laut.de-Kritik
Melodiös und eingängig wie noch nie.
Review von Alexander CordasWritten and recorded August - September 2012. - Diese Worte aus dem Booklet muss man erst einmal sacken lassen. Die Band, die ein gefühltes Jahrzehnt damit zubrachte, den Oktopoden fertig zu stellen, soll binnen zweier Monate ein ganzes Album geschrieben und aufgenommen haben? Wen wollen Amplifier denn hier für dumm verkaufen?
Ok, Sel Balamir und Matt Brobin haben im bandeigenen Soundarchiv gestöbert und allerlei angestaubte Kostbarkeiten zutage gefördert, aber dass es bei den Mancunians dann so schnell flutschi macht, hätten wohl nur die wenigsten für möglich gehalten. Sei es, wie es ist, acht neue Songs aus dem Hause Amplifier sind doch aller Ehren wert. Der Wahnwitz des Doppel-Albums mit zwei Stunden Spielzeit war ohnehin nicht wiederholbar. Wenn man "The Octopus" lebend überstanden hat, sollte man mit dem Genuss von "Echo Street" keine großen Probleme haben. So melodiös und eingängig wie noch nie geht die zum Quartett angewachsene Combo zu Werke.
Das bedeutet aber nicht, dass Amplifier wie eine 08/15-Combo musizieren würden. "Matmos" springt einem nicht direkt ins Gesicht, sondern reift langsam heran. Nach knapp einer Minute entsteigen aus dem Off die ersten Gitarrenklänge. Sels Nanana-Gesang zu Beginn lässt den Hörer erstaunt zurück. Mutieren Amplifier zur Shalala und Schubidu-Kapelle? Fast. Das Primat der Melodie steht mehr denn je im Vordergrund. "Matmos" ist entsprechend der Gradmesser für das, was das Album musikalisch bereit hält.
Vorschlaghammer und Ambos haben diesmal nicht viel zu melden und landen im Schuppen ganz weit hinten. Vielmehr umgarnt der Vierer den Hörer mit vermehrten Dynamik-Spielereien sowie einem vergrößerten Instrumentarium mit Keyboards, Akustik-Gitarren, Streichern und Trallala. Das muss man nicht mögen, beweist aber den Mut der Band, neue Wege zu gehen. Distort-Exzesse finden sich zwar auch noch vereinzelt, aber bei weitem nicht so umfangreich und verzwirbelt wie noch auf dem Vorgänger.
All die Spielereien wären nutzlos, würde das Songwriting nichts taugen. Aber gerade hier macht "Matmos" alles richtig. Die Art und Weise, wie der Spannungsaufbau den Hörer immer mehr in den Song hinein zieht, ist schon beeindruckend. Gegen Ende, wenn Sel "for the love that I found" anstimmt, gleicht das fast einem Rock-Gospel. Man möchte die Arme gen Himmel werfen. Großartig.
"The Wheel" klingt zunächst wie das alte Dreigestirn, mit massig Effekt auf der Gitarre. Gemäß der alten Amp-Logik müsste daraufhin die Hölle losbrechen, aber plötzlich setzt ein Keyboard-Loop ein und katapultiert den Song in die Gegenwart. Dort fungieren Gitarren-Klänge eher als unaufdringliche Begleiter, als dass sie eine unüberwindbare Wall of Sound hochziehen würden. Alles kommt ein wenig dezenter rüber.
"Extra Vehicular" rundet als ausufernder Monstertrack das Dreigestirn zu Beginn ab und macht klar, dass Amplifier nach wie vor voll im Saft stehen. Der Beginn mit einem Fade In ist typisch für "Echo Street": unaufdringlich leitet der Song ein und entfaltet erst nach langer Anlaufzeit sein volles Bouquet. Nach circa fünf Minuten schieben die Gitarren dann doch recht amtlich.
Dieses Niveau können sie im weitern Verlauf aber nicht ganz halten. "Where The River Goes" mutet schon fast folkig an, legt nach über vier Minuten aber einen Schwenk hin und rockt satt von dannen. Immer mit dabei: mehrstimmiger Background-Gesang. Sel nutzt den erweiterten Band-Rahmen ausgiebig, um der Melodie mehr Gewicht zu verleihen. Das klingt bei "Mary Rose" zum allerersten Mal in der Amp-Geschichte seltsam uninspiriert. Der Beginn klingt typisch nach Amplifier. Der Song mündet melodisch nach dreieinhalb Minuten in cheesigem Fahrwasser. Nicht unbedingt viel besser macht es der Titelsong, der psychedelisch monoton auf demselben Rhythmus daher wabert. Das kann man eher als Skizze oder langes Interlude ansehen.
So geht der äußerst starke Eindruck am Ende etwas im Unkonkreten unter. Amplifier dürften mit der Prämisse an "Echo Street" heran gegangen sein, sich nicht zu wiederholen. Mit einer Beatles-Ballade wie "Caught Between Today And Yesterday" und umgekrempeltem Sound vermeiden sie einen Gleichklang, gehen aber auch das Risiko ein, dass sich konservative Fans der Combo anderweitig umschauen. Mit Album Nummer vier haben Sel und seine Jungs einmal mehr einen Hochkaräter fabriziert, sollten aber in Zukunft auch mal wieder den Dampfhammer auspacken. Denn der fehlt hier ab und an.
12 Kommentare
Cool, neues Amplifier Album! Gleich mal reinhören.
Tolles Album, dem man anmerkt, dass es nicht vordergründig geplant war, sondern einfach passiert ist. Das eignetlich geplante Mystoria kommt dann Ende des Jhares. Gibt schlimmeres als 2x Amplifier im Jahr.
@ page:
wo hast du die information her, dass "mystoria" schon ende des jahres erscheinen soll? das hab ich noch nirgendwo gelesen.
Zitat (« »):
nach erst zwei durchgängen bin ich von "echo street" etwas enttäuscht. mir ist das alles zu ruhig und zu sphärisch-säuselnd. hätte gerne, dass sie mal wieder mehr rocken, und das gerne ohne 10-minütige songs, wie auf den ersten beiden alben. befürchte aber, dass der zug abgefahren ist.
@Catch Thirtythree (« Woot? Meinst du dieses? http://www.amazon.de/Sadness-Farewell-Crip… Gerade das fand ich herausragend. Und hast du die mal live erlebt? Die sind unglaublich! »):
Ich glaub er meint "(Mankind) The Crafty Ape", zumindest ging es hier öfters darum. Finde ebenfalls, dass das seine Längen hat. Als hörte man den Stücken die bereits gebrochene Stimmung zwischen damaligem Sänger und dem Hauptsongwriter an.
"No Sadness Or Farewell", von CBP selbst liebevoll als "Mini-Album" betitelt, lebt mE vor allem von "what have we got to lose" (ohne Beteiligung des neuen Sängers) und "Jonestown Martin". In "Hold On" klingt der Neue echt gefährlich nach Aushilfs-Bono.
@Catch Thirtythree (« Woot? Meinst du dieses? http://www.amazon.de/Sadness-Farewell-Crip… Gerade das fand ich herausragend. Und hast du die mal live erlebt? Die sind unglaublich! »):
(Mankind) the Crafty Ape - ja, war eine furchtbar enttäuschende Angelegenheit - viel zu langatmig, zu pinkfloyd-esque. Prinzipiell hätte das ausgemistet gehört und das entscheidende auf eine CD beschränkt werden sollen. Dann wäre es auch super geworden!
Kann die anderen Kommentare hier nicht ganz nachvollziehen.
Meiner Meinung nach ist das Amplifiers 2. bestes Werk hinter dem unerreichten Debutalbum.
Es ist nicht so komplex und vielleicht nicht so tiefgründig wie ''The Octopus'' aber dafür wirkt es nicht so erzwungen und unnatürlich.
Wie Sel ja selbst sagte, sei ''The Octopus im Reagenzglas geboren worden'' und das hört man auch, finde ich.
''Echo Street'' hat außerdem keine Längen, was man von ''The Octopus'' nicht so ganz behaupten kann. Zudem wagen Amplifier hier auch mal etwas Neues wie die wirklich schönen mehrstimmigen Gesangspassagen à la Crosby, Stills and Nash und zaubern den Megasong ''Where The River Goes'', das sollte Argument genug sein
Ich bin auf jeden Fall begeistert und bin gespannt, wie ''Mystoria'' klingen wird.
Live war es eine absolute Wucht!