laut.de-Kritik
Schwarze Romantik von großer Intensität.
Review von Hannes WesselkämperEin kurzer Blick auf Titel, Cover und Tracklist des vierten Timber Timbre-Langspielers deutet bereits an: Vor einem liegt ein Fest des Abseitigen, des Okkulten, des Übersinnlichen. Die Pyramide auf dem Titelbild krönt ein Kreuz mit zwei Querbalken, wie es aktuell vor allem in der Witch House-Bewegung verwendet wird. Songtitel wie "Bad Ritual" oder "Swamp Magic" spinnen das Gedankenspiel weiter.
Und ja, wo der selbstbetitelte Vorgänger lediglich mit melancholischem Friedhofs-Folk kokettierte, erzeugt "Creep On Creepin' On" auf Klang- und Textebene eine schwarze Romantik von ungeheurer Intensität. Mastermind Taylor Kirk vermittelt diese mit der unverkennbaren Klangfarbe seines Organs. Der gespenstisch kehlige Gesang des Kanadiers gebiert morbide Textbilder mit ätherischer Verletzlichkeit.
Das mannigfaltige Instrumentarium dieses Albums ist Zeuge der Veränderung weg von reduzierten Folk-Ansätzen. Stattdessen bietet "Creep On Creepin' On" drei Instrumentaltracks, die mit Orgel und Gitarre ebenso aufwarten wie mit Glockenspiel, Sax oder Autoharp. Lose Assoziationen tun sich auf, die entweder in verlassene Häuser mit knarzenden Dielen ("Obelisk") oder zu dystopischen Fieberträumen ("Swamp Magic") führen.
Ungewohnt eingängig zeigt sich der Titeltrack "Creep On Creepin' On". Die für Timber Timbre typischen Piano-Anschläge vermengen sich mit Geige und reduziertem Bass zu einer romantischen Szenerie mit 50er Jahre-Flair. "I bury my head in my hands / I bury my heart in the sand", singt Kirk in dieser Outsider-Ballade, die mit ihrer oberflächlich simulierten Schönheit an David Lynchs "Blue Velvet" erinnert. Der weiße Vorstadt-Gartenzaun wirkt nur auf den ersten Blick schön, ist aber in Wahrheit ebenso Teil dessen, was er zu verdecken versucht.
Auch in "Too Old To Die Young" scheinen Bedrohliches und Harmonisches Hand in Hand zu gehen. Das zunächst von Schreien begleitete Credo "I'm givin' it, givin' it, givin' it, givin' it all up" findet sich gegen Ende des Songs im musikalischen Kontext einer in Pomade getränkten Rock'n'Roll-Ballade wieder. Schachbrettboden, Milkshakes und rote Vinylsitzbänke für den großen Creeper.
"You must be very terrified. / Well, you have every reason to be frightened / since you've been reading my mind", eröffnet Kirk dem aufmerksamen Zuhörer in "Lonesome Hunter". Doch ist es gerade die Faszination am Dunklen, die einen auf diesem Album in seinen Bann zieht. Die Abkehr von Folk-Wurzeln, Zitate des Doo Wop und Rock'n'Roll sowie eine breite Instrumentierung erzeugen einzigartige Lieder, die eigenständige Kapitel eines homogenen Werks sind.
Der Epilog des Trauermarsches ist das dritte Instrumentalstück. "Souvenirs" vereint alle Schönheit des Schattens noch einmal in sich, um dann dem dunklen Schauspiel mit einem letzten kraftvollem Griff in die Tasten ein Ende zu setzen. Während des dreißigsekündigen Nachhalls spiele ich mit dem Gedanken, der CD gleich noch einen weiteren Durchlauf zu gönnen.
2 Kommentare
Wenn's so gut wie das 2009er Album wird, feier ich das nach einem Tag schon bis in die Nacht. Guter Mann.
fantastisches album! konnte mit dem vorgänger nicht viel anfangen, aber creep on ist wirklich richtig groovy.