laut.de-Kritik
Die ukrainische Rap-Sensation macht Ernst.
Review von Yannik GölzEs ist schwer zu beantworten, was man eigentlich von der ukrainischen Viral-Sensation Alyona Alyona erwartet hat, nachdem sie einmal alle gesehen haben. Sie wurde durch den Medien-Rummel gereicht, durfte nett lächeln, winken, wurde als Revolution des europäischen Hip Hops bezeichnet und jetzt vielleicht wieder fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. Denn bei genauerer Betrachtung ist es gar nicht so einfach, einem ukrainischen Rap-Album gebührenden Kontext zu geben. Doch mit Hilfe eines Freundes, der der Sprache mächtig ist, ein bisschen Translate und mehreren Interviews kann man attestieren: Was diese Alyona da macht, ist tatsächlich auch außerhalb des Gimmicks verdammt brauchbar.
Es ist aber dennoch erst einmal eine ganz andere Erfahrung, wenn man sie nur auf Band vor sich hat, vor allem, weil diese neue Platte so unapologetisch ernst und direkt daherkommt. Weg ist die Lockerheit und die Albernheit der viralen Musikvideos. Scheinbar hat die Frau keine Lust, als Gimmick die Erwartung der internationalen Presse zu erfüllen und macht Musik, die vor allem in ihrer Heimat viel Anklang finden dürfte.
Ihre Stimme ist dringend und präsent, sie bietet eine gute Grundlage, um in verschiedenen Grautönen von Trap-Produktion den eigenen Auftrag zu beschwören. Es geht da unter anderem darum, dass Menschen sich dem Burnout wappnen sollen, gut auf sich Acht geben und Sorge walten lassen sollten, wenn sie ihren Platz auf der Welt suchen. Das hat dann manchmal etwas von diesem glorifzierten Streetrap, nur eben unterfüttert mit dem Erfahrungsschatz einer osteuropäischen Kindergärtnerin, die auf die dreißig zugeht.
Aber warum denn nicht diese Erfahrungen in dieses Framework bringen? Das Handwerkzeugs dafür hat sie zu genüge, mehr als einmal beeindruckt sie nicht nur mit der Präsenz, sondern der schieren Agilität ihres Flows. Der Opener kommt mit der bretternden Selbstsicherheit daher, wie man es irgendwo zwischen "Get Up 10" von Cardi Bs "Invasion Of Privacy" oder dem wuchtigen Intro von YoungBoy Never Broke Agains "AI YoungBoy 2.0"-Projekt vergleichen könnte. Auf der dritten Anspielstation spielt sie mit einem Sample, das aus der Weltmusik kommen könnte und passt ihre Stimme fliegend darauf an, auch die melodischen Passagen gelingen mühelos.
Weitere starke Küren finden sich gegen Ende, wo sie auf "Мамин суп" (einem Song über die Suppe ihrer Mutter) einen wunderbaren Beatwechsel in Richtung Folklore-Samples Volley nimmt. Dabei nimmt sie das Rappen selbst aber nie in Beschlag. Sie wirkt so feurig darin, ihre Texte vorzutragen, dass das Gefühl von Melancholie und bitterem Kampfgeist nie das Bild verlassen. Ganz besonders einschneidend fällt das auf "Сніг розталий" aus, einem Song, der übersetzt "Schmelzender Schnee" bedeuten würde. Überträgt man die letzten Zeilen des Refrains ins Deutsche, erhält man das Sprachbild "Wir haben alle unsere Nester verlassen / Und ließen darin unsere Mütter zurück".
Es ist keine Revolution der europäischen Musikkultur, die Alyona Alyona da geworfen hat. Ein kleiner Schritt für die Musikwelt, aber ein großer für sie, denn "В хаті МА" emanzipiert sie ein für alle mal von dem Vorwurf, sie könnte ihr Erscheinungsbild und ihre Geschichte nur für ein billiges Gimmick ausschlachten. Alyona Alyona ist ein herausragender MC, versiert mit einer ausdrucksstarken Stimme, einem Flow, der mühelos Aufmerksamkeit dirigiert und einer Ausstrahlung, die Energie und Sicherheit atmet. Wer diese Platte einschaltet, sollte sich weniger auf virale Sensation, als auf authentische und handwerklich hochansprechende Trapmusik einstellen.
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