laut.de-Kritik
Muzak mit dem Charme von K.I. und Namen von Kraftwerk bis U96.
Review von Philipp KauseWenn Kraftwerker Wolfgang Flür ein Album vorlegt, in diesen Tagen, da FKA Twigs das Erbe der Düsseldorfer fortschreibt, dann kann das eigentlich nur reizvoll sein. Wie positioniert er sich in einer Zeit, in der der emotionalste Beruf, den wir haben, an Künstliche Intelligenz ausgelagert wird? Wie viel Kraftwerk steckt in einem einzelnen "Das Model"-Schöpfer? Und was tragen Gäste wie Boris Blank und U96 bei? "Times" könnte so vieles auslösen oder aufzeigen, doch irgendwas stimmt hier nicht.
Das beginnt mit den Feature-Angaben. Zwei Mal soll ein gewisser Thomas Vangarde alias Bangalter enthalten sein, offiziell von Daft Punk. Nachdem die CD schon überall mit dieser Angabe ausgeliefert war, stellte sich die Beteiligung als Facebook-Fake heraus. Es war schon lange klar, dass das gemeinsame zeit- und kostensparende Produzieren an getrennten Orten via Filetransfer und Social Media-Chats irgendwann seinen Preis haben wird. Selbst in einem Zoom-Meeting spürt man die anderen Personen nicht: In welchen Stimmungen befinden sie sich? In welcher Akustik hören sie die Musik? Nun also saß Flür einer falschen Internet-Identität auf.
Man darf unterstellen, dass auch die weiteren Kollabos in der Distanz entstanden. Jedenfalls hören sie sich so an: Wie saubere Muzak, Sounds für Aufzüge, New Age-Massage-Stühle und Unterleger für Reportagen im Reality-TV. Keinesfalls künden sie von einem Funken, der zwischen Menschen überspringt, wenn sie gemeinsam etwas zusammen setzen. "Future One ft. Newmen" mischt ein Melodie-Motiv, das so auch von LFO stammen könnte, mit holzschnittartigen Four-to-the-floor-Spiralen-Beats aus der Dr. Motte-Mottenkiste, nur in langsam. Während die Beats eine Space-Vorstellung in den Kopf pflanzen, spuckt die Phrasen-Dreschmaschine Slogans aus, zum Beispiel "turn future into eternity", "Future! Rise up!" Umso peinlicher, dass sich die Zukunft nach Vorgestern anhört und nach Fanfaren für Fernsehnachrichten von 1979.
Nochmal LFO: "Posh ft. Juan Atkins" kitzelt ein bisschen mit Schlagwörtern die Ohren, "upper-class, bling-bling", Egoismus werden aufgezählt. Aber in der Tiefe fehlt die Auseinandersetzung. Die Interpolation des LFO-Theme im berühmten Leeds Warehouse Mix in der Bridge dürfte selbst ein Gottschalk mit Hörgerät rausfiltern können. Ein Hinweis wie "Detroit techno pioneer Juan Atkins" im Booklet verpufft mangels qualitativer Strahlkraft. Genauso, wie von ""Monday To The Moon ft. Peter Hook + Thomas Vangarde" nichts haften bleibt, selbst wenn Peter Hook von New Order beteiligt sein soll (der Bassist). Auch die Koop mit U96 klingt frustran. Im "Sexersizer ft. U96" treffen Überspannungs-Bässe und fantasielose Chromatik-Loops aus dem DJ-Übungskurs einer Popakademie auf laszive weibliche Vocals aus dem vergessenen Reich von Touch And Go und E-Rotic. Die Lyrics variieren die Wörter 'Sex' und 'sexy' bis zum Überdruss.
Eine rumpfartige Idee verbleibt von diesen Köpfen, die den "Trans Europa Express" auf die Trasse schickten, die das BKA in "Computerwelt" aufs Korn nahmen und die "Radioaktivität" maßen, einschließlich Warnung vor Hautkrebs. Kraftwerk-Alben der Siebziger hatten etwas Investigatives, Bissiges und mitunter Prophetisches. Die Lyrics stammten zumeist von Ralf Hütter. Wolfgang Flür hatte daran keinen Anteil, gleichwohl er jetzt versucht den textlichen Stil nachzuahmen. So versucht sich "Planet In Fever ft. U96 + Emil Schult" ein bisschen im Nachplappern von Luisa Neubauer, auf unbeholfene Weise. Sie jedoch hat rhetorisch hundert Mal mehr auf dem Kasten. Sehr wahrscheinlich würde sie das Stück als hilflosen Greenwashing-Versuch eines Opis mit großem CO2-Fußabdruck entlarven, der auf wissend und zeitsensibel macht.
"Als in den 1970er Jahren die Anti-Atomkraft- und Ökologiebewegung aufkam, zogen sie sich den technikkritischen Schuh erst gar nicht an. Im Gegenteil: Sie berauschten sich an der Technik!", schrieb die NZZ zum Tod des Kraftwerk-Gründers Florian Schneider-Esleben. Dieses harte Urteil überzeichnet zwar. Denn Kraftwerk karikierten die Technologie aufs Herzhafteste. Aber ambivalent blieben sie dennoch, und wie wir hören, ist Wolfgang es bis heute. Der Song zitiert immer wieder die Thesen der Klimawandel-Leugner, zieht aber keine Schlussfolgerung. Der Track ergreift keine Position, verrinnt zahn- und witzlos.
Flür, der offiziell nie einen kreativen Input zu den Kraftwerk-Songs gegeben hat, bezeichnete sich in seiner Autobiographie als "Roboter" und geriet deswegen mit seinen Ex-Mitstreitern in jahrelange juristische Auseinandersetzungen. Mit dem Stichwort-Geber für die Texte einiger Kraftwerk-Hits, Emil Schult, der ihn damals ebenfalls verklagte, hat er sich anscheinend wieder vertragen. Die politische Ebene von "Global Youth ft. Boris Blank + Emil Schult" und "Planet In Fever" scheinen auf sein Konto zu gehen. Trotzdem ist auch "Global Youth" nicht mehr als belanglose Muzak: Geblubber mit mediokren Beats, wobei die Vocals von Miriam Suarez, Singer/Songwriterin aus Essen, noch das Beste ausmachen. Blanks Geraune im Stile alter Yello-Classics ist zwar unverkennbar, rettet aber nicht viel. Denn dafür sind die Soundscapes zu schlecht.
Programmiertechnisch trug Flür zu Kraftwerk mehr den Rhythmus als die Harmonien bei. Knapp 40 Jahre nach seinem Ausstieg beschränkt er sich darauf, Songstrukturen von einst zu imitieren. Den meisten Anteil an den Loops hat Peter Duggal, der sich hauptsächlich durch seine Funktion als Flürs Arbeitspartner definiert. Talent beweist er dabei leider nur oberflächlich. Die Nummern sacken allzu schnell ins Fade ab, und sie fallen auch klangtechnisch in die Kategorie Electro-Durchschnittsware wie das Sedativum "Far Away", für das man sonst keine Gäste verantwortlich machen kann.
Mit U96 gab es bereits 2020 ein ganzes Kollabo-Album. Man hätte es besser dabei belassen. Denn den Tiefpunkt des Kooperierens erreicht man beim Album nicht mal mit dem falschen Thomas Vangarde, sondern mit dem "Hildebrandlied ft. U96": Einem Techno-Dub mit pumpenden Beats und einem selten dummen Spoken-Word-Text über irgendwelche Leute, die Hildebrand oder Hellebrand heißen und miteinander verwechselt werden. Jeannine, die Nichte von Wolfgang Flür, spricht im Track, und zwar diese Art von NRW-Englisch mit schlabbriger Artikulation, die einen als Deutschen im Ausland sofort outet. Sympathischer wird das ohnehin armselige Stück dadurch nicht. Es erinnert daran, wie Achtjährige, die zu Weihnachten mit einem Kinder-Casio-Keyboard beschenkt werden, irgendwelche Tasten drücken, um den Geschwistern gehörig auf den Keks zu gehen.
Das Titellied "Times" als Kreuzung von Synth-Flächen und Gelaber ist dagegen durchaus brauchbar, Sängerin Victoria Port hat eine wirklich schöne Stimme. Noch ein Treffer: "Cinema ft. Fabrice Lig". Das Kino stellt sich ja im Moment als ertragreiche Sache für Musikfans dar. Led Zep, Dylan, Robbie, Hilde, der "Bolero", in den englischen Kinos The Selecter, demnächst Miley Cyrus, alle kommen sie auf die Leinwand. Der Track beschwört aber die Schauspiel-Größen des französischen Kinos großer Zeiten herauf: Sophie Marceau, Juliette Binoche, Alain Delon, Lino Ventura, Catherine Deneuve, Gerard Depardieu, Isabelle Huppert, Jean-Luc Godard. Vergessen in der Aufzählung werden Belmondo und Pierre Richard, dafür gehören dann wieder Punkte abgezogen.
Trotzdem ist "Cinema" hier der beste Tune. Denn rundherum bounzen recht passend French-House-Beats aus der Welle von Étienne de Crecy übers Kitsuné-Label bis Belgiens Soulwax. Es sind vertraute Töne, gut und elastisch gewoben. Das ganze Album hingegen verhält sich ungefähr so spannend wie wahrscheinlich die Stadt Düsseldorf. "A dynamic exploration of human experience, as captivating and boundless as a journey into the cosmos", laber-rhabarbert das Booklet. "Wow, ist das spießig", wäre ein passenderer Promotext.
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