laut.de-Kritik

Zwischen Normalo-Tom Waits und Schmäh-Leonard Cohen.

Review von

"Die erste Gschicht erzählt a kugelrunder Russ." Ja, und dann erzählt er, der Voodoo Jürgens, und erzählt und erzählt. Von was eigentlich? Einer engen "Wohnung in der Nobilegassn", Müttern mit Sterbewunsch, die dem Bua "a Fraa" wünschen und beinamputierten Säufern. Ziemlich viel also, im Grunde aber ... nichts.

Irgendwie macht genau das den Tullner Vokuhila-Träger aus: er mag mitsamt Mundharmonika den Dylan mimen ("A Gscheida Bua"), hat allerdings ganz und gar nicht vor, in revolutionäre Fußstapfen zu treten. Seine Lebensweisheiten bestehen darin, zu verraten, dass "a gscheida Bua" in die Luft schaut, bis ihm schwindlig wird, stibitzt statt klaut und von Huren träumt. Vielleicht ist genau das das Revolutionäre.

Als es vor einigen Monaten "Heite Grob Ma Tote Aus" – von Wanda geteilt – in meinen Feed spülte, war ich noch etwas skeptisch. Nettes Wortspiel, das der Bursch da bemüht, und auch ganz nettes Lied, hübsch anzuhören. Nur: würde das auf Albumlänge mehr können als nur "nett"? Jetzt gibt's die Antwort: Ja! Denn die Single präsentiert letztendlich nur einen Fetzen des Gesamtstücks "Ansa Woar" – und zwar den zugänglichsten. Irgendwo zwischen Kabarett, Entertainer und Marktschreier frönt Voodoo Jürgens seiner ungenierten Beisllyrik und bildet dabei eine Art Normalo-Tom Waits oder Schmäh-Cohen.

"Heite Grob Ma Tote Aus" fungiert als Hit in einem an sich eher sperrigen Liedermacher-Album. Wer denkt, der Mann würde freudig die Welle reiten, mit der Wanda oder Bilderbuch sich derzeit in immer größere Hallen spielen, könnte falscher kaum liegen. Wo Wanda mit "Amore" und Machotum die Weltenbürger geben und Bilderbuch mit Softdrink in der Hand in ihrer "Maschin" durch die overdresseden Straßen Wiens cruisen, hockt Voodoo a bissal grantig, a bissal bös, aber vor allem urglücklich auf seinem Misthaufen und plärrt seine Moritate in die Straßen naus.

Eine griffige Hook schmäht der heutige Wiener zwar nicht ("Gitti"), vor allem aber konzentriert er sich aufs Erzählen. Die Musik wandert dabei auch mal in den Hintergrund. "Alimente" etwa stellt schlicht eine Sammlung Telefongespräche zwischen Hapo und seiner Verflossenen Gitti dar – dazu dudelt Fahrstuhlmusik. Was die an sich belanglosen Dialoge zeigen: Man hört diesem Mann einfach unglaublich gerne zu. Zumal er die Anrufe zwar alltäglich wirken lässt, gleichzeitig aber mit Reimschemata durchzieht.

Mal schlüpft er in die Rolle der Busenfreundin ("Gitti"), schöpft aus der eigenen Kindheit ("Tulln"), stellt eine Kneipenstory nach ("Hansi Da Boxer" mitsamt Zwischenfragen, -rufen und kollektiven Parolen) oder gibt sich selbstreflexiv ("Meine Damen, Meine Herren"). In "3 Gschichtn Ausn Cafe Fesch" switcht er zwischen unbeteiligtem Beobachter, Beobachtetem und wiederum Figuren der Geschichte hin und her, die der Beobachtete seinen Freunden (die ebenfalls noch zum Zug kommen) nahe bringt. Die Gitarrenbegleitung erinnert dabei latent an Tenacious Ds "Tribute". Ob Jack Black und Brother Kyle wohl an besungenem Abend anwesend waren?

Zur Gitarre des Neu-Udos, der an sich ziemlich wenig mit dem Original-Udo zu tun hat, gesellen sich manchmal zurückhaltendes Schlagzeug, leises Barpiano, auch mal ein Akkordeon oder die eingangs erwähnte Dylan-Tröte. Das wichtigste Instrument ist allerdings Voodoos Stimme. Leicht angesäuselt lamentiert er damit in einem wiegenden Singsang vor sich hin – in tiefstem Dialekt, wogegen Danzer, Ambros und Co. beinah Hochdeutsch klingen – transportiert dabei aber derart viel Ausdruck, dass man ihn guten Gewissens als die derbe österreichische Antwort auf Reinhard Mey bezeichnen kann. Mit demselben Gespür für Details in Text- und Bildsprache wie der 73-jährige Berliner schlenzt der junge Ösi an Spielplätzen und Wachturm-Verteilern vorbei. Von mir aus könnte er noch minutenlang so weiter machen.

Ist Voodoo Jürgens am Ende Bänkelsänger, Büttenredner, Poet, Liedermacher oder einfach nur a ranziger Bua, der gern mal einen kippt und das Glück hatte, dass beim Gscheiddaherredn eine Gitarre im Arm lag? Jedenfalls vermag er es, sowohl mit dem Charme von Fußballfeldschreiern eines niederösterreichischen Kaffs aufzutreten als auch das vielleicht authentischste Liebeslied zu schreiben seit ... ja, seit wann eigentlich? Um es mit den Worten der "Gitti" zu sagen: "I weiß goar nimmer, was i ohne ean tät."

Trackliste

  1. 1. 3 Gschichtn Ausn Cafe Fesch
  2. 2. Heite Grob Ma Tote Aus
  3. 3. Nochborskinda
  4. 4. Gitti
  5. 5. In Deiner Nähe
  6. 6. Tulln
  7. 7. Alimente
  8. 8. Hani Da Boxer
  9. 9. Fang Da Nix An
  10. 10. Weh Au Weh
  11. 11. Auf Da Stroßn
  12. 12. A Gscheida Bua
  13. 13. Meine Damen, Meine Herren

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