laut.de-Kritik

Querdenker mit ordentlich Gesichtsbehaarung.

Review von

"Music is not fast food, you should take time over it." Dieser Satz stammt von Aereogramme-Sänger Craig B, und es wundert nicht, dass dieses Motto vom Vokalisten einer der sperrigsten und komplexesten Bands unserer Zeit ausgegeben wird. Ironischerweise haben die Schotten gleichzeitig mit "My Heart Has A Wish That You Would Not Go" ihr bislang eingängigstes Werk geschaffen.

Den Titel leiht sich das zum Quintett angewachsene Ensemble von William Peter Blatty, dem Autor des Exorzisten. Filmfreaks, die sie sind, haben Aereogramme sich zur Aufgabe gemacht, das neue Album in Cinemascope aufzunehmen, eine Art Konzeptalbum mit einem sehr locker gehaltenen Konzept. Jeder der Songs sollte auf einen Soundtrack passen.

Zu Beginn steht "Conscious Life For Coma Boy", eine sanfte Nummer, die mit singenden Gitarren eingeläutet wird, die jedoch schon bald dem weichen, gefühlvollen Gesang von Craig und einigen Streichern weichen. Der Frontmann verlagert sich auf dem dritten Longplayer überhaupt auf mehr Gesang und weniger explosive Schreiparts. Diese Umorientierung ist eigentlich seiner Erkrankung vor zwei Jahren geschuldet, doch das ambitionierte Kollektiv macht aus der Not eine Tugend.

Der Opener, der mitunter an Dredg erinnert, macht Lust auf mehr, die Drumrolls und das Klavier am Anfang von "Barriers" machen neugierig. Sperrig und unzugänglich ist hier nichts mehr, wunderschöne Melodien schmeicheln die Ohren des Hörers.

"I found love in the loneliest places, in places I should never be found", singt Craig, und man weiß nicht, soll man das jetzt bedrückend oder erhebend finden? Sphärisch untermalt geleitet eine Akustikgitarre den Sänger mit der einnehmenden Stimme durch "Exit", ein ganzes Pop-Orchester gesellt sich dazu und zeichnet eine pittoreske Soundlandschaft. Sehnsucht drückt sich in "A Life Worth Living" aus, das Klavier nimmt hier eine Hauptrolle ein. Es fällt, wie schon beim vorherigen Stück, die üppige Instrumentierung und der dezente, aber deutlich auszumachende Fokus auf ein progressives Drumming des Schlagzeugers Martin Scott auf.

Man merkt, dass sich Aereogramme Gedanken um Arrangements machen und jedes Instrument gleichberechtigt neben den anderen existiert. Mal wird das eine, mal das andere hervorgehoben. Der Wahnsinn in punkto Instrumentierung: die Hörner zu Beginn von "Trenches", die Wärme und Geborgenheit ausstrahlen. Ungewöhnlich klingt auch "Running Man" mit seinem hart angeschlagenen Klavier, das sich mit den fließenden Synthiesounds so gar nicht beißen mag.

Die Entscheidung, ein weiteres Bandmitglieder einzustellen, scheint sich auszuzahlen - Multiinstrumentalist Martin Doherty fand Eingang in die Gruppe. Der Sound erhält dadurch wirklich so etwas wie ein Leinwandformat. Dem Abwechslungsreichtum scheint kaum eine Grenze gesetzt. Jeder Song steht für sich. Dennoch ist es dem Fünfer gelungen, ein erstaunlich homogenes Album einzuspielen. "Living Backwards", der längste Track des Albums, beginnt mit einem subtilen, unheilschwangeren Unterton, der sich jedoch im weiteren Verlauf in Wohlgefallen auflöst, und spätestens hier weiß man dann: Alles wird gut enden.

Aereogramme, oft als Querdenker mit ordentlich Gesichtsbehaarung verschrieen, machen den Schritt heraus aus der Nische ins Licht. Mainstream ist das, was sie auf "My Heart Has A Wish That You Would Not Go" gebannt haben, deswegen noch lange nicht. Dennoch wird sich der ein oder andere Purist vor den Kopf gestoßen fühlen. Und das ist gut so, denn eines wollen die Glaswegians bestimmt nicht: Erwartungen erfüllen.

Trackliste

  1. 1. Conscious Life For Coma Boy
  2. 2. Barriers
  3. 3. Exits
  4. 4. A Life Worth Living
  5. 5. Finding A Light
  6. 6. Living Backwards
  7. 7. Trenches
  8. 8. Nightmares
  9. 9. The Running Man
  10. 10. You're Always Welcome

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54 Kommentare

  • Vor 17 Jahren

    wollte nur mal den Postcount erhöhen, damit auch alle merken, was für eine mächtige Band das ist

    Aereogramme sind mir erst seit dem Split mit Isis("In the fishtank") ein Begriff, "Low tide" läuft bei mir derzeit auf und ab

  • Vor 17 Jahren

    @Screwball (« ganz groß find' ich mittlerweile die beiden atmosphärischsten songs "nightmares" und "the running man", die ich mir auch hervorragend als soundtracks für spannungsgeladene thriller oder dramen vorstellen kann. »):

    Nightmares erinnert mich auch teilweise an die Melodie die bei Saw I am Ende kommt, zumindest ein bisschen ;)

  • Vor 17 Jahren

    Ahh, es ist ja mal so riesig...
    Mh, diese Atmopsphäre und Dichte lässt mich den Noiseausbrüchen in keinster Weise nachtrauern. Es ist was anderes, klar, aber es ist ohne Frage verdammt gut. Punkt. ;)
    Ich bin einfach glücklich, dass ich nochmal die Möglichkeit bekomme sie live zu sehen, nachdem ich ihren Auftritt auf dem Hurricane zwecks Interpol habe sausen lassen... danke Oma!