laut.de-Kritik
It's not unusual to love Tom Jones.
Review von Erich RenzEigentlich klingt die zusammengestellte Kaufempfehlung "Greatest Hits" wie ein Abgesang auf das bisher gelungene Lebenswerk des Künstlers. Die müde Mark wird zum rollenden Rubel, der Die Hard-Fan zum Fanatiker 2.0, der bisweilen schon jede B-Seite, Compilation oder DVD besitzt. Doch wenn neben der eigenen breiten Brust die zusätzliche Offerte "Rediscovered" den Titel ziert, kann das vorliegende Produkt nur ein hedonistisches Hemdaufknöpfen mit üppiger Brustbehaarung und überdimensionalem Selbstbewusstsein sein.
Tom Jones: Wer Selbsterfahrungstrips oder Selbstfindungsprozesse vermutet, wird die Antwort mit dem halbleeren oder halbvollen Glas beantworten müssen. Im halbleeren Selters ist Jones der krude anmutende Weibersüchtling mit ein bisschen Heimweh und viel Streicherschmerz. Ist das Glas aber halb voll und aufgeschäumt mit Sekt, verweigert man sich bei beschwipster Begeisterung gerne jeder pseudoaktuellen Hipster-Neigung.
Die Discowelle schwappt über, es gibt keine zeitdiagnostische Rivalität der Stile, sondern eben nur den Boden und die Angebetete: "Pussycat, Pussycat you're so thrilling and I'm so willing." Denn wenn der laufende Zeitgeist verschwindet, braucht man manchmal eine zeitlose Fühlweise, bei der das Alter auch im Kampf um die Ästhetik mit der Schönheit konkurrieren kann.
Tom Jones wälzt sich auf seiner ersten zweiseitigen zweiten Hitsammlung nach 2003 durch die Vergangenheit und findet neben sich seine Meilensteine, ob Dylan, Cliff Richard, Mahalia Jackson oder gar Prince.
In jedem dieser Charaktere erinnert er an das Dylan-Biopic "I'm Not There" und spielt mit den Wechselidentitäten, die sich aus dem Original ergeben, aber im Zitat keinen stupid-kreativen Raubzug erkennen lassen. Die Rückblende zu diesen seinen Einflüssen aus Gospel, Blues und Folk ergeben Jones' musikalische Ménage à trois, die unverblümt in seiner Stimme kulminiert.
Und genau die Kulturhelden aus diesen drei Stilen sind die großen Schatten, die sich Tom Jones auf "Rediscovered" als neues Liedmaterial vornimmt: "Didn't It Rain" - ein im Original vertonter Gospel von Mahalia Jackson - ist die biographische Retrospektive des mittlerweile gestandenen Sängers, der sich zur Jugendzeit noch unter die Knabenstimmen im Kirchenchor einreihen musste.
An John Lee Hookers "Burning Hell" fällt auf, wie gerne Jones im Blues seine Wurzeln geschlagen hat und die emotionale Singkraft aus der Textvorgabe des Lehrmeisters zieht. Das Paradestück der drei neuvertonten Songs bildet aber das eruierende "What Good Am I" des Folk-Barden Dylan. Überall dort, wo er stimmliche und harmonische Kennzeichen erahnen lässt, stellt Jones Präzision her, ohne mit Blasiertheit zu protzen.
"Den 'Tiger' haben sie ihn genannt, doch Tom Jones brüllt gar nicht, er singt, und zwar bis heute fabelhaft", gratulierte die SZ zum 70. Geburtstag. It's not unusual to love Tom Jones.
1 Kommentar
Wusste bis eben gar nicht mal, dass der noch lebt.
Lustig, dass er immer noch dabei is ^^