laut.de-Kritik

Die Kanadierin kastriert ihre alten Songs.

Review von

Gäbe es einen Preis für besonders innovative Alben, deren filigrane Ausgestaltung gebührend gerühmt werden sollte ... Oder gäbe es Anerkennung für besondere Kreativität, für Einfallsreichtum und überraschende Arrangements, für wegweisende Musik, Alanis Morissette könnte die Moderation für so einen Abend übernehmen, mehr aber auch nicht. Wenn einem gar nichts mehr einfallen möchte, kramt man anscheinend zuerst den alten Produzenten aus der Mottenkiste, setzt sich mit ihm in ein Studio und spielt die alten Gassenhauer, mit denen dereinst vor zehn Jahren alles richtig angefangen hat, noch mal neu ein.

Die Essenz des Albums geht in der Gleichung "Jagged Little Pill" minus raue Töne auf. Das ist eine ziemlich kurze Gleichung ohne eine Unbekannte. Dabei waren es gerade die ruppigeren Klänge auf Alanis' Erfolgsalbum, aus der die junge, wütende Frau sprach, die mit all denjenigen abrechnete, die ihr mal böse wollten. Dass sie ihren inneren Frieden mit dieser Zeit gemacht hat, war auch schon ihren letzten Veröffentlichungen anzuhören, in denen sie weit weniger angepisst daher kam als noch 1995. Ein Mensch entwickelt sich stetig weiter, und so steht auch Morissette heute ganz woanders als noch Mitte der Neunziger.

Dass damit gleichzeitig eine klangliche Kastration der alten Songs einher gehen muss, ist aber nicht ganz nachvollziehbar. Gerade das ausufernde Nachtreten, Kratzen und Beißen, das aus Songs wie "You Oughta Know" spricht, macht ohne eine gewisse Aggression keinen Sinn. Schön, dass sie uns in den Aufnahmen vorexeziert, dass sich ihr Stimmvolumen vergrößert hat. Wer dies dem Publikum aber stetig in immer neuen gesanglichen Kapriolen beweisen muss, hat sofort den Vorwurf am Hals, die eigenen Kompositionen ihres inneren Kerns zu berauben und nur auf die eigene Selbstdarstellung zu schielen. In diesem Zusammenhang ganz gräuslich: "Right Through You".

Den jugendlichen Charme, der aus "Jagged Little Pill" (bis heute) dringt, macht Morissette mit (altersbedingten?) gesetzen Arrangements, entsetzlich kitschiger Instrumentierung und einem Übermaß an instrumentellem Brimbamborium zunichte. 'Acoustic' bedeutet 2005 anscheinend lediglich, verzerrte Gitarren über Bord zu werfen, ansonsten aber so ziemlich alles aufzufahren, was dabei hilft, einen Song mit Pomp zu überfrachten. Das geht bei den Liedern noch in Ordnung, die im Original ohnehin etwas ruhiger um die Ecke kommen.

Trat Alanis 1995 aufs Gas, verpuffen die Arrangements heuer in einem mit übertriebenem Gejodel versauten Vakuum. Siehe "You Learn" und "Ironic". Was die Kanadierin da stimmlich zusammen eiert, kann nicht einmal mehr Dolores O'Riordan toppen. "It's like rain on your wedding day ...". Genau hier sollte eigentlich die Post abgehen, sollten die Tragik und die Emotion des Textes klangliche Unterstützung erfahren. Statt dessen serviert sie abermals eine Portion Gejodel, dass einem ganz schwummrig wird. Wo hat sie das nur aufgeschnappt, und vor allem, wer hat ihr dazu geraten?

Nach 58 mehr oder weniger furchtbaren Minuten hat sich Alanis Morissette letztendlich ihr Jodeldiplom gesichert, jetzt hat sie was eigenes. Denn das Diplomjodeln, also das Jodeln mit Jodeldiplom, mit Jodeldiplomabschluss, unterscheidet sich vom Jodeln ohne Diplom, also ohne Diplomabschluss, Jodeldiplomabschluss.

Trackliste

  1. 1. All I Really Want
  2. 2. You Oughta Know
  3. 3. Perfect
  4. 4. Hand In My Pocket
  5. 5. Right Through You
  6. 6. Forgiven
  7. 7. You Learn
  8. 8. Head Over Feet
  9. 9. Mary Jane
  10. 10. Ironic
  11. 11. Not the Doctor
  12. 12. Wake Up

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