laut.de-Biographie
Wolfgang Flür
Wolfgang Flür nennt sich selbst ganz zurückhaltend den Ringo Starr von Kraftwerk. Doch gerade er eröffnet den Düsseldorfern um die beiden Gründungsmitglieder Ralf Hütter und Florian Schneider-Esleben Anfang bis Mitte der 70er ganz neue musikalische Möglichkeiten, als er aus einer simplen Rhythmusmaschine ein elektronisches Schlagzeug bastelt. Nach seiner Zeit bei der Band widmet er sich dem Projekt Yamo und veröffentlicht als erster Kraftwerker seine Autobiografie. Auch unter seinem eigenen Namen tritt er musikalisch in Erscheinung.
Wolfgang Flür erblickt am 17. Juli 1947 in Frankfurt am Main das Licht der Welt. Den Traum, Musiker zu werden, verfolgt er schon als kleiner Junge, als er fleißig Melodien auf der Mundharmonika übt, die er von seiner Patentante geschenkt bekommt. Seine Eltern verschlägt es während seiner Kindheit von Frankfurt nach Sachsenhausen, wo er auf die Textorschule geht. Während seiner Schulzeit versucht er sich in mehreren Amateurbands als Schlagzeuger, unter anderem mit Michael Rother und Wolfgang Riechmann in Spirits Of Sound. Später beendet er eine Lehre als Bau- und Gerätetischler und studiert in Düsseldorf Innenarchitektur.
Zu Kraftwerk stößt er 1973. Die suchen zu der Zeit noch einen Aushilfsdrummer für die ZDF-Sendung Aspekte. In der Sendung stellt Wolfgang Flür auch sein selbst gebautes Elektroplattenschlagzeug einer breiten Öffentlichkeit vor, das in Zusammenarbeit mit Florian Schneider-Esleben entsteht und den Düsseldorfern den Schritt von einer Rock-Band zu einer elektronischen Band ermöglicht. Das kommt 1974 auf dem Album "Autobahn" im Song "Kometenmelodie 2" erstmalig auf Platte zum Einsatz. Als festes Mitglied der Formation hat er sich zu dem Zeitpunkt etabliert.
Das Image Kraftwerks als minutiös durchgeplantes Projekt kristallisiert sich noch im selben Jahr durch die Liveauftritte in den Vereinigten Staaten heraus, wo die Düsseldorfer mangels einer Bühnenshow beschließen, auf konventionelle Rock-Instrumente zu verzichten und sich aufs Knöpfendrehen und aufs perkussive Schlagwerk zu beschränken. Dadurch treiben sie das im Ausland oftmals verbreitete Bild des kühlen und maschinenhaften Deutschen auf die Spitze. 1975 steigt Karl Bartos als zweiter elektronischer Drummer und viertes Bandmitglied ein. Die Kernbesetzung steht.
Dieses Konzept entwickeln Kraftwerk nach der "Autobahn"-Tournee um die Idee des Ruhmes weiter, die sich 1977 auf dem Werk "Trans Europa Express" in dem Stück "Schaufensterpuppen" auch musikalisch aufzeigt. Nur all zu konsequent, dass sie sich ab "Die Mensch-Maschine" von 1978 selbst zu lebensechten Schaufensterpuppen und Robotern überhöhen.
Weiterhin führt der technische Fortschritt der elektronischen Gerätschaften dazu, dass sie zu dieser Zeit ganze Konzerte programmieren können. Schlagzeuger werden daher für Ralf Hütter und Florian Schneider-Esleben austauschbar. Trotzdem hat Wolfgang Flür eine Menge Freude an den Liveshows und bleibt bis 1986 bei den Electro-Pop-Pionieren.
1993 gründet er vor dem Hintergrund des Bosnienkrieges das Benefizprojekt Jamo und bringt noch im selben Jahr die Single "Little Child" heraus, benennt es aber 1996 in Yamo um. Im selben Jahr folgt mit "Time Pie" ein Album, an dem sich auch die Mouse On Mars-Musiker Andi Toma und Jan St. Werner beteiligen. Es bietet eine charmante Mischung aus kraftwerkschem Minimalismus, viel IDM-Gezirpe und -Gefiepe und leichtfüßigen weiblichen Gesängen. Eine Platte, mit der sich das Projekt absolut auf der Höhe der Zeit befindet. Nur verkauft sie sich trotz guter Kritiken ziemlich bescheiden.
Dafür steht der Schlagzeuger dank seiner Autobiografie "Kraftwerk - Ich war ein Roboter" 1999 wieder mehr im öffentlichen Fokus. Die handelt von der Gruppendynamik Kraftwerks und in der Flür sich auch zu der ein oder anderen Anekdote hinreißen lässt. Dabei bleibt er zwar immer fair, aber trotzdem befürchten die Electro-Pop-Pioniere einen Imageschaden und untersagen Flür den weiteren Vertrieb des Buches per gerichtlicher Verfügung. Mehrere Rechtsstreitigkeiten bringen jedoch eine Einigung: 2004 kommt das Buch in einer überarbeiteten und um mehrere Kapitel ergänzten Variante unter dem Namen "Ich war ein Roboter - Electric Drummer bei Kraftwerk" wieder auf den Markt. Des Weiteren veröffentlicht er mit Yamo im selben Jahr das an die Autobiografie angelehnte Stück "I Was A Robot".
Ein Jahr zuvor geht Wolfgang Flür mit dem Programm Yamo Spektakel auf Deutschland-Tournee. Das wartet mit einer Mischung aus Lesungen, Videoprojektionen und Musikperformances von der Tänzerin Cindy Gunawan auf. Seit 2005 ist der Ex-Kraftwerker neben seinen Lesereisen regelmäßig als DJ unterwegs und legt unter anderem in den USA, in Russland, in England und in Israel auf. Des Weiteren widmet er sich Kurzgeschichten, die im Rheinland spielen. Die entstehen zusammen mit Zuhal Korkmaz und erscheinen 2011 unter dem Namen "neben mir: Rheinland Grotesken".
Nebenher sieht man den Musiker als Musik-Soldat regelmäßig auf der Bühne mit einem stetig wandelnden Liveprogramm, das eine Kombination aus Musik und Filmausschnitten bietet. Ab 2011 kooperiert er mit dem Nitzer Ebb-Mitbegründer Bon Harris. Ein gemeinsamer Track mit Harris sowie eine Zusammenarbeit mit der britischen Musikerin Anni Hogan findet sich auf der Compilation "Eloquence (Complete Works)", die er 2015 unter seinem eigenen Namen herausbringt.
2018 schließt er sich für zwei Songs mit U96 zusammen. Die findet man auf deren Album "Reboot". Danach baut der Ex-Kraftwerker die Zusammenarbeit mit dem Techno-Projekt aus. 2020 kommt mit "Transhuman" ein gemeinsamer Longplayer auf den Markt, auf dem sich die technoiden Tracks zum Glück in Grenzen halten. Kraftwerkscher Minimalismus steht auf dem Programm. Die Musikwelt revolutioniert Wolfgang Flür damit nicht mehr, aber seine im hohen Alter erstaunliche Vitalität verdient eine Menge Respekt.
Noch keine Kommentare