laut.de-Kritik
Die definitive Box des erfolgreichsten U2-Albums.
Review von Michael SchuhDass U2 dieses Album zum 30-jährigen Jubiläum mit einer eigenen Tournee ehren, zeigt schon den enormen Stellenwert von "The Joshua Tree". Unabhängig davon, ob die Iren diese Ehre in vier Jahren auch "Achtung Baby" erweisen, ist dieses fünfte Studioalbum aus dem März 1987 wohl unbestritten das wichtigste ihrer Karriere. Seine Songs veränderten die Welt und die vier Männer aus Dublin für immer. Das Vorgängeralbum von 1985 war konzeptionell nicht minder mutig (introducing Brian Eno), beinhaltet immerhin den Evergreen "Pride (In The Name Of Love)", aber hey, erinnert sich noch jemand spontan an das Cover oder gar den Albumtitel? Eben.
Was das heutige Millionenunternehmen U2 von der Band unterscheidet, die 1986 mit dem aufstrebenden Fotografen Anton Corbijn auf der Suche nach einem neuen Albumkonzept in die kalifornische Mojave-Wüste reist, lässt sich schön an einem Interviewzitat von Bono zum Auftakt der "Joshua Tree"-Jubiläumstour im Mai ablesen: "Es ist ein tolles Gefühl gewesen, an den Punkt zurück zu gehen, ohne Visuals auf der Bühne aufzutreten. So war es damals, als wir das Album aufgenommen haben. Es ist aufregend, wieder so zu spielen, aber viele Leute haben sich heute an die großen Bildschirme gewöhnt. Uns geht es um den Fokus auf die Musik. Als die Menschen dann nicht ihre Handys in die Luft hielten, war es überwältigend."
Der unbedingte Wille, Fans und Zuschauer ohne großes Brimborium zu erreichen, Auge in Auge, ob in versifften Punk-Clubs, Theatersälen oder später in Stadien; Charisma-Sau Bono war immer am Start, immer an der Front oder halt dort, wo man auf turmhohe Lichttraversen oder Baldachine klettern konnte, um aufs Publikum herab zu predigen wie der Priester von der Kanzel - das waren die U2 der 80er Jahre. "Join Amnesty International", so steht es 1987 im Booklet der Platte geschrieben und so klang auch die Musik von U2: Eine Aufforderung zum Handeln, ein letzter Appell, das Spiel nicht kampflos den Etablierten zu überlassen. "I want to tear down the walls that hold me inside."
Das größtmögliche Live-Spektakel gestatteten diese Songs ihren Schöpfern 1987 im Stadionkontext, obwohl sie an einem Ort entstanden sind, der für das exakte Gegenteil steht: Kontemplation und absolute Ruhe. Corbijn soll damals während des Wüsten-Roadtrips unvermittelt "Stop" gebrüllt haben, als er diesen seltsamen Palmlilienbaum erblickt, der da mutterseelenallein zwischen Sand, Sand und noch mehr Sand wie in einem klimatisch streng überwachten Gewächshaus einfach so nach oben wächst.
Heutzutage würde jeder sofort nach dem Handy greifen, um solch ein Wunderwerk der Natur festzuhalten. Und vielleicht ist es gut, dass es 1986 noch keine Foto-Handys gab, deshalb durfte schließlich auch der Holländer Corbijn mit, und so zog Bono eben dort, wo er heute vermutlich sein iPhone trägt, damals die Bibel hervor, stöberte ein wenig im Buch Josua des Alten Testaments und reagierte blitzschnell: Das neue Album, es muss "The Joshua Tree" heißen. Bizarre Landschaften, kahle Felsen, Bäume wie aus dem Märchen: Die glühenden USA-Fans aus Europa erlebten drei Jahre nach ihrem Auftritt in Colorado (Livealbum "Under A Blood Red Sky") ihre ganz eigene American Valhalla. Die Weite des Wüstenpanoramas findet seinen unmittelbaren Nachhall in den Songs dieser Platte. Und auch in einigen Textzeilen ("Desert sky / dream beneath the desert sky", "In God's Country"; "I'll show you a place high on a desert plain", "Where The Streets Have No Name").
Der Album-Einstand ist natürlich nicht von dieser Welt. Das auf sanften Yamaha DX7-Ambientsounds von Großmeister Eno heran kriechende "Where The Streets Have No Name", in dessen weiteren Verlauf Echopedal-König The Edge sein ausgearbeitetes, auf Präzision geeichtes Riff-Timing vorstellt, gefolgt vom neuartigen Gospel "I Still Haven't Found What I'm Looking For" und gipfelnd in der sublimen Verzweiflung von "With Or Without You": Gab es vor "The Joshua Tree" noch Rivalen für U2 im kommerziellen Rock-Sektor, etwa die Simple Minds, pulverisierte dieses Song-Trio sämtliche Vergleiche in weniger als 15 Minuten. Oder wie es Bill Flanagan in seiner Lobschrift in der Box formuliert: "Alle drei Titel klingen wie Worte, die John Wayne in einem John Ford-Film sagt." Fortan agierten U2 auf einer Stufe mit Springsteen.
Es wäre interessant zu erfahren, wie viele der 20 Millionen Menschen, die "The Joshua Tree" gekauft haben, sich jemals großartig mit dem Rest abgegeben haben. Zumal als vierter Song auch noch das eklatant ungestüm rockende "Bullet The Blue Sky" die Frisur neu richtet. Inspiriert von Bonos Trip nach El Salvador und Nicaragua, formuliert der Sänger hier einen apokalyptischen Blick auf das von ihm so innig geliebte Amerika. "You plant a demon seed / you raise a flower of fire / we see burnin' crosses / see the flames higher and higher." Textzeilen, von Ronald Reagans wirtschaftlichen Beziehungen zu Diktatoren inspiriert, passten auf der "Zoo TV"-Tour 1992 plötzlich auch zu brennenden Asylantenheimen in Deutschland oder 2017 zur Wahl Donald Trumps als US-Präsident.
Direkt nach der Explosion folgt "Running To Stand Still", ein Song, wie man ihn auf keinem U2-Album zuvor findet. In sich ruhend, erneut ausnehmend synthetisch, voller Anmut und Atmosphäre. Der Song über Heroinsüchtige im Dublin der 80er machte Bono endgültig zum Lou Reed seiner Generation, eine irische Galionsfigur, an deren Worten sich auf Jahre hinaus (oder zumindest bis "Achtung Baby") ganze Generationen aufrichten.
Es ist verrückt, jeder Song auf diesem Album führt ein Eigenleben und passt dennoch perfekt zum jeweiligen Nachbarn. Dem krachledernen "Trip Through Your Wires" folgt das elegische "One Tree Hill" und vielleicht, weil man das Album nicht mit dem depressiven "Exit" enden lassen wollte, verabschiedet den Hörer "Mothers Of The Disappeared", ein zumindest musikalisch hoffnungsvolles Mantra für die Wende zum Besseren, auch wenn der Text wieder Missstände dokumentiert.
Nun könnte man sagen, ja, das ist alles schön und weithin bekannt, aber wozu braucht es ein Super Deluxe-Boxset eines Meilensteins zum 30-jährigen Jubiläum, das inhaltlich nur unwesentlich mehr zu bieten hat, als die Anniversary Edition zum 20-jährigen Jubiläum 2007? Hierzu muss man wissen, dass sich die Label-Verantwortlichen auch schon vor zehn Jahren zu Recht in der Pflicht sahen, dieses Ausnahmewerk entsprechend zu adeln. So kam man auf die Idee, das reguläre Album um sämtliche B-Seiten zu ergänzen (heute auf CD4). Die Antwort ist recht einfach, auch wenn sie Käufern des Boxsets vor zehn Jahren nicht gefallen wird: So viel Mühe wie 2017 hat man sich noch nie gegeben: Angefangen bei der opulenten Box im Vinylformat, die drei Kilo auf die Waage bringt. Neben reichlich überflüssigen neuen Remixes findet sich auch eine Show der damaligen Tour im New Yorker Madison Square Garden wieder, die den Nostalgie-Trip perfekt machen.
Glanzstück des Super Deluxe Boxsets sind aber die Fotos. Von Anton Corbijn sind acht rare Farb (!)-Abzüge des damaligen Wüstentrips dabei, darunter natürlich auch einer aus der Session vor dem Harmony Motel im Wüstennest 29 Palms, wo ich 2007 ebenfalls nächtigte, nur um später sagen zu können: Ich habe da geschlafen, wo Bono geschlafen hat. Nach der Begegnung mit einer Hühnerei großen Kakerlake zweifle ich den Teil mit der Übernachtung von U2 in diesem Etablissement etwas an.
Den Löwenanteil des optischen Genusses sackt aber Gitarrist The Edge ein. Ein Hardcover-Buch mit 84 Seiten, aufgemacht wie ein Corbijn-Standard, zeigt den kultigen Roadtrip aus dem Blickwinkel des Spiegelreflex-Liebhabers mit dem Pferdeschwanz. Viel Fernblick, viel Brustbehaarung, viele Schnappschüsse. Etwa Larry Mullen, wie er versonnen ein Polaroid in seiner Hand betrachtet. Als würde er sein neues Album in der iTunes-Bibliothek suchen. Aber bis dahin sollten noch knapp drei Jahrzehnte vergehen. Nicht ohne Corbijn zu danken, dass er über dessen Schulter fotografieren durfte, erinnert sich The Edge in seinem Vorwort: "Wenn ich uns auf diesen Bildern sehe, dann sehe ich einen Haufen Pilger auf der Suche. Ich denke, das fasst uns als Band zu dieser Zeit zusammen. Wir hatten viel mehr Fragen als Antworten, aber umso mehr Überzeugung und eine verrückte Art von Mission trieb uns hin zu Landschaften, die zwar unwirtlich, aber rein und frei waren von Zynismus und Weltschmerz - where the streets have no name."
14 Kommentare mit 31 Antworten
war schon bei ersterscheinen in den achtzigern durch und durch fürchterlich. ich konnte den hype um u2 schon damals nicht wirklich nachvollziehen.
u2 waren mal anfang der neunziger für kurze zeit erträglich.
Für mich ebenfalls ein sehr großartiges Album, damals wie heute. Die 4 Alben zuvor sind aber auch geil, bis hin zu Zooropa eigentlich alles geil!
"war schon bei ersterscheinen in den achtzigern durch und durch fürchterlich."
"Für mich ebenfalls ein sehr großartiges Album, damals wie heute."
finde den fehler.
lauti liest halt, was er lesen will.
Er ist halt ein Jubelperser, dem durch das eigene Sperma in den Augen ab und an das Lesen schwerfällt.
Nächster Post: Blabla Ochs, blablabla überochsig, blablabla ochsen.
Yo, das "ebenfalls" sollte die Review stützen, nicht Para den Hater. Liest sich aber missverständlich, stimmt schon.
Ob Oasis oder U2, hauptsache die Stones
Lauti ist so ein elender Wendehals
Inwiefern ist das denn ein Wendehals-Kommentar von Lauti?
bono müsste doch inzwischen so scheisse reich sein... der könnte doch locker die ärmsten regionen afrikas kaufen, oder?
Immerhin 80 kurix
Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.
Ist er. Ist auch ein Logenbruder geworden. Und außerdem in einer großen Investmentfirma investiert.
Von seinen Texten will er aber nichts mehr wissen, Reichtum teilen überlässt er anderen. Reichtum mehren ist jetzt seins.
Langweilige Sülze für die Ewigkeit. Wer das alles tatsächlich vollständig angehört hat, fällt vermutlich danach tot vom Stuhl. 'Viel Brustbehaarung', haha.
Mit Achtung, Baby und den ganzen Alben danach konnte ich nie was anfangen, aber das hat ein paar zeitlose Kracher, obwohl es einem Bono nicht leicht macht, seine Musik noch irgendwie mögen zu wollen.
Vielleicht wird dich U2 ja mal durch eine persönliche Krise begleiten, dann wird ihre Musik bestimmt gleich besser!
Dann aber bitte nicht das tausend Mal durchgekaute "One".
tolle Platte, nach all den Jahren immer noch... die Frage bleibt trotzdem, ob man sich das Ding zigfach zulegen muss... so gut die B-siten auch sind, so erfreulich eine Live-CD auch ist... die Remixe hätte es (auch ungehört) sicher nicht gebraucht
B-Seiten natürlich...
Großartige Platte seinerzeit und der eigentliche U2-Meilenstein, immer noch gut hörbar. Das Boxset dient hier wie meistens dem Auffüllen des Bankkontos der armen Künstler... Wer's nicht hat, erstehe das Original, feddich