laut.de-Kritik
Einheitsbrei für Eltern, Underdogs und Gangster.
Review von Yannik GölzUm zu verstehen, warum Trettmann 2017 eigentlich so ein Phänomen war, sollte man sich daran erinnern, wie ungewöhnlich seine Geschichte eigentlich ist. Spät in der Karriere noch einmal ausgegraben, avancierte er vom Untergrund-Dude binnen kürzester Zeit zum heißesten neuen Tonangeber der Szene. "#diy" war nicht nur so innovativ, wie Deutschrap zu der Zeit klingen konnte, es war auch eine Erfolgsgeschichte, ein Comeback, sein Label sprach von einem "gefühlten Debüt". In diesen dreißig Minuten hat er alles rausgelassen, den aufgestauten Frust und den Stolz auf die Renaissance, er hat für den Osten repräsentiert und war der Meister seines Dojos. Dieses Album hat nur so vor Hunger gebrannt. Sechs Jahre später kommt Album Nummer drei, und vom Umbruch in der Industrie ist nicht mehr viel zu spüren.
Im Kampf gegen die Langeweile der Deutschpop-Schmonzetten hat Trettmann hier die ganze Industrie auffahren müssen, und trotzdem verliert er über weite Strecken gegen dreißig Minuten Laufzeit. Was stimmungsvoll, melancholisch und minimal klingen soll, wirkt vor allem von sich selbst erschöpft. Eins der Hauptprobleme ist, dass es "Insomnia" zwar nicht unbedingt an den interessanten Sound-Designs mangelt, da sind durchaus ein paar coole Loops vorhanden. Aber das Tempo wechselt nicht, die Songs heben sich kaum voneinander ab, alles wirkt immer einen Schlag langsamer, als es sollte.
Vielleicht ist es aber auch so, dass Tretti nicht mehr den Eindruck erweckt, als lägen ihm brennende Dinge auf der Brust. Sein Songwriting klingt angestrengt. Allein, dass er das Album mit einem tiefsinnigen "wie viele Nullen hat eine Million?" aufmacht. Er betont das so schwerfällig, dass ich mir ziemlich sicher bin, dass es eine Metapher sein soll, aber wofür? Eine Million hat sechs Nullen, Trettmann, das solltest du wissen. Klar, das ist jetzt irgendwie gemäkelt, aber es erscheint emblematisch, dass eine so prominente Stelle im Album mit einer so fragwürdigen Zeile befüllt ist. Halbgare, unausgegorene Fragmente sehr pathetisch betonen ersetzt hier desöfteren die starken Trackideen oder Thesen früherer Alben.
Hatten sowohl "#diy" als auch das schon etwas schwächere "Trettmann" noch klar abgrenzbare Songkonzepte, so scheint das Credo hier von Song zu Song einfach irgendein gefühliger Beziehungskram zu sein. Er nennt das Musik für "Eltern, Underdogs und Gangster". Tatsächlich haben wir es mit der gleichen Art von gefühliger Beziehungs-Lyrics-Soße zu tun, die gefühlt 80 Prozent aller schwermütigen deutschen Chart-Songs ausmacht. Die, bei der man nicht weiß, ob alle dasselbe depressive Songwriter-Camp benutzen, oder ob einfach nur ganz Deutschland dieselbe toxische Beziehung durchlebt. Es spricht alle möglichen Leute an, weil es eigentlich niemand anspricht.
Die ganze Stange an großen Namen, die sich gegenseitig in Anonymität überbieten wollen, hilft dabei nicht. Henning May liefert genau eine Line: "Draußen regnet eine kalte Welt." Die ist nicht nur pseudodeep und dämlich, sondern klingt mit sehr komischem Vocal-Editing dann auch noch schlecht. Heißt, in der einzigen Konsequenz wird sie achtmal geloopt zum Refrain. Die Beiträge von Levin Liam und Bilderbuch kann man bemerken, muss man aber nicht. Wenn ein Album Lena Meyer-Landrut und Paula Hartmann ununterscheidbar klingen lässt, dann lief irgendwas im Songwriting schief. Alle diese Beiträge wirken wie hin- und hergemailte Studio-Sessions, und doch ist ihr Auftauchen meist das einzig Markante an diesen Songs.
Herbert Grönemeyer und Nina Chuba liefern vermutlich die besten Momente des Albums ab. Grönemeyer, weil er einer der wenigen Leute ist, die einfach grundlegend so viel Charakter und Charisma mitbringen, dass er sich vom gleichförmigen Fluff des Albums nicht herunterziehen lässt. Nina Chuba reißt sich zwar kein Bein aus, aber immerhin haben Kitschkrieg hier gerafft, dass man dem wohl größten Newcomer der Stunde irgendetwas geben muss, so dass dieser Song ein paar interessante musikalische Spielereien und Kniffe mitbringt. Der instrumentale Breakdown auf "Tauchen" liefert ohne Frage einen der beeindruckenderen Momente.
Die Meinung zu "Insomnia" am Tag des Releases war gespalten, aber wenn Leute sich positiv dazu geäußert haben, dann meistens dergestalt, dass sie es als einen schönen Abschluss für eine bedeutsame Ära Deutschrap betrachten. Trettmann selbst scheint diesen Eindruck zu teilen. In Interviews spricht er verhaltener über das Projekt, sieht eine Trennung mit Produktions-Duo Kitschkrieg am Horizont und hat das Gefühl, langsam über die große Radio-Ära hinaus zu sein. Er rundet damit einen beeindruckenden, quasi legendären Run in der Szene ab. Nur, womit er den Satz vor dem Ausrufezeichen eigentlich füllen soll, scheint er nicht zu wissen.
Diese Stimmung schlägt auf "Insomnia" durch. Es ist ein Album voller sehr sicherer Entscheidungen, mit fast gar keinem musikalischen Wagemut und wirklich wenig zu erzählen. Die Beats haben die Sauce irgendwie schon noch, es klingt nicht hässlich, es ist ein Vibe. Aber wenn man es mit der eruptiven Kraft seines gefühlten Debüts vergleicht, dann erscheint das hier nicht nur wie eine gänzlich domestizierte Version davon an, sondern auch wie eine nahezu leidenschaftslose. Es bleibt zu hoffen, dass das nächste Kapitel Trettmann zurück in eine Position bringt, in der er so richtig Bock auf den Scheiß hat, denn das hier fühlt sich wie eine Sackgasse an.
11 Kommentare mit 3 Antworten
Puh harte aber auch nachvollziehbare Kritik. Ich seh's ein bisschen anders, mag das Album eigentlich recht gerne: https://youtu.be/frL9eS30uU8
Ja fuck, die Kritik liest sich genau so, wie ich mir das Album vorab vorgestellt habe.
Dann bleibe ich wohl lieber bei DIY und den Kitschkrieg EPs, um für dieses Projekt nicht auch noch das letzte bisschen Sympathie zu verlieren.
Leider kompletter Murks. Schon direkt nach dem ersten Durchlauf kann man sich eigentlich an keinen Song erinnern. Einzig "6 Nullen" und "Insomnia", die's vorher schon als Singles gab, klingen halbwegs rund.
Einige Beats haben Potenzial, Trettis Stimme klingt immer noch top, aber nirgendwo wird das mit sinnvollen Texten oder ner einprägsamen Hook gefüllt. Selbst "Tauchen" mit Nina Chuba, absolute Steilvorlage für nen Sommerhit, wird völlig versemmelt.
2/5 ist wirklich das maximum.
Mochte den nie.
Ja, danke ich auch nicht. Musik für den lautuser, seit Tag 1.
+1
DIY rauf und runter. Jetzt könnte ich gar keine Wertung abgeben, weil ich das nicht mehr freiwillig anhöre. Schon gar nicht nach der Review hier. Dieses Video damals mit UFO und den andern Spacken war der eine Dämpfer zuviel.
Falsches Album zum richtigen Zeitpunkt oder vielleicht umgekehrt? Kein Genre was ich kenne oder oft besuche, aber das Album shockt. Soundtrack Funktion. Kommt selten vor. Danke dafür.