laut.de-Kritik
Bunt und durchgeknallt - ein Film, viel besser als sein Ruf.
Review von Giuliano BenassiDer Anfang vom Ende der Beatles lässt sich an einem Datum festmachen. Die Fab Four befanden sich in Wales, um ein Wochenende mit dem so schrulligen wie geschäftstüchtigen indischen Guru Maharishi Mahesh Yogi zu verbringen, als ihr Manager Brian Epstein an einer Überdosis Schlafmitteln in London starb. Es war der 27. August 1967.
Seit knapp fünf Jahren lag die Welt den vier Jungs aus Liverpool zu Füßen. Mit "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" hatten sie keine zwei Monate zuvor ein Werk veröffentlicht, das viele nach wie vor als das einflussreichste der Popgeschichte betrachten.
Plötzlich mussten sie sich mit zwei unangenehmen Dingen auseinandersetzen: Geld und Verteilung der Macht. Epstein war nicht der strenge und gerissene Manager gewesen, wie er später üblich würde, eher einer von den Jungs. Sicherlich hätte er den einen oder anderen Deal besser einfädeln können, aber ab 1963 musste sich keiner der Beatles mehr Sorgen um seine finanzielle Zukunft machen. Epstein hielt ihnen den Rücken frei, um sich mit George Martin im Studio auszutoben und akzeptierte auch ihren Abschied von der Bühne 1966.
Eigentlich konnte es nur noch bergab gehen. Um ihre Geschäfte zu regeln, gründeten die Beatles eine Firma namens Apple, die mit dem späteren Computerriesen nur den Namen und eine langwieriges Gerichtsverfahren bezüglich der Rechte gemeinsam hat. Von Anfang an war es eine riesige Geldvernichtungsmaschine, die allerlei zwielichtige Gestalten anzog. Zwei der ersten Projekte, die sie finanzierte, war ein Klamottenladen in der Londoner Bond Street und ein Film mit dem Namen "Magical Mystery Tour".
Die Idee dazu hatte Paul McCartney auf einem Flug von Los Angeles in die Heimat: Eine Busfahrt ins Blaue sollte den Rahmen bilden, in dem sich die einzelnen Mitglieder musikalisch einbringen. Dabei sollte es locker zugehen – kein Skript, kein Regisseur, keine einengenden Vorgaben. Als Zauberer verkleidet, leiteten sie die Reise von jenseits der Wolken.
Den Titelsong hatten die Fab Four schon vor dem Tod Epsteins im Kasten. Nun ging es um die filmische Umsetzung. Die Beatles mieteten einen Bus, strichen ihn bunt an, wählten einige Schauspieler aus einem Katalog und gingen für zwei Wochen im Südwesten Englands auf Tour.
Ein Konzept, das nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt war, schließlich ging Dennis Hopper in "Easy Rider" nicht wesentlich anders vor. Doch war Hopper ein visueller Künstler und ein Schauspieler. Die Beatles waren weder das eine noch das andere.
So ist es nicht verwunderlich, dass die Musik das Interessanteste an "Magical Mystery Tour" darstellt. Die Aufforderung "Roll Up" zu Beginn ist durchaus wörtlich zu verstehen, schließlich waren es die Zeiten von LSD und der massenhaften Verbreitung von Marijuana. Paul McCartney steuerte "Fool On The Hill" und "Your Mother Should Know" bei. John Lennon ersann das viel diskutierte "I Am The Walrus", zu dem ihn ein Gedicht von Lewis Carroll inspiriert hatte. George Harrison flocht indische Elemente ins nebelige "Blue Jay Way" ein.
Sicherlich hatten sie davor schon bessere Lieder geschrieben und sollten es in Zukunft auch noch tun, doch zeichnete sich hier das Thema der letzten zwei gemeinsamen Jahre ab: Das Songwriterduo Lennon/McCartney war endgültig zerbrochen. Lennon bezog sich in erster Linie auf sich selbst, George Harrison driftete in esoterische Gefilde ab, und McCartney schrieb schwache, wenig aussagekräftige Texte mit einprägsamen Melodien. Es reichte zwar noch für das Instrumental "Flying", nicht aber für eine Soloeinlage Ringo Starrs, der im Bus zum Schluss lediglich "Rule Britannia" und ein paar Volkslieder anreißen durfte.
Dafür legte Ringo als einziger der Beatles schauspielerische Qualitäten an den Tag - und zankte sich mit seiner Tante im Film, der gewichtigen Schauspielerin Jessie Robins. In der knappen Stunde geht es stellenweise durchaus lustig zu. In einer gewissen Hinsicht erinnert der Streifen in seiner Absurdität an Monty Python, ohne aber deren Tiefgründigkeit oder Bissigkeit auch nur stellenweise zu erreichen.
Interessant für Autoliebhaber ist ein Rennen zwischen dem Bus, einem Mini Cooper, einem Bentley, einem Lancia und einem äußerst seltenen Iso Grifo. Bekannt ist eher die Albtraumszene mit John Lennon, der Starrs Filmtante einen Berg ranziger Spaghetti auf den Teller häuft. Das Beste kommt zum Schluss, mit einem Besuch in einem Club, in dem die Bonzo Dog Doo-Dah Band "Death Cab For Cutie" spielt und die Stripperin Jan Carson auftritt.
So weit, so gut. Das Material, das im September 1967 entstanden war, gab nicht allzu viel her. Das Schneiden und die Nachbearbeitung beschäftigte vor allem Paul McCartney fast drei Monate lang. Schwer zu sagen, ob die Vorgehensweise unter Epstein wesentlich anders gewesen wäre, sicherlich hätte er aber das größte Debakel des Projektes verhindert.
Die Beatles beschlossen nämlich, den gerade fertig gestellten Film dem britischen Staatsfernsehen BBC zu übergeben, der ihn am zweiten Weihnachtsfeiertag 1967 ins Programm nahm. Sicherlich nicht die schlechteste Option, doch hatten sie den Umstand nicht bedacht, dass der Sender nur in schwarzweiß ausstrahlte – und somit viele Szenen nicht nur wie Standbilder aussehen ließ, sondern auch noch die handwerklichen Defizite gnadenlos aufdeckte.
Die Reaktionen waren so verheerend, dass der Film lange Zeit wenig Beachtung fand. Erstaunlich angesichts der Flut an Beatles-Veröffentlichungen, die seit den 90er Jahren anhält. Zum 45-jährigen Erscheinen wurde der Streifen nun aufwändig und originalgetreu restauriert (in Indien, wie es sich heutzutage gehört), auch der Soundtrack erstrahlt dank George Martins Sohn Giles in neuem Klang-Glanz.
Die empfehlenswerte Deluxe-Ausgabe enthält neben DVD und Blu-Ray auch zwei Booklets und zwei Vinylsingles mit den Beatles-Songs aus dem Film. Zu den Extras gehören eine Kommentarspur Paul McCartneys, der über das Projekt sinniert, einige herausgeschnittene Szenen und der Promostreifen zu "Hello Goodbye".
Denn in einer Hinsicht war "Magical Mystery Tour" bahnbrechend: Er zeigte, dass man Lieder visuell begleiten kann, ohne sie in eine Handlung zu betten. Das Musikvideo war quasi geboren. "Es war eine abenteuerliche, improvisierte Angelegenheit, die damals einige Leute ratlos hinterlassen hat. Nun, da so viele Jahre vergangen sind, ist es eine schöne Erinnerung an jene Zeit in unseren Leben", fasst Paul McCartney im Vorwort zusammen.
5 Kommentare
Toller Film, tolle Musik - kam vorgestern erst auf ARTE.
Das erste Musikvideo der Geschichte war allerdings schon zwei Jahre vorher geboren - ebenfalls eine Beatles-Erfindung! Da die Band schlicht nicht die Zeit und Ressourcen hatte, alle Promo-Termine von allen Musiksendungen der Welt wahrzunehmen, drehten sie kurzerhand ein Video zu ihrer Single "Rain" und schickten es an die Stationen.
"Rain" ist bis heute leider weitgehend unbekannt, dabei ist der Track wirklich stark. Egal, weiter im Text ^^
Rain ist 'ne B-Seite (wenn auch eine der besten der Pop-Geschichte)
Rain ist 'ne B-Seite (wenn auch eine der besten der Pop-Geschichte)
Hehe, immer schön, wenn Beatles-Fans Nerdwissen austauschen können!