laut.de-Kritik
Bei den Finnen schwingen jetzt Hüften statt Matten.
Review von Stefan Johannesberg"Then darkness took me, and I strayed out of thought and time, and I wandered far on roads that I will not tell". Als Gandalf in Tolkiens "Die zwei Türme" diesen Satz spricht, reist das eigene Bewusstsein selbst durch die unendlichen Weiten. Man schöpft Kraft und Hoffnung. Vielleicht ist der Tod doch nicht das Ende. "The Circle", Opener des 15. Amorphis-Albums, schmiegt sich sofort sanft und wohlklingend an dieses Gefühl an.
"Amidst the stars / I roamed the universe / I found my sun": Über dominierende Keyboard-Harmonien singt Tomi Joutsen glasklar und tragend die Sterne vom Himmel. Growls fehlen völlig, Gitarren ordnen sich Stimme und Synthies unter. Die hochwertige, dicke Produktion von Jacob Hansen (Volbeat, Arch Enemy) unterstützt den angenehmen, fast poprockigen Vibe und das Grundthema des Albums. "Das Lied symbolisiert die Gegensätze zwischen alten Weisheiten und den Herausforderungen der Moderne", so Joutsen.
Das folgende "Bones" meißelt mit aggressiven Growls, bekannt orientalischen Melodien und einem March-Or-Die-Beat, der auch die Kreuzritter im Kampf um Jerusalem hätte begleiten können, kurz ein Loch in diese Soundmauer. Den Song schrieb ausgerechnet Keyboarder Kallio: "Gerade als Tastenmann wollte ich zeigen, dass ich einen gitarrenlastigen Amorphis-Tune abliefern kann". Ironischerweise ist "Bones" nun der mit Abstand härteste Track des Albums.
Ab "Dancing Shadow" gründen die Finnen, die immer noch in Urbesetzung musizieren, jedoch statt einer Armee lieber einen Indie-Club mit integrierter Tanzfläche. Die Growls verschwinden wieder im Hintergrund und die Uptempo-Nummer lädt ein, die Hüften statt der Matte zu schwingen. Amorphis trauen sich gar an wippende Kick-Snare-Grooves, die an Nickelback erinnern, sowie Drum-Fills, die klingen, als säße Dieter Bohlen hinter den Reglern. Der Arbeitstitel "Disco Tiger" kommt nicht von ungefähr. Nur das Solo kratzt ein wenig schärfer an den Synapsen und hebt "Dancing Shadow" in poppige Paradise Lost-Regionen.
Auch "Fog To Fog" überzeugt als schmissiger Rocksong mit kleineren Todesblei-Sprenkeln. "The Strange" erreicht am ehesten "The Bee-Level", da sich Joutsens Growl-Klargesang-Duell zu einem bombastischen Monster hochschaukelt. Die Powerballade "Tempest" steigert sich mit jubilierender Lead-Gitarre zur echten Hymne, während "Light And Shadow" mit den beschwörenden Vocals und Harmonien an Indie-Pop britischer Färbung erinnert. "The Lantern" schließt die eingängigste Amorphis-Phase überhaupt symphonisch ab. "Vielleicht erkennst du hier gar einen Hauch Vangelis", ergänzte Gitarrist Holopainen zurecht.
Zum Schluss drehen die Finnen den Zeiger wieder zurück zum bekannten Melo-Death. Der Titeltrack baut auf einem starken Riff auf und sorgt mit komplexeren Strukturen für Spannung. "Despair" endet dagegen mit wütenden Growls und fast fühlbarer Verzweiflung. Die introvertierte, entspannte Stimmung und das gesellige Schwofen sind Geschichte. "Wenn Filme meistens mit Hoffnung enden, macht 'Despair' das Gegenteil. Würde ich die letzten Momente auf einen Punkt bringen, würde ich sie Feuer und Eis nennen", meint Gitarrist Koivusaari. Von Tolkien zu George RR Martin - passt.
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