laut.de-Kritik
Ja, "Baller" war der falsche Song.
Review von Philipp KauseDie Frage, ob Abor & Tynna Deutschland gut repräsentieren, ließ sich am Tag vor dem ESC 2025 schlecht einschätzen. Am Ende blieb Rang 15. Gegenwind dürften die Wiener Geschwister mittlerweile gewohnt sein. Ob er nun von den ESC-Regularien, Fitness-Defiziten, Kritik an ihrem Musikstil, der visuellen Darbietung des Songs oder dem Niveau ihres Debütalbums "Bittersüß" herrührte.
Besagtes Album liegt nun als "Baller Deluxe" vor, ausgestattet mit einigen bemerkenswerten Neuerungen. Einige lassen Sängerin Tynna und Beatmaker/Cellist Abor noch schwächer erscheinen. Andere hingegen zeigen, was für ein toller Act sie eigentlich könnten - wären sie doch mit einem anderen Lied oder einer anderen Version von "Baller" angetreten.
Zum Wettbewerb gehört die Konkurrenz, und diese lag in diesem Jahr in den meisten Ländern qualitativ ziemlich auf demselben Niveau. Grob gesagt, wetteiferten viele okaye Titel um die Punkte, aber kein einziger Track drängte sich als Jury- oder Publikumsliebling auf.
Die Basis des Duos ist elektronische Dance-Music, und die betonen sie in vorliegender Deluxe-Version erneut. Drei "Baller"-Remixe finden sich, zwei davon machen das ESC-Stück nicht besser, einer hingegen schon. Der "Baller (Nowifi Remix)", leider nicht auf CD, wirkt mit seinem Scooter-Vibe wie eine Einladung zum Strandurlaub. Der Bass bounzt stärker als in der ESC-Fassung, die Sound-Tiefe lässt den Song räumlicher, kräftiger und entschiedener klingen.
Ein neuer Bonus-Track, der auf der Standard-Ausgabe des Albums im Februar fehlte, heißt "Rotkäppchen". Der Tune dreht ordentlich auf und bietet bei ESC-konformer Spieldauer von 2:56 Minuten weitaus mehr Abwechslung als "Baller". "Rotkäppchen" ist hier nicht der einzige Song, der sich in verschiedene Electro-Spielarten untergliedert, aber der beste. Die Songs changieren zwischen D'n'B-Phasen, Trance-artigem EDM sowie weichen und melancholischen 80er-NDW-Zitaten. "Rotkäppchen" durchläuft alles irgendwie im Galopp und landet gar bei 90er-Rave.
"Rotkäppchen ist ein City Girl, sie tanzt mit den Wölfen / trägt Mini-Skirt, sie ist 'n Flirt / aber verteilt nur Körbe / sie bringt den Wein und trinkt ihn allein." Da steckt nun wirklich viel 2025 drin: Starke Bilder in wenigen Silben, mit denen man auf TikTok locker viral gehen könnte, kombiniert mit einem Märchen-Motiv - ein zeittypischer Brückenschlag zwischen Tradition und 15 Sekunden-Aufmerksamkeitsspanne. Dagegen wirkt "Baller" etwas strohig getextet.
Dessen ziellose Verwirrtheit tritt in den schwächeren Remixes sowie in der "Baller (Acoustic Version)" noch mehr zutage, etwa in Zeilen wie "Hab gelernt: Was mich nicht killt, macht mich schicker". Streicher und Piano wirken in der akustischen Fassung zu pathetisch, ohne Electro-Humpftata gerät der Song auch nicht besser.
Sehr gut gelungen war auf der Standard-CD bereits der visionäre Highspeed-Bass-Brummer "Tan Lines". Tynnas Stimme klingt hier insgesamt natürlicher. Was bei vielen Tracks auffällt: Sie trifft locker hohe Töne. Auto-Tune fungiert lediglich als bewusst eingesetztes Stilmittel, etwa bei "Parallele Linien". Die Verfremdungseffekte zeigen sich auf Albumlänge aber stets in homöopathischer Dosis verabreicht. Das Cello sorgt in der Akustikversion von "Parallele Linien" dann für mehr Dramatik.
Dass Deutschland Pop ins ESC-Rennen schickt, hat sich als Trend schon vor längerer Zeit dank Lena herauskristallisiert und scheint nun mit dem bombastischen Misserfolg von Lord Of The Lost vor zwei Jahren umso mehr festzustehen. Vielleicht hätte man es mit Namika versuchen sollen. "Züge sind entgleist wegen zwei verliebten Schienen", trällert Tynna da im weichen Pulsier-Pop von "Parallele Linien", sowohl stimmlich wie textlich im Namika-Style.
Im Dance-Lager zeichnen sich Abor & Tynna insgesamt durch mehr Experimentierfreude aus. Dabei spielt ihnen ihre Zweisprachigkeit in die Hände. Im gepfefferten "Winnetou" über eine für gescheitert erklärte Beziehung überrascht Tynna mit einer geschmeidigen Strophe auf Ungarisch. Der Vater, ein klassischer Cellist, ist Ungar. Auch für "Baller" halten die Geschwister sowohl Klassik-Appeal als auch Ungarisch bereit: in der "Acoustic Hungarian Version". Und wer weiß: Da viele der ESC-Televoter:innen in Osteuropa, etwa im Baltikum oder auf dem Balkan, beheimatet sind, hätte diese Version vielleicht sogar bessere Chancen gehabt.
4 Kommentare mit 2 Antworten
Dass das ß klar aus einer anderen Schrift stammt als der Rest des Titels (zu erkennen an der geringeren Strichstärke) UND nicht das Versal-ß benutzt wurde, gibt 0 Punkte für den Medien-Azubi.
Ungelayoutet 1/5
Balla Balla
Wie?! Die kommen aus WIEN?!?! So weit ist es schon gekommen mit unserem schönen Land mit seinen schönen, endlosen Äckern und den schönen, langen Autobahnen... AUSLÄNDER dÜrFeN mItTlErWeIlE wOhL aLlEs!!!!
Spätestens seit Falco ist doch allen klar, wie sehr die avantgardinischen Scheuklappen beseitigt wurden, um den deutschen Zynismus endlich als das darzustellen was er ist: der Wille zum fröhlichen Scheitern.
Ich fand interessant, dass „Baller“ 12 Punkte von der ukrainischen Jury, 10 von der israelischen und 0 von der österreichischen bekommen hat.
Ob es irgend jemand feiern würde, wenn der Act für Deutschland auf Ungarisch sänge, wage ich zu bezweifeln.