laut.de-Kritik
Eine solide Bestandsaufnahme von Britenrap.
Review von Yannik GölzAls Deutscher AJ Tracey zu hören muss sich ein bisschen anfühlen, als würde man einem Polen Luciano zeigen. Wahrscheinlich würde man schon irgendwie checken, dass manches davon Hit-Potential hat, aber am Ende des Tages guckt man doch ein bisschen neutral auf und denkt sich: Joa, das ist einer von euren größten? Na gut.
"Don't Die Before You're Dead", das neue Album des Londoner Megastars, kommt nach seinem aggressiven Drill-Tapes "Flu Game" deutlich reflektierter und souliger daher. Das gibt das Gefühl von Wachstum, zeigt aber auch einen Artist, der eigentlich Zeit seiner Arbeit meistens das gemacht hat, was die anderen großen Britinnen und Briten gerade gemacht haben. Erst war er Grime, dann Drill, jetzt ist er reflektiert und konversationell; oft klingt das wie Drake, gefiltert durch den Geschmack von Central Cee und es ergibt ein harmonisch hörbares Tape, das aber genauso oft, wie es clever sein mag, strohdumm ist.
Der Anfang macht dabei durchaus etwas her. Der Track "3rd Time Lucky" setzt sich unter Anderem mit der wiederkehrenden Krebserkrankung seiner Mutter auseinander und schneidet entsprechend tief. Wenn dann kurz darauf auf "Crush" die legendäre Jorja Smith für einen eigenen Rapverse auftaucht, hat man schon das Gefühl, dass hier gerade etwas von großer Relevanz passiert. Etwas später versucht er den gleichen Funktionsflip, indem er Manchesters gerade heißesten Spitter Nemz nur auf die Hook-Duty einlädt.
Interessanter Einfall, wäre die Nemzz-Hook nicht wenig eingängiger Blödsinn, in dem er sich darüber aufregt, dass Girls zu schnell mit ihm schlafen und er die "Talking Stage" vermissen würde. Und das ist einer von vielen Fällen, in denen dieser aktuell populäre Stream of Consciousness-Stil bei den Briten Dinge zu Tage fördert, die nicht so geistreich sind, wie das soulige Sample es hätte vermuten lassen. "Give me a cuddle, recharge me / We can watch anime while I put a bite on your asscheek", zum Beispiel. Oder: "New girl, half-white, half-Filipino tryna chef me a steak and pie / But she can't make adobo, I told her, "Babe, get in touch with your Asian side". Riveting!
Ansonsten bewegt sich das Tape mal hierhin und mal dorthin. Wir bekommen einen Jersey-Club-Track mit "Chat Rooms". Auf "Prem Proven" flippen sie "Rip Fredo" von Playboi Cartis Durchbruchsalbum "Die Lit", "Second Nature" flippt mit Giggs "The Essence" einen absoluten Klassiker. "Paid In Full" ist wahrscheinlich das nächste an einem typischen, klassischen UK-Drill-Track, vor allem, weil er das selbe Pop-Sample dafür verbrät, dass erst vor ein paar Jahren seine Inselgenossin Dua Lipa für "Love Again" verbraten hat. Das klingt auf jeden Fall solide, fühlt sich aber auch nicht gerade innovativ ein.
Das Ding ist: "Don't Die Before You're Dead" ist absolut kein schlechtes Album. Es lässt sich wunderbar runterhören. Aber gleichzeitig hat es dieses klassische Alleskönner-Syndrom, dass es dies und jenes mal ausprobieren kann. Ist man aber nicht in Lore und Charisma dieses Kerls involviert, bekommt man auf diesem Tape kaum mehr geboten als einen Querschnitt dessen, wo britischer Rap gerade steht. Nicht mehr, nicht weniger - aber es macht auch kein großartiges Argument, dass der hier zwischen Leuten wie Central Cee, Aitch oder Nemzzz wirklich für überregionale Bekanntheit prädestiniert ist.
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