laut.de-Kritik
Als hätte Charli XCX ein Lil Peep-Album produziert.
Review von Yannik GölzIrgendwie ist es irrwitzig, dass der strahlendste, organischste Hip Hop-Untergrund in big 2025 musikalisch nicht unweit von dort gelandet ist, wo 2010 mit den Black Eyed Peas der verachtenswerteste Pop-Rap-Mainstream abgeschossen wurde. Digicore wird wohl das Wort für die definitive Fusion von Hip Hop und EDM sein, auf die wir so lange schon hingearbeitet haben.
Nach zehn Jahren des Umwegs haben wir jetzt wirklich interessante Newcomer, die ernsthaft Festival-fähigen EDM in ihren Rap aufnehmen - und dabei klingt es trotzdem irgendwie persönlich und edgy. Hört man also eine Sekunde in dieses neue Album von 2Hollis, möchte man fast denken, die Club-Rap-Synth-Pulse von 2010 wären zurückgekehrt. Aber dann hört man ihn auf diesen Songs performen und muss doch an Artists wie Bladee oder Ecco2k denken. Wie kommt das zusammen?!
2Hollis ist Rapper, Produzent und Sektenführer in einem. Im Schatten einer großen Tour von Opium-Schützling Ken Carson hat er sich als der neue potentielle Superstar der Szene entpuppt. Und auch, wenn an seinem aktuellen Album "Star" wohl kaum noch ein Funken Hip Hop zu finden ist, ist es doch spannend, einmal nachzuzeichnen, dass alle Wege ihn definitiv aus der Rapmusik hierhin geführt haben.
Die große Krux ist: Irgendwann in diesem Jahrzehnt haben die Rapfans das Raven für sich entdeckt. In der späten Dekonstruktion von Rap durch die Soundcloud-Generation sind Rapshows zu glorifizierten DJ-Sets verlottert, was dann aber Rapper wie Travis Scott in seiner Liveshow zu einer Stärke verklärt und Playboi Carti noch weiter mutiert hat. Und alle die danach gekommen sind, Yeat, Lone, Ken, wer auch immer: Die Beats hatten noch mehr Bass, die Shows noch mehr Moshpit, die Ästhetik peilte immer mehr den EDM von etwa 2011 an. Zeitgleich spielten Rapper ja schon seit Jahren mit der Idee von Hyperpop, ohne eine so richtig überzeugende Kopplung zu finden. Aber ausgerechnet die Rager sind jetzt die, an die sich das erfolgreich entlädt. Und das führt uns zu Newcomern wie 2Hollis.
So, das war sehr viel Erklärung, warum dieses Synthpop-Album neuerdings unter Rapmusik gelistet wird. Natürlich würde niemand einen Track wie "Nerve" mit seinem wummernden Ibiza-Synthie gegen den Four-to-the-floor-Beat auch nur in die Nähe von Hip Hop sortieren. Aber hört man sich einmal mit ein bisschen Radar für die Einflüsse durch "Star", dann spürt man irgendwann doch, dass das hier in etwa das ist, was herausgekommen wäre, wenn The Dare oder Charli XCX ein Album für Lil Peep hätten produzieren sollen.
Auf dem sphärischen Intro moderiert 2Hollis fast noch ein bisschen wie die melodischen Facetten von XXXTentacion über einen Dreampunk-Beat, dann kippt der Track in der butterweichen Überleitung zu "Flash" und einem stotternden, breakenden House-Beat, zu dem man sofort den Footwork-Kreis öffnen wollen würde. "Holli wanna be a star", singt er da selbstreferenziell über sich selbst. 2Hollis teilt tatsächlich viel von Peep, zumindest dahingehend, dass auch er eine sehr otherworldy Prettyboy-Aura hat, die er überraschend wenig großkotzig in sein Tempo-berauschtes Delirium einarbeitet. Will heißen: Man hört ihm gerne zu. Wenn das Tempo am Ende des Tracks anschwillt, entsteht ein Gefühl für Storytelling wie in einem sehr guten DJ-Set.
Und doch sind die Techniken der Beat-Switches und ineinander kollabierenden Songstrukturen definitiv die der modernen großen Trap-Alben. Ein ungeduldiger DJ hetzt von Songskizze zu Songskizze, Hollis und seine kristallinen, euphorischen Hooks stehen konstant im Mittelpunkt. Und es entspinnt sich Höhepunkt um Höhepunkt. "Tell Me" klingt cineastisch und nach Science-Fiction, es verdient eine große, pompöse Live-Inszenierung. Der erste Drop auf "Dream Rain Sports" dröhnt bombastisch aus den Boxen. "Sidekick" ist der Song, der wohl am ehesten noch klassisch unter Ragemusik gelistet werden kann. Da wird gerappt, da kommen endlich diese übersteuerten Basslines ins Spiel, die das Genre sonst so auszeichnen.
Aber klar: Am Ende des Tages macht es vielleicht wenig Sinn, das Hörerlebnis hier mit Hip Hop als Konzept fassen zu wollen. Es kommt aus dem Hip Hop und wird vor allem von Hip Hop-Fans gehört, aber die Marschrichtung deutet ganz woanders hin. Stört das überhaupt? 2Hollis ist ein superinteressanter Charakter. Da ist nichts vom anbiedernden Party-Pop der Black Eyed Peas in dieser EDM-Rap-Iteration. Seine Ästhetik klaubt sich die Inspirationen von Dreampunk bis zum Memphis Rap an interessantesten Stellen zusammen, er weiß, wie er genau die richtigen Kontraste und unerwarteten Atmosphären aufbaut und kommt als MC seines Projekts wunderbar alien und stimmungsvoll daher. Und hört man "Star" dann als eine reine Assemblage von späten Soundcloud-Rap-Hooks und überguten EDM-Drops, hat man hier ohne Frage eine Menge Spaß.
1 Kommentar
Dafür lese ich Ynk – keine sonderlich gute Rezension, aber superb aufgearbeitete Musikgeschichte. Du solltest Essays verfassen.