laut.de-Kritik
Die 23-Jährige verkörpert die Blues-Zukunft von Texas.
Review von Philipp KauseAlly Venable verkörpert die Blues-Zukunft von Texas. "That's where we come from / Texas, Louisiana, always on the run", schmettert sie auf ihrem neuen, fünften Album. Nachdem es um Gary Clark jr still wurde, den Letzten, der als next big thing von dort galt, stehen ZZ Top bis heute für die unangefochtene Speerspitze aus dem einstigen Reiche des George W. Bush. Ally, geboren 1999, tritt mit einer grell pink glänzenden Gibson Les Paul an, mit einer bordeauxroten von 1990 sieht man sie oft, und eine Fender DeLuxe Stratocaster in rot gehört zu ihrem Handwerkszeug. Die Rot-Töne lassen sich als feministisches Statement lesen, während Ally wie so viele Blues-Gitarristinnen Stevie Ray Vaughan als Vorbild nennt. Im Songtext von "Texas Louisiana" gibt sie ihm Credits.
Zu dieser schon sehr anachronistischen Denkmalspflege gesellen sich etliche gut gemachte Balladen und auch manche Hau-Drauf-Nummer, "Kick Your Ass" zum Beispiel mit beißenden Riffs. Das Mini-Drama "Blues Is My Best Friend" durchläuft binnen Minuten zartes Fingerpicking, stolzierende ZZ Top-Rhythmik, ein bisschen Steh-Blues, dumpfes Bass-Spektakel und übersteuerndes Wiehern - einige recht verschiedene Facetten.
Allys spielerische Breite an den sechs Saiten scheint groß und begeisterte auch in Deutschland schon mehrmals live. Am Gesang ließe sich jedoch einiges feilen. In der majestätischen Ballade "Going Home" (die stellenweise in einen Classic Rock-Kracher umschaltet), wäre die Gitarren-Virtuosin gut beraten, ihre Gesangslinie um einiges tiefer zu transponieren. Flachbrüstig und über-präsent quält sie sich durch den Track, der eigentlich ein wunderschönes Lied ist. Richtig entspannt zuhören kann man angesichts der Vocals nicht.
Andererseits will Venable wohl gar nicht, dass man sich relaxed zurück lehnt, lieber in den "ass" kicken. Um so besser, wenn man wirklich abschalten kann, zur andächtig getragenen Ballade "Gone So Long" mit einem recht ungewöhnlichen Gothic-artigen Melodieverlauf. Die hart gespielte Wehmut, die hier über allem liegt, mit Erinnerungen an Allys Kindheit, ist ein klarer Fall für alle Skunk Anansie-Fans.
Das tolle "Any Fool Should Know" rangiert gesanglich auch unter den besseren Beispielen. Hier hört sich die Blueserin vor allem verletzlich an. Sie zetert Soul-Bögen. Dazu kratzt die Orgel. Der Bass stiehlt den Bläsern noch das letzte Stück Raum, in dem sie ungehindert ihre Schallwellen verbreiten könnten, und stapft massiv durchs Klangbild. "Justfyin" profitiert von hypnotischen Basslines, die Teil eines sehr coolen und rhythmisch trickreich aufgebauten Arrangements sind.
Die E-Piano-geschwängerte Ballade "Broken And Blue" mit Spannungs-Pyramide drängt sich dank satter, glühender Leidenschaft als Anspieltipp auf. Irgendwann nach der Hälfte muss das fiepende, jaulende und quäkende Gitarrensolo übernehmen, weil sich der Drama-Gipfel der Vocals mit Worten und menschlicher Stimme gar nicht mehr toppen ließe. Hier hat die Künstlerin auch gesanglich mal was auf der Haben-Seite.
Explosive Soli sind trotzdem das Markenzeichen, in dem sie am sichersten beeindruckt. "Don't Lose Me", ein rauer Funkrock, enthält von Minute 1'18" bis 2'18" das beste all dieser Gitarren-Feuerwerke hier. Fans des Dan Reed Network sollten bei der Nummer die Ohren spitzen. In diesen diamantscharf gejammten Tune kann man sich richtig gut vertiefen. Manche Momente der Platte wirken derweil textlich zu versatzstückartig, was dann nicht ganz so gut mit der eher schmetternden Stimme korreliert - nichts Neues zu sagen haben, die Töne nicht so gelenkig treffen, gleichzeitig den Mund mehr als weit aufreißen.
Durchaus bewegen aber manchmal die schlichtesten Texte am meisten, wie in "Two Wrongs". Dazu passt ein alter, kluger Gedanke: "Wenn ich nach einer Fehlentscheidung einen zweiten Fehler mache, um den ersten zu korrigieren, dann habe ich zwei Fehler gemacht", sagte der Fußball-Schiedsrichter Markus Merk vor vielen Jahren einmal sinngemäß. "Two wrongs don't make a right" lautet das in der Sprache des Blues, wie schon 1974 der Texaner Z.Z. Hill sang; Ally hat zu dem Thema indes ein neues Lied komponiert. Mit ihrer Platte "Real Gone" hat die Nachwuchs-Krachmacherin auf jeden Fall viel mehr richtig als falsch gemacht.
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