laut.de-Kritik
Nix Indie-Jazz, volle Lotte Hardcore.
Review von Michael SchuhHat man ein gewisses Alter erreicht, sind Gespräche über Livemusik vor allem nostalgischer Natur. Man hat schon unzählige Konzerte über unzählige Jahrzehnte hinweg gesehen und der Anekdotenfundus ist reich gefüllt.
Aufgrund der Pandemie sprechen nun zwar auch junge Menschen oft wehmütig von den guten alten Zeiten, aber bestimmte Erinnerungen sind immer noch uns wirklich Alten vorbehalten. Folgenden Satz etwa höre ich von einem guten Freund alle paar Jahre wieder: "Monster Magnet? Come on Alter, die habe ich schon 1992 im Jugendhaus Ravensburg gesehen, Wyndorf high bis Oberkante". Nun stammen besagte Psychedelic Rocker wenigstens aus New Jersey, aber hätte damals einer behauptet, dass man irgendwann auch mal neidisch sein würde auf jemanden, der The Notwist 1990 live im Jugendhaus Weilheim gesehen hat, wäre er wohl mit Hohn, Spott und Kleingeld zurück an die Bar geschickt worden.
Doch hier sind wir nun: The Notwist haben 2021 ihr achtes Studioalbum "Vertigo Days" veröffentlicht, 30 Jahre nach vorliegendem Debütalbum "The Notwist". Die Band hat längst ihre eigene Nische gefunden, fabriziert feingeistigen Indie-Jazz und verwendet neuerdings auch spanische oder gar japanische Texte. Die Schnittmenge aus Käufern ihres aktuellen Albums und diesem hier dürfte überschaubar sein.
"The Notwist (30 Years Special Edition)" erscheint daher nur auf farbigem Vinyl und spricht somit vor allem zu einer Käuferschaft, die die Band seit Jahr und Tag verehrt. Der Aufschlag des Trios im Musikgeschäft war rustikal: 13 schwer polternde Metal-Preziosen mit Punkeinschlag und gelegentlichen Hardcore-Parts - kurz: Musik, die sowieso nur Labels aus Wuppertal veröffentlichen (R.I.P. Subway Records).
"Is It Fear?" legt gleich rüde los. Sagen wir so: Dass dieselben Menschen irgendwann mal ein Banjo einspielen würden, lässt sich hier nicht heraus hören. Das zarte Electro-Kammerflimmern eines Martin Gretschmann ist noch so weit entfernt wie die Band von Gigs in New York und wäre von diesen jungen, gedreadlockten SST-Junkies aus der bayerischen Provinz schlichtweg plattgewalzt worden.
Micha Acher, Markus Acher und Mecki Messerschmidt kreieren hier ihre ganz eigene Version einer Hüsker Dü-Coverband, hauen Uptempobrecher raus ("Bored"), sehr breitbeinige Gitarrensoli ("Be Reckless") oder verweisen in "I've Not Forgotten You" oder natürlich "Seasons" schon vorsichtig in die melancholische Zukunft.
Jugendhaus-Späße wie "Think For Yourself" wären vielleicht besser dort geblieben, aber "Nothing Like You" nimmt dann mit Sonic Youth-Pressure schon mal Anlauf, um baldmöglichst über die engen Grenzen Oberbayerns hinaus zu kommen. Im Folgejahr erscheint das ähnlich gelagerte, stimmigere "Nook", bevor man 1995 den Krawall mit "12" verabschiedet und nur noch Post-Rock-Meilensteine veröffentlicht.
"The Notwist" landet sicher in keiner Liste ihrer besten Alben, ist aber ein ordentliches Debütalbum und in dieser schönen LP-Version ein klarer Fall für Notwist-Komplettisten. Es belegt den Start einer wundersamen Karriere, die stets von der Furcht vor Sellout-Moves begleitet wurde. Als um die Jahrtausendwende das Feuilleton und Amerika allmählich erwachten, sieht man etwa Micha Acher in Jörg Adolphs "Neon Golden"-Doku "On/Off The Record", wie er in einer Sequenz kurz nach einem Zusammenschnitt diverser Pressetermine für die neue Platte sagt: "Interviews machen mir nicht wirklich Spaß. Diese Musiksender, Viva und das ganze Zeug, da komm ich mir so daneben und fehl am Platz vor. Die filmen dann immer so schnell rum, um alles fetzig zusammen zu schneiden, da komme ich mir blöd vor, darauf hab ich überhaupt keinen Bock."
2 Kommentare
Besserer Flow und wesentlich bessere Texte als Hayiti, 1/5 als Rapalbum. Sonst enthalte ich mich.
gilt auch die Nook Tour? Beim 6er Heben den Beginn verpennt, dann zu spät da; kostenlos reingekommen und die letzten 4 Lieder hören können (Incl. Alien).