laut.de-Kritik
Maul halten und zuhören.
Review von Giuliano BenassiKaum mehr als ein Jahr nach der Veröffentlichung von "The Carpenter" steht schon wieder eine neue Platte der Geschwister aus North Carolina in den Regalen. Um so erstaunlicher scheint da der Umstand, dass auch hier Rick Rubin an den Reglern saß, der wohl gefragteste Produzent der letzten 25 Jahre. Der Mann muss die Gabe haben, sich in zehn zu teilen, bei all den Projekten, die er betreut.
Doch Rubin ist auch extrem effizient, wenn es darum geht, so viel Material wie nur möglich aus seinen Schützlingen zu pressen. Das ist denn auch des Rätsels Lösung: Die Stücke auf dem vorliegenden Album wurden in denselben Sessions wie die auf "The Carpenter" aufgenommen.
Nun läge es nahe, zu vermuten, dass nun der Ausschuss nachgeworfen würde, doch der fröhliche Opener "Open Ended Life" ist besser als jedes Stück auf dem Vorgängeralbum. Endlich kommen wieder jene Harmonien zum Einsatz, die einen wesentlichen Teil der Avett Brothers ausmachen und die auf "The Carpenter" fehlten.
Mit "Morning Song" folgt eine herzzerreißende Ballade, deren Guest List nicht die schlechteste ist: Chad Smith (Red Hot Chili Peppers) am Schlagzeug, Benmont Tench (Tom Petty & The Heartbreakers) an der Orgel, verschiedene Familienmitglieder sowie die Webb Sisters am Mikrophon.
Der beste Moment eines Albums, das auch in der Folge mehrere gute Stücke bereit hält. Das verträumte "Never Been Alive" fällt eine Spur zu seicht aus, "Another Is Waiting" klingt ein bisschen zu sehr nach Green Day mit Banjo-Begleitung, "Good To You" aber entpuppt sich als grandiose Klavierballade, die sich melodisch bei "Norwegian Wood" der Beatles bedient, ohne aber zum Plagiat zu werden.
Das zarte "Apart From Me" kommt weitgehend mit Harmonien, Akustikgitarren, einzelnen Noten auf einem Kontrabass und einem Cello aus, zum Schluss streut Benmont Tench noch ein bisschen Orgel ein. Auf "Skin And Bones" geht es wieder gemäßigt schneller zu, bevor "Souls Like The Wheels" die Livequalitäten der Brothers zeigt, inbesondere die Seth Avetts, der das Stück aus der EP "The Second Gleam" (2008) inbrünstig solo vorträgt. Trotz eines recht nervigen Publikums, das immer wieder dazwischen ruft. Da kann man nur Jimi Hendrix beipflichten, der zu seiner Zeit meinte: Maul halten und zuhören.
Zum Schluss kommt noch ein bisschen Stadion-Rock auf. "Vanity" mutet ein bisschen an wie Coldplay, überrascht zwischendrin gar mit einer Prog-Rock-Einlage. "The Clearness Is Gone", ein eigentlich eher einlullendes Stück, bietet ein astreines Gitarrensolo.
Das Album vermittle ein Gefühl "jugendlicher Freude", teilte die Band vor der Veröffentlichung mit. Eine Meinung, die man teilen kann, insbesondere im Vergleich zum eher müde wirkenden Vorgängeralbum. Kaum zu glauben, dass sie in der gleichen Zeit entstanden sind. Aber das zeichnet Rick Rubin aus – er ist nicht nur einer der besten seines Fachs, sondern er schafft es auch, aus Musik Gold zu machen.
2 Kommentare
Jawohl, wieder besser als der Vorgänger. "I And Love And You" bleibt zwar immer noch außer Reichweite, aber die Tendenz stimmt.
Drei bis vier Sterne, würd' ich sagen.
hab die Jungs erst heute "entdeckt" - wunderbar!