laut.de-Kritik

In der Provinz finden die Killers ihre Seele.

Review von

Eingeschlossen in einem Kaff, fernab der lauten Großstadt und nur mit dem Nötigsten im Studio ausgestattet: So beginnt die Geschichte von großen Alben der Musikgeschichte. "For Emma, Forever Ago" von Bon Iver ist ein Beispiel oder "Nebraska" von Bruce Springsteen. Der fuhr Anfang der Achtziger in die karge Einöde und nahm praktisch über Nacht ein folkig-düsteres Album auf.

Nun gilt Brandon Flowers von The Killers schon länger als Fan vom Boss, aber bisher konnte man sich nicht recht vorstellen, wie er mit Drei-Tage-Bart vor dem Kamin und nur mit einer Klampfe bewaffnet den großen Versteher von rohem Americana-Sound gibt. Die Killers aus der Entertainment-Stadt Las Vegas stehen für genau die andere Seite Amerikas: Laut, bunt und bombastisch. Doch Pandemie und die Rückkehr an den Ort seiner Jugend lösten wohl doch etwas aus bei Flowers.

Nephi in Utah ist die Antithese zu der schrillen und hell leuchtenden Glitzerwelt. Rural wie es nur geht, ohne Ampeln und komplett unscheinbar fernab der Metropolen. "Es war das erste Mal seit langer Zeit, dass ich mit Stille konfrontiert wurde. Und aus dieser Stille heraus begann diese Platte zu blühen, voller Songs, die sonst zu leise gewesen wären und vom Lärm typischer Killers-Platten übertönt worden wären." Worte, die man so auch selten von dem bemüht selbstbewusst wirkenden Killers-Sänger hörte.

So ertönt zu Anfang von "Pressure Machine" nicht der übliche Synthie-Breitwand-Sound, sondern das Klicken einer Kassettenaufnahme und eine rauschige Aufnahme. In "West Hills" geht es um das Aufwachsen in einer Provinz, Gefängnisaufenthalt als Teenager und Drogenmissbrauch. Nicht autobiographisch, für das Album beschäftigte sich Brandon mit den Schicksalen vor Ort. Erst kamen die Texte, später die Musik dazu. Die Instrumente klingen wie aus der Zeit der Besiedlung dieser unwirklichen Gegend. Urwüchsig am nativen Country gebaut, bis dann doch wieder etwas der Bono in ihm durchkommt. Eine große Überraschung: Ohne Vorwissen könnte der Song auch von Death Cab For Cutie stammen, sogar die Klangfarbe in Brandons Stimme erinnert sehr an Ben Gibbard und dessen verschlossene Schwermut. Ein Country-Song. Und bitte noch mal auf der Zunge zergehen lassen: Ein Country-Song. Und nicht der einzige auf diesem ganz anderen Album.

Ein Sänger, der sonst wie ein Pfau über die Bühne gockelt, unter Laser-Effekten tanzt, spielt auch in "Terrible Thing" eine Gitarre ohne Stromverstärkung. Dass dieser Song jemals live gespielt wird, ist einfach unvorstellbar. Zu intim, zu ruhig und zu langsam für die große Bühne. Eher passend in eine Provinz-Bar. Die Geschichte eines schwulen Teenagers, der Selbstmord erwägt, dürfte dagegen nicht zu den Wertvorstellungen im erzkonservativen Mormonen-Staat passen. Wie furchtbar muss so ein Leben in dieser Gegend sein. Eine Mundharmonika spielt dazu nur leise eine traurige Melodie und erzeugt trotzdem ein merkwürdiges Nostalgie-Gefühl. Es schlägt also doch ein Herz unter der perfektionistischen Hülle der Killers. Es mag nicht der Schmerz von Johnny Cash und seinen Americana-Sessions sein, aber der Song löst Emotionen aus.

"Pressure Machine" verklärt jedoch keineswegs die Kleinstadt-Atmosphäre. In den Rekorder-Aufnahmen erklingen immer wieder schockierende Berichte über Opioid-Krisen, die in dieses ruhige Kaff eindringen. Das Heile-Welt-Narrativ, nachdem gerade in solchen Gegenden die Welt noch in Ordnung scheint, passt also nicht zu den ständigen Ausbruch-Träumen aus der gottverdammten Gegend. So wie in "Runaway Horses Feat. Phoebe Bridgers", einer Allegorie über die Pferde, die ihre Fesseln lösen konnten und doch wieder, ob konditioniert oder aus eigenem Wille, zurückkehren. Indie-Darling Phoebe Bridgers singt dazu im Duett den Refrain ein, ohne dem Song eine eigene Note aufzudrücken.

So ganz möchte der Showman Flowers dann aber doch nicht die Bühne frei geben. "In The Car Outside" befriedigt sicherlich den Fan-Wunsch nach einem Hit, und irgendwas muss von diesem ungewohnt ruhigen Album ja auch auf Konzerten zwischen "Mr. Brightside" und "Human" gespielt werden. Der Track verfolgt das altbekannte Killers-Muster, die britischen Sounds aus der Wave-Ära mit prätentiöser Ami-Attitüde zu verbinden.

Aber Nephi ist nun mal nicht Oxford oder Liverpool. So euphorisch der Song nach vorne geht, auch hier geht es um Kaff-Tristesse und eine Beziehung, die nicht dem Hollywood-Stoff von ewiger Romantik entspricht. Oder wie es dem wieder deutlich reduzierteren "Desperate Things" heißt: "People do desperate things". Wir alle versuchen eben, mit dem Scheiß umzugehen und zu überleben. Da geht es den gequälten Seelen in der amerikanischen Tristesse auch nicht besser.

Am Schluss von "Pressure Machine" ertönt ein Bahnhofs-Signal zur Abfahrt. Zurück bleiben die Geschichten aus einer bald wieder vergessenen Stadt und einer Band, die zeigt, dass sie so viel mehr kann. Schwer vorstellbar, dass diesem Album viel Liebe der Fans entgegenschlägt. Die Seele der Band schaufelt dieses Band trotzdem frei und das ist verdammt viel.

Trackliste

  1. 1. West Hills
  2. 2. Quiet Town
  3. 3. Terrible Thing
  4. 4. Cody
  5. 5. Sleepwalker
  6. 6. Runaway Horses Feat. Phoebe Bridgers
  7. 7. In The Car Outside
  8. 8. In Another Life
  9. 9. Desperate Things
  10. 10. Pressure Machine
  11. 11. The Getting By

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11 Kommentare mit 3 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    Dass sämtliche Langzeit Killers-Fans von dem Album enttäuscht sind, hat mich mal reinhören lassen. Tatsächlich versprüht es viel Springsteen/Gaslight Anthem Charme. Klasse! Passt perfekt zum grauen Wetter!

  • Vor 3 Jahren

    War Killers-Fan der ersten zwei Alben sowie Sawdust, hatte sie damals sogar live im Palladium in Köln gesehen. Klasse Konzert, musiktechnisch gings danach aus meiner Sicht übelst bergab.

    Hin und wieder gab es mal ein paar gute Songs die OK waren, auf Albumlänge waren Sie für mich jedoch unhörbar. Umso mehr freue ich mich, dass dieses Album tatsächlich das stärkste seit Sam´s Town ist.

    Ich befürchte nur, dass dies ebenfalls nur ein "Ausreißer" war, ähnlich wie "Everyday´s Life" von Coldplay. Wie dem auch sei, bin jedenfalls sehr positiv überrascht und hätte es von der Band nicht mehr erwartet.

  • Vor 3 Jahren

    Mir geht es wie meinen Vorrednern. Tolles Album für mich die Überraschung des Jahres 2021 bisher !