laut.de-Kritik
Perfekter Querschnitt durch den musikalischen Morse-Code.
Review von Yan VogelAnhänger aller Glaubensrichtungen pflegen ihre Rituale. Die einen beten den Rosenkranz, manche pilgern einmal im Leben nach Mekka, andere wiederum drehen an ihren Gebetsmühlen. Neal Morse veröffentlicht Tonträger am Fließband, und das seit mittlerweile 13 Jahren auf Gottes Geheiß hin. Die daraus resultierende Redundanz führte in der jüngsten Vergangenheit mit "Kaleidoscope" von Transatlantic als Tiefpunkt zu einigen weniger gelungenen Platten. Diese Schwächephase scheint mit dem Doppel-Album "The Similitude Of A Dream" nun überwunden.
Dies liegt an zwei Wörtern, die den Namen des Meisters einrahmen: 'The' und 'Band'. Seit 2012 gibt der Mittfünfziger zwar ungebrochen den Ton an. Wo Morse drauf steht, ist halt auch Morse drin. Die unter dem Banner The Neal Morse Band versammelte Mannschaft zählt aber zum Besten, das im Prog in den letzten Jahren eine Bühne geentert hat.
Das Rhythmusgespann um Drum-Kraken Mike Portnoy und Bass-Urgestein Randy George groovt schon seit einigen Jahren auf Soloalben wie Hölle. Richtig Laune machen die zwei Neuen im Bunde: Eric Gilette versprüht den Esprit eines jungen John Petrucci und singt nebenbei grandios, besonders nachzuhören auf dem abschließenden "Long Day (Reprise)". Bill Hubauer agiert virtuos und behände an den Tasten, verfügt ebenfalls über ein Goldkehlchen und hat unter anderem die 60s-Hommage "The Ways Of A Fool" mit Beatles-Zitaten und Beach Boys-Chören als Songwriter zu verantworten.
Das Konzept bildet eine christliche Allegorie in Form eines Traums, der die Reise vom Dunkel ins Licht darstellt. Ursprünglich von 1678 stammend, verleiht Morse dem Text einen zeitgenössischen Anstrich. Viele Passagen sind entsprechend allgemein gehalten, so dass der Hörer die Lyrics auch ohne Glaubenshintergrund genießen kann. Der Name Jesus fällt zum Beispiel kein einziges Mal. Mit "Through The Wind And The Fire, I Finally Found You" ist aus Sicht der Band sicherlich der Allmächtige gemeint. Die bibelfremden Hörer können die Ansprache aber gerne auf andere Situationen übertragen.
Musikalisch fahren Morse und seine Mitstreiter Heerscharen an tollen Melodien auf und halten über 100 Minuten ein schwindelerregendes Niveau, das das Publikum von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt führt. Jeder der fünf Bandmitglieder sprüht vor Ideen. Gemeinsam stacheln sich alle zu Höchstleistungen an.
In seiner Anlage ist das musikalische Konstrukt mit "Snow" von Spock's Beard und den "Testimony" Solo-Platten vergleichbar. Wiederkehrende Themen bilden die roten Fäden, an denen sich die eher kurzen Stücke aufreihen: der theatralische Rocker "City Of Destruction", das Classic Rock-Schlachtschiff mit Led Zeppelin-"Black Dog"-Riff "The Man In The Iron Cage" und das düstere, mit dezentem 80er-Vibe versehene "The Mask".
Die Krönung erhält das Ganze zum Schluss, wenn die Band, ähnlich dem Finale von "The Whirlwind", alle markanten Themen schlüssig zusammenführt. Hier wähnen sich die 'Ears In Heaven'. Da stört auch die Bluegrass/Country-Nummer "Freedom Song" nicht, die an Morse' jüngsten Solo-Output "Songs From November" erinnert. Selbst eine neoklassisch angehauchte Nummer wie das instrumentale "The Battle" klingt so wie das Trans-Siberian Orchestra niemals klingen wird, nämlich gut.
Haben wir es hier nun mit dem im Vorfeld von Sprachrohr Portnoy angekündigten Meisterwerk zu tun? Auf jeden Fall zeigt die Platte einen perfekten Querschnitt durch den musikalischen Morse-Code, dem insbesondere die Ideen, die Stimmen und das instrumentale Können seiner Bandmitglieder zusätzlichen Glanz verleihen: ein ambitioniertes Doppel-Album mit ausuferndem Konzept.
5 Kommentare mit 2 Antworten
Klingt so, wie ich es im Vorhinein auch erwartet habe. Mike Portnoy ist halt eher der emtional agierende Typ Album klingt gut, 4/5 finde ich da auch!
Gott ist tot 1/5
kammernixmache
Sehr starkes Album! Mit Portnoys Aussage (daß dies das beste Album sei das er je mit Neal Morse aufgenommen habe) gehe ich aber nicht ganz konform. Transatlantics "Bridge across forever" war dann doch noch etwas größer.Diese Messlatte ist allerdings auch kaum zu reißen. Trotzdem ein Anwärter aufs Album des Jahres.Wird ein enges Rennen zwischen diesem Album , Demons "Cemetary Junction" und Wardrunas "Ragnarok".
Wow... Danke..Transantlantics kannt ich gar net... Klasse!
"Kaldeidoscpe" war ein Tiefpunkt? Seh ich nicht so. Aber es ist schön, dass die Redundanz bei Neal Morse immer noch zu interessanten Alben führt, während ich Dream Theater kaum noch hören kann. Das nächste Transatlantic Album würde ich jetzt gerne zügig gemacht haben.
Der Output von Neal Morse ist wirklich unglaublich. Zweifellos gehört dieses Werk zu seinen abwechslungsreicheren, was wohl den Mitmusikern zu verdanken ist. Grandiose Vocals aller Beteiligten, und Eric Gillette klingt an der Gitarre nach Petrucci in seinen besten Zeiten. Textlich ist die Scheibe nicht ganz so hirnrissig wie sonst. Richtig gut. 4/5