei dem sich über weite Strecken die einzelnen Elemente gegenseitig abstoßen. Das fängt schon im Opener "Doris" an. Drummer Alex Lopez drischt ziellos auf seinem Kit herum, die Gitarristen hacken beliebige Riffs, tiefgestimmt, ein bisschen Gequietsche, ab und an einigt man sich darauf, einen ruhigen Zwischenpart einzulegen.

Und Eddie Hermida nölt orientierungslos auf dem wackeligen Gerüst herum. Wer sich bisher fragte, warum er eine Karriere als Shouter begann, bekommt nun in Form seines Clean-Gesangs die Antwort geliefert. Wenn Schauspieler in Filmen den Auftrag bekommen, mies in der Dusche zu singen, klingt das in der Regel harmonischer als Hermida auf "Suicide Silence". Man freut sich jedesmal, wenn er wieder die Gutturalvocals auspackt – die klingen wenigstens für sich alleine gesehen okay. Ein Band zum Rest der Musik knüpfen aber auch diese nicht.

Denn klar könnte man alles auf den Klargesang schieben. Immerhin war das der Hauptpunkt, für den man Suicide Silence im Voraus auf die Mütze gab. Bequem eigentlich, noch weiter draufzuhauen. Aber nein: die Vocals bieten bei all dem Geschuster tatsächlich einfach nur die dankbarste Angriffsfläche. Mein Lieblingsbeispiel ist deswegen "Hold Me Up, Hold Me Down" – darin verzichtet Eddie nämlich auf Cleans. Was er da so rumschreit, ist aber irgendwie noch schlimmer. Mal kreischt er hochfrequent, ein paar Pig-Squeals hier, gerne auch ultra-tief oder einfach nur qualvolle Kehlenkiller, die vielleicht in Suicidal Black Metal-Kreisen Anerkennung hervorrufen. Bloß ist da in der Regel die musikalische Untermalung strukturierter. Wir wissen ja bereits: Die Band interessiert sowieso nicht, was ihr Sänger treibt; sie befindet sich im Modus 'wütender Teenager' und denkt sich: "Wir sind so hart und böse und solange es unseren Eltern nicht gefällt, machen wir alles richtig. Ist ja kein Pop hier, ne?"

Manchmal haben Mama und Papa eben doch recht, wenn sie sagen, dass das ganz furchtbarer Lärm ist. Um ein Beispiel zu finden, wo Musiker noch inkompatibler agieren, muss man schon ganz tief in der Schüler-Open-Stage-Historie kramen. Man sollte meinen, eine Band, die seit Jahren im Business mitspielt und definitiv bewiesen hat, dass sie eben nicht aus Amateuren besteht, würde über so viel Reflexionsfähigkeit verfügen, um zu erkennen, dass das Mist ist, was sie gerade treiben.

Dazu kommt, dass Knöpfchendreher Ross Robinson ebenfalls kein Neuling ist. Der Typ hat Sepultura "Roots" beschert und Slipknot "Iowa". Aber über die Jahre hat sein Gehör offenbar doch einiges abbekommen. Anders ist es nicht zu erklären, wie er einen solchen Mülltonnensound basteln konnte. Gäbe es die Goldene Himbeere für Musikproduktion, er würde sie 2017 mit ziemlicher Sicherheit gewinnen. Man kann sich das vielleicht als roh schönreden, aber rohes Fleisch schmeckt halt doch einfach manchmal scheiße. Übrigens kein Scherz: Im Pressetext ist – neben 'roh' und 'intim' – auch von 'jarring sound' die Rede. Übersetzt: Misstönender Sound. Jap, das triffts. Er soll den Hörer direkt in einen Raum mit der Band und dem Produzenten versetzen. Oh, was wär' das schön! Man könnte auf Löschen drücken!

Gut, vielleicht habe natürlich auch nur ich einen Schlag erlitten und diese Zeilen in schwer verwirrtem Zustand geschrieben. Dann tuts mir leid. Vielleicht haben Suicide Silence hier tatsächlich ein selbstbetiteltes Album abgeliefert, das die Essenz ihrer Identität ausdrückt und ein richtungsweisendes Monument für Zukunft und Vergangenheit darstellt. Ein gewagtes, aber aufgegangenes Experiment. Vielleicht ist das Hypnose-Pattern in "Dying In A Red Room", das ich nur als Beweis des durchaus in den Herren schlummernden Potenzials anführen würde, in Wahrheit ein augenöffnendes Kunstwerk. Dann bereue ich es zutiefst, dass ich einfach nicht in der Lage bin, das herauszuhören. Immerhin berichteten diverse Kollegen auch wohlwollender über "Suicide Silence". Shame on me. In meinem momentanen Zustand vollkommener Unzurechnungsfähigkeit kommt über meine Lippen leider nur folgendes Fazit: That's truly grausam.

Von mehrmaligem Hören der Platte rate ich übrigens ab. Mag zwar sein, dass ein Schönhöreffekt möglich wäre. Wahrscheinlich ist allerdings – ich spreche aus Erfahrung –, dass sich irgendwann Eddies Clean-"Hooks" parasitisch in den Gehörgängen einnisten und für Ohrwürmer der ganz unangenehmen Sorte sorgen. Die Popnudeln und Helene Fischers treffen dank moderner Studiotechnik ja wenigstens Töne ...

Trackliste

  1. 1. Doris
  2. 2. Silence
  3. 3. Listen
  4. 4. Dying In A Red Room
  5. 5. Hold Me Up, Hold Me Down
  6. 6. Run
  7. 7. The Zero
  8. 8. Conformity
  9. 9. Don't Be Careful, You Might Hurt Yourself

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