laut.de-Kritik
Mit pudeligem Haupthaar in den Metal-Olymp.
Review von Kai ButterweckMitte der Achtziger feiert die Edelstahlbranche ihre Glanzzeit. In nahezu jeder Ecke der Welt schießen neue Heavy Metal-Bands wie Pilze aus dem Boden. Das musikalische Spektrum ist breit gefächert. Formationen wie Slayer und Venom brüllen am lautesten, dicht gefolgt von Kollektiven wie Metallica, Anthrax, Overkill und Testament.
Nicht ganz so halsbrecherisch gehen Iron Maiden, Saxon, Manowar und Judas Priest zu Werke. In jenen Gefilden tummeln sich auch die Herren Dee Snider, Eddie Ojeda, Mark Mendoza und A.J. Pero, die unter dem Banner Twisted Sister in ihrer Heimatstadt New York bereits seit Mitte der Siebziger für Aufsehen sorgen.
Statt mit Nieten, Leder, Lendenschurz und Streitäxten gehen die verdrehten Schwestern lieber mit Fransen-Kostümen, aufgeplusterten Dauerwellen und Drag-Queen-Make-Up auf Tour. Beim Härtegrade stehen sie ihren martialischen Kollegen hingegen in nichts nach.
Die ersten beiden Studioalben "Under The Blade" und "You Can't Stop Rock'n'Roll" hinterlassen vor allem in England große Spuren. Das Zweitwerk schafft es gar bis in die Top 20 der Albumcharts. Mit ihrem dritten Werk "Stay Hungry" gelingt ihnen im Sommer des Jahres 1984 schließlich der internationale Durchbruch.
Vor allem die beiden Eckpfeiler "I Wanna Rock" und "We're Not Gonna Take It" katapultieren Dee Snider und Co. praktisch über Nacht ins internationale Hartholz-Rampenlicht. Während der eine ("I Wanna Rock") einem Musik gewordenen Bulldozer gleichkommt, entwickelt sich der andere ("We're Not Gonna Take It") mit seinem galoppierenden Groove und seinem Evergreen-Refrain zur Hymne einer ganzen Generation. Mit Hilfe von MTV gelangen die beiden Nackenbrecher in nahezu jedes Jugendzimmer von Los Angeles bis Melbourne.
Doch nicht nur die beiden Singles des Albums vergolden von heute auf morgen das markante Logo. Auch der Rest setzt sich mit einer ausgewogenen Mixtur aus kratzigem Hardrock, flotten NWOBHM-Anleihen und schleppendem Bombast in den Gehörgängen all jener fest, denen "Kill 'Em All" zu hart und "Pyromania" zu weich ist.
Reminiszenzen an die Kollegen haben die Schwestern auch im Programm. So brausen "Stay Hungry" und "Don't Let Me Down" auf der Überholspur und huldigen Iron Maiden. "The Beast" lehnt sich an "Rock And Roll Hell" von Kiss an und in "S.M.F."schicken sie einen Gruß nach Down Under.
Mit dem bitterbösen "Horror-Teria"-Medley und der opulent arrangierten Powerballade "The Price" beweisen Twisted Sister zudem noch, dass sie auch in der Lage sind mit Extremen gekonnt zu jonglieren.
Neben der ausgeklügelten Gitarrenarbeit der beiden Saitenhexer Eddie Ojeda und Jay Jay French, den wuchtigen Kesselspielereien von Drummer A.J. Pero und den grollenden Bassläufen von Mark Mendoza ist es vor allem das voluminöse Organ von Hardrock-Pudel Dee Snider, das den Freund härterer Klangkost von der ersten bis zur letzten "Stay Hungry"-Minute in seinen Bann zieht.
Mit geballten Fäusten und aufgeblasenen Lungenflügeln verteidigt der blonde Hüne das Revier des Losers und des ewig Geächteten. Nur um am Ende den Stinkefinger zu heben und mit dem Spiegel vor Augen folgende Worte ins Mikrofon zu brüllen: "If they think that we're sick / then sick is what we’ll be / scream it loud / know what you are be proud / you're a sick Motherfucker!"
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
6 Kommentare mit 9 Antworten
Hammer!
ja, toller stein und tolle zeilen v d guten butter.
auf dieser platte kommt auch zum ersten mal obersoziopath und alterego "captain howdy" vor, den snider für seinen gelungenen horror-streifen "strangeland" später weiter entwickelt.
ich persönlich fand immer, dass "stay hungry" auch super im doppelpack mit dem nahezu ebenso guten nachfolger "come out and play" funktioniert. die dortigen balladen und das titelstück passen nahtlos zu "I wanna rock" und co.
"I wanna Rock" ist so eine Überhymne! Werde mit "Come out and Play" mal geben, werter Anwalt.
Nah, Come out and Play war viel zu poppig. Besser "You Can't Stop Rock 'N' Roll" hören. Fast noch besser als Stay Hungry
ach, das war nur die produktion. songwriting war geil.
Ich weiss ja nicht wo "The fire still burns" und "I believe in rock n roll" oder auch "Come out and play" poppig sein soll. Die richtige Macht zeigen Twisted Sister allerdings nur live. Dieses Jahr gibts zum letzten Mal die Gelegenheit.
Im Gegensatz zu den ersten drei Alben schon. Vor allem zu den ersten zwei
Konnte Dee Snider letzten Sommer live sehen ,.. Irre der Typ
Sollte man die echt ernst nehmen, ja?
Das was ich kenne, habe ich seinerzeit im Bierzelt zwischen "Westerland", "Highway to Hell" und "Mexico" kennenlernen dürfen und dort bis eben auch für ganz gut aufgehoben gehalten. Vielleicht probier ichs demnächst nochmal unter geänderten Vorzeichen, skeptisch bin ich aber doch.
Wie auch immer, danke für die Anregung.
@Kubischi man muss dir fast dankbar sein. Als ich gestern den neuen "Ms" las, dachte ich ähnlich. Der Anwalt wird mit Sicherheit mir widersprechen, das ist aber auch gut so.
Eigentlich sind solche Bands wie eben Twisted Sister verantwortlich dafür das Heavy Metal/ Metal/ Hard Rock so einen schlechten Ruf bekam in den 80iger Jahren und darüber hinaus. Das dann als "Ms"? Die Frage ist zumindest erlaubt.
Erinnern wir uns an die 70iger Jahre. Rockmusiker wie Deep Purple, Black Sabbath, Glamrocker a la Queen, Progrocker wie Pink Floyd, Led Zeppelin um nur die Bekanntesten auf zu zählen, bestimmten die Szene. Sie waren mehr "Heavy" als alle "Spandex - Zeig deine Eier Rocker" der Generation Twisted Sister.
Hat dieser Rückschritt und durch die Kleidung fast Persiflage dem Metal irgendwas gebracht? Abscheu, über solche Typen sich lustig machen, zu wissen wie sich Metal nie wieder anhören sollte. Abkehr von vielen von der Musik, die vorher Rockmusik ernst nahmen. Das hat es gebracht. Jetzt warte ich mal auf den richtigen Kontext des Anwaltes bzw. von KB, wenn sie denn mögen.
Gruß Speedi
es kommt immer auf den einzelfall an.
und dieses album ist einfach gut gemachte rockmusik.
ich kenne durchaus auch ein paar leute, die das wie du sehen & mir sagten, als ich mir 1985 zur erscheinung v "come out & play" (§come out and pray§ wäre noch geiler als titel!) kaufte: alter, ich versteh ja, dass du auf alice cooper stehst...aber diese typen...?
ein anderes beispiel: manowar!
komplett belächelte absolute showbizprofis, deren "kings of metal" jenseits von image und styling eine zierde des genres wurde und blieb. songs wie "crown & the ring" etwa. wäre das auch nicht deins?
worauf ich hinaus will: egal ob ts oder manowar oder xy. sie alle sind ja nun nicht so mediokre songwriter a la poison. und co.
...dass die 70er gleichwohl ein anspruchsvolles jahrzehnt waren: klar, geschenkt.
gib dir mal d a s hier; wird dich mehr kikken, besonders mit der extremen hintergrundstory:
http://www.laut.de/Rainbow/DVDs/Live-In-Mu…
der Manowar-Vergleich hinkt nun aber gewaltig: Die haben immerhin abseits vom Image (das auch erst mit K.O.M. lächerlich wurde), dann doch im Gegensatz zu TS ein paar musikalische Meisterwerke aufgenommen. "Sign Of The Hammer" kam zur gleichen Zeit wie "Stay Hungry"... und es liegen qualitativ Welten dazwischen.
Da hat wohl jemand damals als Jungspund den Hype geglaubt, viel MTV geguckt und sich all das einfach bis heute gemerkt. Wenn das ein Meilenstein ist, dann werden wohl ähnlich gestrickte Schreiber in 30 Jahren auch Justin Biber zum musikalischen Prägestempel erklären.
Twisted Sister ist eine ulkige Truppe mit gewissem Unterhaltungswert gewesen. Aber die Mucke war und ist doch eher B-Ware.
Man vergleiche, was damals am Start war: "Ride The Lightning" von Metallica. "Defenders Of The Faith" von Judas Priest. "Powerslave" von Iron Maiden. Oder, wenn man den Vergleich unfair hart finden sollte: "Pyromania" von Def Leppard. "1984" von Van Halen. Oder von mir aus "Headhunter" von Krokus.
Vor dem Hintergrund rutscht TS doch ganz schnell in die zweite, dritte Reihe. Ein Eindruck, der sich auch bestärkt, wenn man mal die (ja, sehr unterhaltsame!) Biografie von Dee Snyder zu Gemüte führt: Twisted Sister war eine hochgejuxte Coverband ohne künstlerischen Eigenanspruch, die dann mal Glück sowie einen markanten Frontmann hatte und mit ihrem schrillen Outfit schmissige Shows bot. Dazu kam, dass man via MTV als eine der ersten Metalbands fett gepusht wurde. Aber sonst?
Den Kai und auch den Anwalt hab ich schon beim schreiben ihrer Reviews in ihren "ollen Spandexbuchsen" gesehen. Das kannste mir glauben, ein kaum zu ertragender Anblick. Das zwickt doch so unangehnem. Die Schreibtische waren zu Altären umfunktioniert worden. Darauf alles Utensilien der Zeit. Bei Kai war rechts auf dem Schreibtisch ein Totenkopfaufkleber wo drauf stand "Fuck me in Hell". Irgendwie süß, links war ein Aufkleber wo drauf stand "Atomkraft nein Danke".
Gruß Speedi
Spandex zwickt doch nicht. Musste mal anziehen, fühlt sich gut an