laut.de-Kritik

Sozialkritik für den Raucherraum.

Review von

Detlef, Disko, Destroy - das Namenspiel des Degenhardt scheint kein Ende zu nehmen. Jetzt lässt er die D-literationen hinter sich und wechselt vom vierten Buchstaben des Alphabets auf den fünftletzten. Fortan also: Vandalismus. Ohne Vornamen, bitte.

"Freunde Lügen Nicht", die mitlerweile zehnte Veröffentlichung des artists formerly known as Degenhardt, bindet nicht nur ein hübsches Schleifchen um eine ganze Dekade voller Rapper-Schlachtungen, wilder Filmdialog-Samples und ungefilterter Selbstaufopferung. Es schlägt hörbar auch ein neues Kapitel auf.

Keine Angst. Nur weil der Urheber inzwischen Vandalismus heißt, landen wir musikalisch jetzt nicht im sinnlos-plappernden Autotune auf Tropical Island. Wir bekommen immer noch düster-melancholische Beats auf die Ohren, absurde Film-Snippets, die kein Mensch jemals alle wird zuordnen können, und dürfen Dege..., Entschuldigung, Vandalismus noch immer dabei lauschen, wie er Deutschraphausen sein Spiegelbild beschreibt. Dennoch ist der Vibe ein anderer.

So absurd das klingen mag: Vandalismus wirkt aufgeräumter als seine Vorgänger-Alter-Egos. Waren "Terror 22" und "Das Handbuch des Giftmischers" noch klar beherrscht von der schwarzen Klaue in den tiefen Löchern der Depression, scheint der Düsseldorfer in "Freunde Lügen Nicht" nun am Rand des Erdlochs zu sitzen und die frische Luft zu genießen. Dreckig und gezeichnet vom Kampf mit der Klaue, aber der Blick geht Richtung Horizont.

Nur blöd, wenn dort halt Milchbubi-Rapper stehen, die alle "so wie Putz- und Waschmittel heißen" und klingen "wie 'n Drehbuch aus 'Sex and the City'." Da kann man schon mal ausfällig werden, schließlich war man nur kurz Kippen holen.

Die Beats, produziert von Polybius², Silkersoft, Simelli und Jay Baez, erschaffen eine durchweg spannende Atmosphäre, die sich zwischen dezenter Aggression und leiser Melancholie wiederfindet. Hier und da finden sich ein paar fernöstlich angehauchte Klänge, die angenehm wabernden Synthie-Flächen schaffen ein heimeliges Gefühl.

Besonders ins Ohr stechen dabei der "Steve Buscemi"-Beat von Polybius² und Silkersofts "Traumzauberbaum" (das übrigens mit grim104 den einzigen Featuregast parat hält), die beide auf ihre ganz eigene, sphärische Art und Weise beeindrucken. Fett natürlich auch das harte Brett "Alle Hassen R'n'B", das ebenfalls aus der Feder von Polybius² stammt.

Und textlich? Liefert Vandalismus "Sozialkritik für'n Raucherraum" für herrlich selbstironische "Computerfreaks mit Süßigkeitenbauch". Es wird allerdings immer noch scharf geschossen: gegen Rap-Nazis und Social Media-Junkies, gegen die Verlogenheit der Gesellschaft, wo "aus salopp gesagtem Gossip" ein "jeder gegen jeden" wird, und auch gegen sich selbst: "Ich bin jetzt endlich echter Rapper, kritisiere die Gesellschaft / schieß' auf negative Egos, aber treff' mich immer selber", denn seine "Klickzahlen verwechseln dauernd Mitleid mit Respekt".

Die Kugeln treffen das eigene Spiegelbild allerdings nicht mehr mit Hass, sondern eher mit liebevoller Milde. In "Steve Buscemi" kündigt das Filmsnippet den Fans schon an, dass ab sofort ein anderer Umgangston gilt. Als Vandalismus hat Degenhardt (endlich!) kapiert: "Kein Twitter und kein Fernsehen - ich hab' was zu verlier'n", und fast leise stellt er fest: "Ich funkel' irgendwie von innen." Freuen wir uns darauf, dass aus dem Funkeln das Strahlen wird, das seine Fans schon lange sehen.

Trackliste

  1. 1. Uzi Walker Daniel
  2. 2. Du Liest Die Falschen Bücher
  3. 3. Boss Der Neuen Welt
  4. 4. Ich Bin Der Einzige, Der Vom Kippenholen Wiederkommt
  5. 5. Steve Buscemi
  6. 6. She-Hulk
  7. 7. Traumzauberbaum mit grim104
  8. 8. Moshpit
  9. 9. Alle Hassen R'n'B
  10. 10. Ich Kann Vom Fenster Aus Dein Ganzes Leben Verachten

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LAUT.DE-PORTRÄT Vandalismus

Nach knapp einer Dekade beschließt der Künstler, der zuvor den Namen Degenhardt trug, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Degenhardt, bekannt für seine …

8 Kommentare mit 19 Antworten

  • Vor 4 Jahren

    Richtig stabiles Album. Mir haben ja schon seine früheren Werke ziemlich gut gefallen, aber dieser etwas "entspanntere" Grundton gefällt mir sehr gut! 4/5

  • Vor 4 Jahren

    Scheint so, als sollte ich da auch unbedingt mal reinhören. Bisher ist der werte Herr komplett an mir vorbeigegangen, aber bin sehr gespannt.

  • Vor 4 Jahren

    Habe von seinen Projekten bisher nur Terror 22 gekannt. Stimmt schon, die Chiffren-/Bebilderungsdichte hat er ein bisschen runtergefahren, einen Track wie Uzi Walker Daniel hätte man sich darauf eher nicht vorstellen können und an ein paar Stellen klingt es jetzt auch hoffnungsfroher ("Ich kann jetzt wieder Sonne sehn, der Keller war zu unsicher" zB). Im Großen und Ganzen sehe ich ihn als den Texter, der Pi sich gewesen zu sein einbildet (s/o Fister) aber immer noch am treffendsten beschrieben.

    Heißt für mich: Starke Lyrics, 101 % glaubwürdig in seiner Hingabe, viel Gefühl im Zusammenspiel mit der Musik, sehr eigenständig und über weite Strecken auch technisch überzeugend. Aber: Es ist halt sehr emotionslastige Musik, zumindest in dieser Sparte einfach nicht unbedingt mein Fall. Ist mir herzmäßig zu viel quasi. Zumindest kommen ein paar von den gesetzten Assoziationen/Bildern bei mir nicht so recht an (hier v.a.: Traumzauberbaum und Moshpit; ging mir aber auch mit Terror 22 stellenweise so). Weil ich She-Hulk außerdem für einen Ausfall halte und Alle hassen RnB zwar stimmig, aber arg stressig finde, schwanke ich diesmal eher zwischen 3 und 4.

    Gut finde ich das Album schon, aber für meine persönliche Top5 reicht das dieses Jahr auch in Rapschland nicht, schätze. Was ja irgendwo auch eine gute Nachricht ist :) Und in Keemo hab ich noch gar nicht reingehört...

    • Vor 4 Jahren

      Schön gesagt und schade, dass das nichts für dich ist. Bestimmt so ein "Würde ich gerne gutfinden" für dich.

      Traumzauberbaum ist so geworden, wie es ist, weil Grim voll auf seinem Graf-Film war und Dege bzw Vandalismus (kann ich mich noch nicht mit anfreunden) sich ihm dann angepasst hat (laut ihm in der Rapwoche).

      Ich verstehe auch längst nicht alle Assoziationen und Bilder bzw bin mir unsicher mit meiner Interpretation, aber das ist für mich ein Teil des Reizes (neben dem von dir angesprochenen Herzblut, den quotables, hier auch den Beats).

      Handbuch des Giftmischers nicht gehört?

    • Vor 4 Jahren

      Ach naja, dass ich das aus meiner Sicht Negative so betone hat vmtl. viel damit zu tun, dass ich den Teil im Kontext der sonst sehr positiven bis überschwänglichen Rezeption hier für erwähnenswerter halte. Da spricht immer auch ein bisschen eine (hoffentlich harmlose) Form der Profilneurose aus mir ;) Gut gefallen tut mir das Album nämlich eigentlich schon.

      Dass ich die Sachen dazwischen ausgelassen habe, liegt auch nicht daran, dass ich Terror 22 nicht gemocht hätte (hab ich!). Ich hatte nur sehr, sehr lange das Gefühl, dass ich es noch nicht ganz umrissen habe. Und da mag ich dann das nächste Kapitel immer noch nicht so gern aufschlagen, noch so ein kleiner Zwang. Hol ich aber vll. nach, wenn er sich mal eine kleine Pause gönnen sollte. Eine eigene Facette im Genre ist er ja auf jeden Fall...

    • Vor 4 Jahren

      „der texter, der pi sich einbildet, gewesen zu sein“, ich liebe das SO HART. :ill: :kiss: