laut.de-Kritik

"Texas Chain Saw Massacre" trifft die Muppet Show.

Review von

"Possessed!" Als mechanischer Torwächter hallt der klinische Ausruf in den Raum. Schwarzlichterne Geräusche öffnen langsam die Schleuse zur "Hellraiser" artverwandten Parallelwelt. Niemanden sollte es überraschen, dass man den Eintritt an der Pforte mit seiner geistigen Gesundheit bezahlt. Schüsse fallen. Querschläger pfeifen dem Ankömmling um die Ohren. Endlich durchbricht eine verzerrte Gitarre die Grenze und Nik Fiend begrüßt sein Publikum mit einem gellenden "Shit's coming down on me!"

Der gleichnamige Song steht durchaus sinnbildlich für den nicht gerade einfachen Entstehungsprozess der neuen Alien Sex Fiend-Platte "Possessed". Ausgerechnet nach dem großen Erfolg ihres "Death Trip" ergoss sich die Scheiße kübelweise über die Band. Erst verstarb der langjährige Gitarrist Simon Milton. Dann wurde Nik Fiend bei einem Autounfall schwer verletzt. Hinzu kamen familiäre Todesfälle.

Doch die beiden Kämpfer wären nicht Mrs. und Mr. Fiend, wenn sie sich vom Unbill des Lebens ins Bockshorn jagen ließen. "There is nothing like a fucking free lunch! It's a struggle!" erläuterte Nik ihre Lebensphilosophie bereits im Interview. Geschlagene acht Jahre dauerte das Ringen mit dem Schicksal, bis sie sich wieder vollends im Gleis befanden. "Possessed" fährt als würdiges Comeback ins Ziel.

Lovecraft sagte einst "Das ist nich tot, was ewig liegt. Bis selbst die Zeit den Tod besiegt." Doch selbst für solch altgediente Veteranen des Abseitigen bedeutet die physische Wiedergeburt nach so langer Zeit nicht automatisch kreative Hochform. Umso erstaunlicher, welch quicklebendige Frische dieses 13. Studioalbum verströmt. Schon der Opener "Shit's Coming Down" empfiehlt sich als ghoulische Visitenkarte. Fragmentarischer Fabrikhallen-Rock aus der Familie ihrer "It Lives Again"-Tracks bricht sich unaufhaltsam Bahn. Inmitten allen Schepperns entzündet Nik im Verlauf eine Art Lokomotiven-Groove, den Chris mit ihren Klangmutationen sofort aufgreift.

Es lohnt, die Lieder sehr bewusst im Detail wahrzunehmen. Denn unter der scheinbar gewohnten Oberfläche stapeln sich zahllose Ideen, deren verquere Anziehungskraft große Unterhaltung garantiert. "It's In My Blood" etwa beginnt mit herrlich klirrenden Effekten, die tatsächlich klingen als habe man den Geist von Jan Garbareks "Rites" und Bugge Wesseltofts "Yellow Is The Colour" auf Splatter gebürstet. Peu a peu rollt das Ungetüm in Richtung animierender Tanzbarkeit, während Nik getreu des Albumtitels giftige Besessenheit einwebt. Sogar ein paar deutsche Fetzen finden sich. Wen sollte es auch überraschen, dass an der Schwelle zur Hölle gern deutsch gesprochen wird. "Es ist in meinem Blut!"

Von Alpha bis Omega untermauert Alien Sex Fiend auf "Possessed" ihren Ruf als (klang-)farbenprächtigsten Gothic-Act des Universums. Man kann diesem Urgestein gar nicht genug dafür danken, dass sie das in weinerlichen Klischees erstarrte Genre so konsequent aus seiner Limitierung herausbrechen. Ihr Rock reicht von zerklüfteten Licks bis zu mehligem Schaben ("Carcass"). Elektronik und Beats mäandern stetig zwischen gnadenloser Schroffheit und lieblicher Psychedelik.

Zu guter Letzt gelingt dem sympathischen Ehepaar die absolute Quadratur des musikalischen Kreises: Einerseits treffen ihre Schockeffekte mit ungefilterter Derbheit ins Schwarze. Andererseits kontern ASF diese Rohheit mit comichafter Überzeichnung, Humor und einer liebenswürdigen Niedlichkeit, die weltweit ihresgleichen sucht. "Texas Chain Saw Massacre" trifft die "Muppet Show" zum obskuren Stelldichein. Die einzigen, die Chris und Nik auf diesem Level das Wasser reichen konnten, waren seinerzeit Poison Ivy und Lux Interior mit den Cramps. Auf den Gitarren von "Ghost In The Machine" und "Gotta Get Back". hört man diese Seelenverwandtschaft ungewohnt deutlich.

Trotz großer Homogenität ragen zwei Stücke aufgrund ihres speziellen Charakters heraus. "Invisible (The Beyond Mix)" geht für ihre Verhältnisse als stadiontaugliche Hymne durch. Besonders Freunden von Klassikern wie "Magic" sei das Stück ans Herz gelegt. Eingängigkeit gepaart mit Kompromisslosigkeit ist hier Trumpf. Das Stillleben "Neutron" hingegen wildert lässig im Post Rock. Es verkörpert die Zombieversion von Mogwai oder Explosions In The Sky. Was für eine Rückkehr!

Trackliste

  1. 1. Possessed (Intro) 
  2. 2. Shit's Coming Down 
  3. 3. It's In My Blood 
  4. 4. Carcass*
  5. 5. Ghost In The Machine*
  6. 6. Amnesia 
  7. 7. Spine-Tingler 
  8. 8. Gotta Get Back 
  9. 9. Invisible (The Beyond Mix) 
  10. 10. Neutron*
  11. 11. Bloody Reprisal 
  12. 12. Shit's Coming Down (Monster Mix)

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