laut.de-Kritik

Musik gewordenes Niemandsland, frei von jeder Zuversicht.

Review von

Die Weltlage gibt dem Stoff aktuelle Relevanz: 1928 erschien Erich Maria Remarques international viel beachteter Roman "Im Westen Nichts Neues". Schnell folgte die erste sehenswerte filmische Adaption von Lewis Milestone, welche die Nationalsozialisten wegen der "Herabsetzung der deutschen Reichswehr" und seiner "ungehemmten pazifistischen Tendenz" hierzulande verboten. Ein knappes Jahrhundert später nahm sich der gebürtige Schweizer Edward Berger des Stoffs an und veröffentlichte vergangenen Herbst die erste deutschsprachige Verfilmung über Netflix.

"Im Westen Nichts Neues" folgt dem fiktiven Schüler Paul Bäumer. Angestachelt von seinem kriegsbegeisterten Lehrer meldet er sich zum Dienst, um sich im Frühjahr 1917 an der Westfront wiederzufinden. In den Schützengräben des Ersten Weltkriegs muss er mit ansehen, wie Rekruten für kleinste Geländegewinne massenweise sterben. Es birgt Gefahren, eine solche Handlung musikalisch einzufangen. Weder darf es zu wohlig noch sentimental klingen. Eine Prise Pathos reicht aus, um das Unterfangen in Richtung Abenteuerlust zu kippen. Volker Bertelmann umschifft all diese Fallen mit Bravour.

Er habe versucht, "sehr minimalistisch zu arbeiten, um kleine melodiöse Einheiten zu benutzen", berichtete Bertelmann bei Cinema. Die Musik sollte "haptisch" klingen, statt modern und elektronisch. Dafür setzte er auf das Harmonium seiner Urgroßmutter, das er selbst restauriert hatte. Das Tasteninstrument funktioniert nach einem ähnlichen Prinzip wie das Akkordeon. Darauf spielte er eine Abfolge dreier Töne, die er mit einem Gitarrenverstärker verfremdete. Immer wieder kehrt der Film zur Sequenz zurück und zeigt wie so oft, wie nachhaltig und eindrücklich ein einfaches Motiv wirken kann.

Der Film beschränkt sich zunächst auf die natürliche Soundkulisse winterlicher Wald- und Wiesenaufnahmen. Erste Schüsse erklingen, Maschinengewehre durchsieben die Luft, vereinzelt folgen Schreie. Als Soldaten ihre toten Kameraden von der noch brauchbaren Kleidung befreien und sich die Särge stapeln, setzen leise Streicher ein. Wie die offene Fläche des Gefechtsfelds breiten sie sich als Grundrauschen in "Remains" aus - bis das Dreiton-Motiv im Stil schwerer Geschosse auf das Publikum einschlägt. Es zermalmt die Rekruten in der Maschinerie des Ersten Weltkriegs.

Die Musik zieht sich weiter durch, während der Film den Weg der Uniformen als industriellen Prozess abbildet. Erst werden sie gereinigt, dann von Näherinnen geflickt. Wie Maschinengewehre rattern die Nähmaschinen über den Stoff. Anschließend transportiert sie ein knatternder Lastwagen zum nächsten entmenschlichten Kanonenfutter. "Uniform" läuft parallel zur Ankleidung. Vereinzelte Elemente einer Militärkapelle spiegeln den Erlebnishunger der feixenden Soldaten, doch bald treibt das Harmonium ihnen die Laune aus, selbst wenn sie sich im Film noch mit fröhlichen Liedern dagegenstemmen.

Über weite Strecken handelt es sich bei dem Soundtrack um ein Musik gewordenes Niemandsland, das frei von Zuversicht erklingt ("Buried & Found"). Allenfalls ein einzelner Pulsschlag verweist auf das Restleben im Körper der Figuren ("Ludwig"). Ein paar Französinnen sorgen für minimale Aufhellung durch Chöre, als sie wie Sagenfiguren vorbeiziehen ("Comrades"). Doch bald sind es die Panzer, die wie Drachen über die jungen Männer hereinbrechen ("Tanks", "War Machines"), bis zur finalen Schlacht in den letzten Minuten vor dem bereits vereinbarten Waffenstillstand ("Last Combat").

Für den britischen Guardian klinge die Ton-Folge aus dem Harmonium, "als würde die Erde selbst vor Schmerzen heulen". "So beängstigend wie ein Schlachtruf" sei der Sound, urteilte Blickpunkt Film. Es setze sich "mit den Bildern gemeinsam in den Köpfen des Publikums" fest. In den Jurys der Preisverleihungen hinterließ Bertelmann fraglos Eindruck. Einer der insgesamt sieben gewonnen Trophäen bei den BAFTA Awards ging an den Düsseldorfer. Und auch bei der Oscar-Verleihung konkurriert er mit namhaften Komponisten wie John Williams oder Carter Burwell. Ein Sieg wäre ihm zu wünschen.

Trackliste

  1. 1. Remains
  2. 2. Uniform
  3. 3. Rain & Night
  4. 4. Flares
  5. 5. Buried & Found
  6. 6. Dog Tags
  7. 7. Ludwig
  8. 8. Comrades
  9. 9. Search Party
  10. 10. 72 Hours
  11. 11. Tanks
  12. 12. War Machines
  13. 13. Retreat
  14. 14. Bomb Crater
  15. 15. Night Fires
  16. 16. Scarf
  17. 17. Tjaden
  18. 18. Fear Of What Is Coming
  19. 19. Kat
  20. 20. No End
  21. 21. Last Combat
  22. 22. Making Sense Of War
  23. 23. All Quiet On The Western Front
  24. 24. Paul

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2 Kommentare mit 19 Antworten

  • Vor einem Jahr

    Hab die Review nur wegen dem Autor gelesen.
    War gespannt weil ja Caps meinte, der Dominik zitiert immer nur die Texte. Die gibt es hier ja nicht. Musste dann lachen weil er jetzt halt den Film beschreibt und andere Reviews zitiert...

  • Vor einem Jahr

    Fuck. Jetzt hat dieser Schund auch noch nen Oscar gewonnen, und wir dürfen in den Nachrichten wieder tagelang "Deutschland, Deutschland über alles..." hören...

    • Vor einem Jahr

      Genau, DAS ist das Problem. Nicht etwa, dass Oscars überhaupt für irgendwen ne Bedeutung haben...

    • Vor einem Jahr

      Der Oscar ist total gerechtfertigt. Diese Detailverliebtheit in den musikalischen... Details. Und der Geschmack beim Abgang, man schmeckt richtig den Kork noch raus. Auch die Kameraarbeit hat sehr wenig CO2 erzeugt und in allem steckt sehr viel Detailliebe. Hausarrest für Ragi!

    • Vor einem Jahr

      Oscars sind natürlich auch Schund, logo. Immerhin hatte jener Schund den hiesigen halbwegs in Schach gehalten, indem letzterer seltenst berücksichtigt wird.

      Selbstredend guckt sich in der "Academy" kaum eine Sau irgendeinen der nominierten Filme an, vor allem je weiter weg es von den Kategorien "Bester Film" und den Darstellerpreisen geht. "Irgendwas mit Krieg und Vergangenheit aus Deutschland" ist halt so ein typischer Kandidat für "Ungesehen 5/5" bein internationalen Preis.

      Wenn in der tagesaktuellen politischen Berichterstattung das glorreiche Deutschland schon das Zentrum der gesamten Welt darstellt, dann geht bei einem Kulturpreis, wo zur Abwechslung "das Ausland" tatsächlich mal lobende Worte für die BRD findet, natürlich erst so richtig die Luzi ab. Cringe.

    • Vor einem Jahr

      Pls Ragi, dass mit scharfem S schreiben und das Wort "Cringe" benutzen schließen sich offiziell gegenseitig aus!

    • Vor einem Jahr

      Abgesehen davon findet das Ausland doch recht häufig lobende Worte für "deutsches" Kulturgut.

    • Vor einem Jahr

      Ragi, ich bin ja ansonsten gerne bei denen rants diesbezüglich dabei aber hast du "Im Westen Nichts Neues" gesehen?
      Das ist ja kein weiterer Tatort-Schrott, sondern ein erschütternder und technisch gesehen beeindruckender Film, nur als Literaturverfilmung mag man da vielleicht Einwände haben, weil der sich schon weit weg bewegt vom Buch.
      Der Film bietet keinen patriotischen Kriegspathos und es wird auch nichts am Krieg als heroisch oder erstrebenswert dargestellt, wie das häufig in US-Produktionen der Fall ist, eher ganz im Gegenteil.

      Also, falls noch nicht geschehen, unbedingt ansehen! Einer der besten Filme aus Deutschland, wo ich je gesehen habe.

    • Vor einem Jahr

      Wüsste jetzt auch nicht, wieso der Film so überragend sein soll. Die Academy würfelt doch sowieso immer aus. Wahrscheinlich wurde er wegen des Ukraine-Krieges nominiert.

    • Vor einem Jahr

      Auswürfeln ist bei Awardverleihungen doch immer der Modus Operandi.

    • Vor einem Jahr

      Hab den Film noch nicht gesehen. Es ist aber auch nur in der deutschen Presse zu lesen, dass der Film zu den großen Gewinnern zählt. (tut er eigentlich nicht, auch wenn vier Preise für einen "dt." Film natürlich krass viel sind.)
      Auf Cnn zB gab es heute morgen nur Headlines über den wirklichen Gewinner, den Oscar für die Navalny Doku und über den allgemeinen Ablauf der Nacht.

    • Vor einem Jahr

      Caps... Deutschland findet kulturell im Ausland quasi nicht statt. Aktuelle deutsche Filme, deutsche Musik, deutsche Literatur wird dort nicht gekauft, konsumiert oder besprochen. Das Einzige, was in der BRD internationale Anerkennung genießt, ist der Bereich der Malerei und anderer Kunst. So ziemlich das, was in der hiesigen Berichterstattung eher stiefmütterlich behandelt wird. Deutsche Künstler zählen zu den teuersten, renommiertesten der Welt.

      Deshalb finde ich die Diskrepanz in der Eigen- und Fremdwahrnehmung einfach regelmäßig sehr krass. Das, womit Almans sich gerne brüsten (speziell Filme) ist im UK, den USA, Frankreich, Italien oder Spanien ungefähr ähnlich relevant wie die Erzeugnisse aus Estland. Die BRD hat traditionell den Kopf tief im eigenen Arsch stecken.

    • Vor einem Jahr

      Einerseits zielte mein Kommentar auch auf bildende Künste ab (wobei "teuer" sein kein Qualitätsmerkmal ist, da der Kunstmarkt im oberen Bereich eh nur systematischer Finanzbetrug ist), andererseits werden auch andere "deutsche" Kulturgüter im Ausland wahrgenommen und geschätzt. Insbesondere wenn wir den sprachlichen Malus mit einbeziehen, denn der ist sicherlich ein Teil des Problems wenn Englisch und Spanisch weltweit viel mehr Sprecher haben und die kulturelle Übermacht der USA nach wie vor ungebrochen ist. Wirklich groß werden in der Regel nur sachen, die in den USA wirklich groß werden, und die USA sind halt sehr egozentrisch.

      Gibt halt in allen Bereichen Sachen, die in den letzten 30 Jahren international sehr erfolgreich waren, und noch weitaus mehr, die keinen großen kommerziellen Erfolg hatten, aber durchaus auf ein interessiertes Publikum gestoßen sind.

    • Vor einem Jahr

      Dann schaue man halt mal ins nähere Umland. Obwohl deutsche Filme wesentlich mehr Budgets zur Verfügung haben als französische oder auch britische, werden in diesen Ländern quasi null deutsche Filme geguckt. Sie werden schlichtweg nicht exportiert, und das hat m.E. vor allem qualitative Gründe. Wie Böhmermann vor ca. einem Jahr schon berichtete, werden hier jedes Jahr dutzende französische Komödien oder Dramen in die Kinos gebracht - in Frankreich aber idR. null deutsche.

      Ähnlich sieht es eben bei Musik aus. Deutsche Bands und Musiker werden dort nicht besprochen. Auch hier im Vergleich zu den USA - auf den elendigen Seiten wie Pitchfork gibt es regelmäßig z.B. französische Acts, die besprochen und gelobt werden. Aus Deutschland findet man im Vergleich extrem wenig - vor allem wenn man Einwohnerzahlen und monetäre Voraussetzungen betrachtet.

      Mag ja sein, daß Sprache (oder von mir aus historische Antipathien) eine Rolle spielen. Aber naheliegender ist für mich, daß hierzulande und heute einfach zu wenig Filme oder Musik gemacht werden, die sich irgendwo sonst auf der Welt jemand anhören will. Ist ja auch erst mal kein Problem. Mich nervt nur die komplette Diskrepanz der Wahrnehmungen. Hier wird fleissig erzählt, wie wichtig und groß und toll alles Deutsche ist (kommt ja nicht von ungefähr, der aufblühende rechte deutsche Nationalismus), während sich der Rest der Welt offenbar nicht die Bohne für die hiesigen Kulturerzeugnisse interessiert.

    • Vor einem Jahr

      Auf pitchfork finden sich fast gleichviele Reviews deutscher und französischer Alben von 2017 bis 2023. Zumindest wenn du nach french respektive german suchst, und Sachen wie The Germans und French Montana ausschließt. Und möglicherweise sind auch ein paar frankokanadische Sachen. Aber dieses Ergebnis sollte genügen, um deine Aussagen als subjektive Wahrnehmungen abzukanzeln. Ist halt deine eigene Einstellung/Meinung, die du in deiner selektiven Wahrnehmung bestätigst.

    • Vor einem Jahr

      Hab eben um die Mittagszeit ne Kommentatorin bei DLF gehört, die sich einen kleinen Seitenhieb ähnlich der Einschätzung von Ragi hier hörbar nicht verkneifen konnte.

      So in die Richtung, dass der Film (weil Netflix-Produktion) komplett ohne die üblich verdächtigen deutschen Filmfördertöpfe produziert wurde, was einigen Kritiker*innen hierzulande zur Ansicht gereicht, es bestehe ein Kausalzusammenhang zu dessen Erfolg bei den gestrigen Academy Awards.

      Gleichzeitig würden sich aber heute vermehrt diejenigen Verantwortlichen der heimischen Flimproduktionsszene mit dem Erfolg des Filmes zu attribuieren versuchen, die bei der Produktion anscheinend gezielt umgangen worden sind - statt dass es, so die Kommentatorin weiter, dort zu einer gesund reflektierten Analyse führe, warum Produktionen aus den heimischen Fördertöpfen zumindest in Hollywood überwiegend nicht mal auf den "Ferner liefen"-Schirmen stattfinden und diese Produktion mit 4 Oscars letztlich eben doch als krasser Ausnahmeerfolg "deutschsprachiger Produktionen" im weitesten Sinne zu werten ist...

    • Vor einem Jahr

      Caps. Habe keine Möglichkeit gefunden, so speziell auf dieser doofen Seite zu filtern. Also ja, da geht es nur um meine Wahrnehmung. Die anderen Punkte bleiben wahr, das Beispiel war schlecht. Es besteht international keine Nachfrage nach aktuellen deutschen Filmen oder Bands.

      Pseudi, so ähnlich wir bei "Dark" eben. War natürlich wegen mangelnder germanischer Inszenierungsfähigkeit kein Fan der Serie. Trotzdem war der Kulturbetrieb schnell dabei, die Serie zu beanspruchen, weil sie eben mal nicht wie der übliche Müll aussah und klang. "Im Westen Nichts Neues" ist ein ebenso geeignetes Beispiel für einen deutschen Film wie "Inglourious Basterds".

    • Vor einem Jahr

      Ooch … Ragism, der ahnungslose Volltrottel ist mal wieder überfordert, weil sein klitzekleines Spatzenhirn nicht die Kapazität hat, um gute Musik zu erkennen. Er kennt ja nur musikalische Inkompetenz, die ist bekanntlich des Idioten Zier.