laut.de-Kritik

"Deutschland, Arschloch, fick dich!"

Review von

Europa macht die Grenzen dicht, Europa macht sich selbst zur Festung, Europa lässt Menschen unter menschenunwürdigen Bedingungen zu Zehntausenden an Grenzzäunen in Zelten ohne die notwendige Versorgung schlafen. Die größte Flüchtlingskrise seit dem zweiten Weltkrieg ist in Europa angekommen. Und der Rassismus feiert wieder mal seinen x-ten Frühling, Flüchtlingsheime werden attackiert, Schutzsuchende finden keinen Schutz, sondern Ablehnung, Aversion und blanken Hass - und das im Herzen von Europa. Der Terror, vor dem jene Schutzsuchenden zum überwiegenden Teil geflüchtet sind, spielt in erster Linie der äußeren Rechten, den Spaltern, zu. Deren Forderung: mehr Grenzen, mehr Grenzzäune, mehr Nationalstaat und weniger Union. Es könnte ein hässlicher Sommer werden, dieser Sommer 2016.

"Refugees Welcome – Gegen Jeden Rassismus" ist nicht die erste Compilation ihrer Art, aber sie ist wohl die bis dato deutlichste. Veröffentlicht vom Berliner Label Springstoff geht es hier von Anfang an ohne Prologe und Umschweifungen zur Sache. Tocotronic-Frontman Dirk von Lowtzow zeigt erst mal mit "Fuck You Frontex" dem sogenannten europäischen Grenzmanagement den Mittelfinger, ehe Brockdorff Klanglabor mit "Festung Europa" zu elektronischen Beats und mit viel Melancholie besagtes zur Festung gewordenes Europa besingen. Weniger subtil sind dann Egotronic: "Deutschland, Arschloch, fick dich / Wir hassen dich so sehr / Du warst als Kind schon scheiße, und das ändert sich nicht mehr".

Eines der besten politischen Lieder der letzten Jahre hat die Antilopen Gang geliefert – "Beate Zschäpe hört U2" ist der Soundtrack zu einem Deutschland zwischen AfD, Verschwörungstheorien und brennenden Flüchtlingsheimen. Geht es um politischen Hip-Hop, darf natürlich auch die "Quing of Berlin", Sookee (feat. Spezial K) nicht fehlen. "Weiße Power macht uns scheiße sauer, Staat und Kapital macht, dass die Schleife dauert", singt sie in "Zusammenhänge"

Bei Human Abfall gibts dann mit "Vom Grund der Grundhaltung" nicht nur Diskurs, sondern auch Gitarren mit viel fiebrigem Tremolo. "Ich liebe keine Nation, ich liebe keine Nation, ich liebe meine Frau und meine Kinder", heißt es da.

Generell ist die Stimmung wenig optimistisch, sei es bei "Dunkle Tage" von Das Bierbeben oder bei dem Neonschwarz-Track "2014". "Es ist 2014. Hat sich viel verändert? Eigentlich nicht wirklich" – zwei Jahre später ist das alles keineswegs besser geworden.

Feine Sahne Fischfilet machen ihre Wut dann – zumindest in den Refrain – tanzbar. Denyo ist mit "Gegenwind" ebenso am Start wie Frittenbude ("Oury") und Pisse (mit einem Remix von "Scheiß DDR"). Einen grandiosen Abschluss liefert die Wiener Musikerin Eva Jantschitsch aka Gustav mit "At The River's Edge".

"Refugees Welcome – Gegen Jeden Rassismus" ist eine Sammlung von Songs zwischen berechtigter Wut und Diskurs. Optimismus gibt es naturgemäß wenig. Abgesehen vom guten Zweck bietet er einen Überblick über das deutschsprachige Polit-Lied im Jahr 2016.

Trackliste

  1. 1. Dirk von Lowtzow: Fuck You Frontex
  2. 2. Brockdorff Klang Labor: Festung Europa
  3. 3. Egotronic: Deutschland, Arschloch, Fick dich!
  4. 4. Antilopen Gang: Beate Zschäpe hört U2
  5. 5. Sookee: Zusammenhänge (feat. Spezial-K)
  6. 6. Human Abfall: Vom Grund der Haltung zur Grundhaltung
  7. 7. Das Bierbeben: Dunkle Tage
  8. 8. Neonschwarz: 2014
  9. 9. Feine Sahne Fischfilet: Wut (feat. Waving The Guns)
  10. 10. Denyo: Gegenwind
  11. 11. Candelilla: 31
  12. 12. Dropout Patrol: Gatekeepers of Blooming Scenery
  13. 13. form: Das Boot ist voll
  14. 14. Frittenbude: Oury
  15. 15. A Tribe Called Knarf: Mein Nachbar ist ein Alien
  16. 16. Das Flug: Deutlich unterbewaffnet in Hellersdorf
  17. 17. Pisse: Scheiß DDR (Remix Feat. Klaus Walter)
  18. 18. Mal Eleve/Chaoze One/Microphone Mafia: Espoir
  19. 19. Berlin Boom Orchestra: Ums Ganze
  20. 20. Kobito: The Walking Deutsch (feat. Spezial-K)
  21. 21. Les Trucs: Zur Situation Von Konstruktion
  22. 22. Gustav: At the River's Edge

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