laut.de-Kritik

Schuld und Sühne im Präriestaub.

Review von

Prophetische, ungerührte Gitarren künden von Spannung, unumkehrbaren Taten und dem Nahen einer höheren Macht. "Self sent a twister, a tearin' after me." Gleichermaßen kraftvoll wie kryptisch ertönt des Sängers Stimme. Besessen oder erleuchtet? "Gonna bust my house to splinters, yes!" Wenige Augenblicke später türmen sich alle Gitarren zum infernalischen Gewitter auf. Könnt ihr "Hallelujah!" sagen?

16 Horsepowers "Splinters" pendelt als elegantes Americana-Gothic-Rock-Juwel zwischen ergreifender Melodie und zupackend rauher Schale. Man darf diese Predigt getrost als eines der souveränsten Rockstücke der letzten 20 Jahre bezeichnen. Mit dem zugehörigen Album "Secret South" gelingt der Band um Mystiker David Eugene Edwards der erste Paukenschlag des neuen Jahrtausends.

Denn pünktlich am 1. Januar 2000 erscheinen diese zutiefst urchristlichen Lieder im archaischen Rockgewand. Sie bilden die bewusste Gegenhaltung zum von Edwards als oberflächliches Brimborium wahrgenommenes Spektakel gottloser Modernisten. Das Ergebnis ist Schuld und Sühne im Präriestaub! Verdammnis samt Feuer und Schwert trifft auf Erbarmen, Sanftmut und Nächstenliebe: Edwards Noten und Zeilen preisen den Herrn simultan als alttestamentarischen Zuchtmeister und barmherziges Synonym der Liebe. Wollt ihr ihm ein"Amen!" geben?

Ähnlich wie bei Nick Cave oder The Swans speist sich die Intensität der biblischen Bilder aus dem mitunter manischen Vortrag des Sehers. Bei Edwards ergibt sich ein zusätzlicher Kick aus dem Umstand, hier nicht in erster Linie einem Geschichtenerzähler zu lauschen, sondern einem echten Überzeugungstäter. Die ausnahmslos auf höchstem musikalischen wie sprachlichen Niveau angesiedelten elf Lieder rangieren zwischen einleuchtender Philosophie und jenem inbrünstigen Eifer, der bei vielen Kopfschütteln hervorruft. "He is no man's opinion. He's truth divine!"

Edwards Band nimmt in ihrer Außenwirkung zu diesem Zeitpunkt längst die Rolle von Statisten ein. Das liegt einerseits daran, dass Edwards alle Songs des Albums komponiert und textet. Kein einziger Ton wäre ohne den Segen des Mannes aus Colorado vorhanden. Dabei geht oft unter, dass vor allem dem ersten Offizier, Pascal Humbert, eine essentielle Funktion zukommt. Beim Franzosen, der auch später einige Jahre bei der Nachfolgeformation Woven Hand mitmischt, handelt es sich um einen hochtalentierten Arrangeur von Weltformat. Besonders die Vermählung von Folk mit schroffen Rockattacken verkörpert eine Stärke des Bassisten und Geigers. Man hört dies u.a. sehr deutlich in "Clogger". Das Stück hört sich an, als spielten versierte Rootsmusiker einen frühen Track der Fields Of The Nephilim.

"Im 20. Jahrhundert tobten verheerendste Weltkriege. Wir leben in einer Welt voller Terror, Ungerechtigkeit und Fanatismus. Ist das nicht der ultimative Beweis dafür, dass man auf die Existenz eines Gottes nicht vertrauen kann?" Edwards: "Nein, das ist nur der Grund, weshalb ich nicht den Leuten traue, sondern meinem Gott." Solch trockener Humor ist Ausdruck seines Charakters, der entgegen verbreiteter Missverständnisse nichts Missionarischen aufweist. Wenn er etwa in "Praying Arm Lane" sogar Steine schreien lässt, damit jede Zunge das Bekenntnis ablege, tritt er nicht als Menschenfischer auf. Im Gegenteil: Die Songs bedeuten lediglich sein eigenes Credo, die eigene, individuelle Weltsicht. Denn: "Gott ist kein Marionettenspieler. Er zwingt nicht. Er lässt freien Willen zu und zeigt Möglichkeiten."

Mit genau diesem unbändigen Willen drückt Edwards jeder einzelnen Nummer seinen Stempel auf. Dadurch versprühen sie jeweils eine höchst eigene Atmosphäre, die sich – trotz aller Kargheit – in hymnischen Melodien manifestiert ("Wayfaring Stranger", "Cinder Alley"). Edwards Timbre und die oft düstere Ekstase in seiner Stimme erinnert gelegentlich an den Gesang von Joy Divisions Ian Curtis. Kein Zufall. Die britischen Urgothen zählen zu den erklärten Vorbildern von 16 Horsepower. Ihr hervorragendes Cover von "Day Of The Lords" findet sich leider auf keiner "Secret South"-Edition, sondern nur als B-Seite von "Clogger" oder Live-Song ("Hoarse"). Schade, denn die Seelenverwandtschaft beider Frontmänner ist augenfällig. Curtis kämpfte gegen innere Dämonen, während der in sich ruhende Edwards den äußeren Ungeist entlarvt. "You know the one, the one who's colours are never true!"

Besonders effektiv hypnotisiert "Secret Sout" durch regelmäßig aufblitzende Momente gefühlvoller Zartheit. Großartig, wie Orgel und Klavier den "Silver Saddle" in tieftraurige Dämmerung hüllen, während Edwards als melancholischer Templer "like a hammer on a church bell" der Kraft jener weiblichen Gefährtin huldigt, die seine Liebe zu Gott ebenso teilt wie seinen letzten Atemzug begleitet. "Her talk ain't like the other girls."

Auf dem Gipfel aller Emotion wartet "Poor Mouth" als Ballade gewordenes Ruhekissen, genäht aus Steppengras und Mondschein. Doch das fahle Licht des Himmelskörpers ist nichts im Vergleich zur Erleuchtung jenes Ich-Erzählers, der inmitten vollkommener Wildnis seine Erweckung findet. Im Tonfall zwischen Psalm und Tagebuch wirkt Edwards, als sei er selbst der Heiligen Schrift entstiegen. Wie ein Blitz illustriert das wuchtige Gitarrenriff den Augenblick demütiger Erkenntnis.
"My hands are yours, my brother. You can take my coat aswell. My eyes are yours, sister. And my heart, and my heart.....in which HE dwells."

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Clogger
  2. 2. Wayfaring Stranger
  3. 3. Cinger Alley
  4. 4. Burning Bush
  5. 5. Poor Mouth
  6. 6. Silver Saddle
  7. 7. Praying Arm Lane
  8. 8. Splinters
  9. 9. Just Like Birds
  10. 10. Nobody'Cept You
  11. 11. Straw Foot

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